Seit Monaten bebt in Süditalien die Erde – ein Zeichen, dass ein Ausbruch der Phlegräischen Felder westlich Neapels kurz bevorstehen könnte. Bereits ein kleiner Ausbruch des Supervulkans hätte verheerende Folgen. Ein grosser wäre weltweit desaströs.
Auch die Schweizer Grenze war einst eine glühende Vulkanlandschaft. Mit dem ETH-Gesteinsexperten Eric Reusser (67) machten wir einen Ausflug in den deutschen Hegau bei Singen, keine Autostunde von Zürich entfernt. Zwischen verschlafenen Städtchen ragen die markanten Vulkanschloten noch heute in den Horizont. Eine schweisstreibende Zeitreise in den letzten Tagen dieses langen Sommers.
Eric Reusser, wir stehen auf einem erloschenen Vulkan: dem Hohenstoffeln. Wie hätte es hier vor 7 Millionen Jahren ausgesehen?
Eric Reusser: Es wäre ziemlich ungemütlich gewesen. Überall glühte flüssiger Stein, es war unfassbar heiss. Lava sprühte, Funken stoben. Je nachdem, wie viel Gas der Vulkan ausstiess, schoss auch eine Fontäne aus sengender Lava in den Himmel.
Das Hegauer Vulkanfeld erstreckt sich über 570 Quadratkilometer und war viele Millionen Jahre lang aktiv. Wieso bahnte sich gerade hier das Magma durch die Erdkruste?
Das lag wohl an zwei Ereignissen, die ungefähr gleichzeitig stattfanden: Im Süden prallte die Afrikanische Kontinentalplatte auf die Europäische. Die Erde faltete sich auf – und die Alpen entstanden. Etwas weiter westlich von hier kam es zum Grabenbruch: Der heutige Oberrheingraben mit dem Vulkan Kaiserstuhl entstand. Im Süden drückte es also, im Westen zog es.
Ein bewegtes Kapitel Erdgeschichte. Wie entsteht ein Vulkan?
Die Erdkruste, die oberste Schicht unseres Planeten, ist relativ starr. Sie ist bis zu 30 Kilometer dick und erinnert an einen Flickenteppich. Bewegen sich diese Platten, wirken gewaltige Spannungen. Im Erdmantel herrschen immense Hitze und ständige Bewegung. Ist die Kruste durch die Plattentektonik geschwächt, kann sie aufbrechen und das flüssige Gestein viel leichter an die Oberfläche stossen.
Erinnert mich an einen Pickel.
So ähnlich, ja. Das Magma steigt durch Gänge und Netzwerke auf. Aber kommen Sie, wir klettern noch etwas höher hinauf. Seien Sie vorsichtig, das Lavagestein ist lose.
Die Aussicht ist toll! Von hier oben sieht man weit über das Hegauer Vulkanfeld.
Richtig, doch sind heute nur noch die Überreste der Vulkane zu sehen. Oder genauer gesagt: ihre Vulkanschlote. Deshalb haben sie diese typische Kegelform.
Daher auch der Name «Herrgotts Kegelspiel», wie die Vulkane regional genannt werden. Was ist mit dem Rest des Vulkanbergs passiert?
Das Material rundherum war weicher als die erstarrte Lava im Schlot. Es wurde von den Gletschern der Eiszeit abgetragen.
Wie oft waren Sie schon hier im Hegau?
Viele, viele Male. Alle zwei Jahre leitete ich die ETH-Exkursion mit bis zu 70 Studierenden, das war wie eine grosse Schulreise. Ich komme aber auch privat gern für Wanderungen oder Velotouren hierher.
Wenn ich nach unten blicke, sehe ich nur Boden und Steine. Sie hingegen lesen die gesamte Erdgeschichte ab.
Das Gestein ist wie eine Zwiebelschale: Schicht für Schicht verrät es uns, was in den einzelnen Zeitaltern vorgefallen ist. Man könnte meinen, Gestein sei stumm. Dabei erzählt es so viel.
Eric Reusser (67) ist pensionierter Dozent für Alpengeologie und Mineralanalytik an der ETH Zürich. Eigentlich wollte er Chemiker werden, interessierte sich durch sein Hobby, das Klettern, aber immer stärker für Berg und Gestein. 31 Jahre lang leitete er am Departement Erdwissenschaften das Labor für Mineralanalytik. Seit zwei Jahren ist er pensioniert. Diesen Sommer baute er auf der spanischen Insel Formentera eine eigene E-Gitarre. Reusser hat eine Tochter und lebt mit seiner Frau in Oberuster ZH.
Eric Reusser (67) ist pensionierter Dozent für Alpengeologie und Mineralanalytik an der ETH Zürich. Eigentlich wollte er Chemiker werden, interessierte sich durch sein Hobby, das Klettern, aber immer stärker für Berg und Gestein. 31 Jahre lang leitete er am Departement Erdwissenschaften das Labor für Mineralanalytik. Seit zwei Jahren ist er pensioniert. Diesen Sommer baute er auf der spanischen Insel Formentera eine eigene E-Gitarre. Reusser hat eine Tochter und lebt mit seiner Frau in Oberuster ZH.
Alle Welt schaut derzeit gebannt auf die Phlegräischen Felder in Italien: Die Vulkanregion bei Neapel gilt als grösste Bedrohung Europas. Seit Monaten rumort es dort immer stärker unter der Erde.
Diese sogenannten Schwarmbeben sind Vorboten einer vulkanischen Aktivität. Sie zeigen an, dass unter der Erdoberfläche Magma aufsteigt.
In Neapel gab es bereits Evakuierungsübungen. Welche Gefahr schlummert dort?
Das ist sehr schwierig vorauszusagen. Nur weil Magma aufsteigt, heisst das nicht, dass es auch durch die Oberfläche dringt. Deshalb muss man die Gefahr relativieren: Im besten Fall bleibt das kochende Gestein nämlich im Schlot stecken und erstarrt.
Und im schlimmsten Fall?
Würde die Region Neapel zerstört, über zwei Millionen Menschen leben dort. Die Sorge vor einem Ausbruch ist dementsprechend gross. Hunderte Kubikkilometer Material würden ausgeworfen. Für Europa und wohl die ganze Welt hätte das dramatische Konsequenzen. Noch heute bezeichnet man in Europa und Amerika das Jahr 1816 als «Jahr ohne Sommer» – weil im Jahr davor der indonesische Vulkan Tambora ausgebrochen ist.
Welche Auswirkungen hatte sein Ausbruch?
Auf der ganzen Welt war es ungewöhnlich kalt, man nennt das einen vulkanischen Winter. Es kam zu Missernten, Überschwemmungen, katastrophalen Hungersnöten. Auch in der Schweiz. Doch es gibt alle paar Jahre grössere Ausbrüche. Zum Beispiel 2022 der Hunga Tonga-Hunga Ha'apai im Pazifik: Mit einer Rauchsäule von 57 Kilometern war es die höchste je beobachtete Eruptionswolke. Oder 2010 der Vulkan in Island …
… mit dem unaussprechbaren Namen.
Genau, der Eyjafjallajökull legte tagelang den europäischen Flugverkehr lahm. Island liegt auf zwei tektonischen Platten, die langsam auseinanderdriften. Deshalb ist das Land vulkanisch äusserst aktiv. Im Jahr bewegen sich die Platten zwar nur rund 2 Zentimeter auseinander, doch in 100’000 Jahren macht das zwei Kilometer. Zum Vergleich: Den modernen Menschen gibt es erst seit etwa 300’000 Jahren. Ein Wimpernschlag in 4,5 Milliarden Jahren Erdgeschichte.
Die Phlegräischen Felder in Italien gelten als Supervulkan. Was heisst das genau?
Als Supervulkane bezeichnet man die grössten bekannten Vulkane. Ihre Magmakammer ist so gigantisch, dass beim Ausbruch kein Vulkankegel entsteht, sondern die Kammer zu einem Kessel absackt. Diesen Kessel nennt man Caldera. In kurzer Zeit stösst ein Supervulkan so viel Asche, Gestein und Gase aus, dass die Erde viele Jahre mit den Folgen kämpft.
So führten Vulkanausbrüche immer wieder zu Massensterben.
Richtig, zum Beispiel in Sibirien vor etwa 252 Millionen Jahren: Auf einer gigantischen Fläche strömte Lava aus unzähligen Vulkanen. Die Sonne verdunkelte sich, die Atmosphäre versauerte, fast das gesamte Leben auf dem Planeten wurde ausgelöscht. Es war das grösste Massenaussterben der Erdgeschichte und markiert das Ende des Zeitalters Perm sowie den Beginn der Trias-Epoche.
Wie viele Supervulkane kennen wir?
Etwa zwanzig. Einer der grössten liegt direkt unter dem gleichnamigen Nationalpark Yellowstone im US-Bundesstaat Wyoming. Sein letzter grosser Ausbruch liegt rund 640’000 Jahre zurück. Die entstandene Caldera ist etwa 70 Kilometer breit.
Ihr Berufsleben lang haben Sie auf Expeditionen immer wieder Vulkangestein überall auf der Welt untersucht. Hatten Sie nie Angst vor einem Ausbruch?
Nein, so oft passiert das schliesslich auch nicht. Aber natürlich hält man schon seine Distanz zu einem aktiven Krater. Ich war mehrmals in Südafrika, auf den Azoren, Kap Verde, den Kanaren, in Griechenland, auf Santorini, im Südiran, in Kalifornien, in der Sierra Nevada, Kanada.
Ich werde nie vergessen, wie ich in den Ferien in Kalabrien einmal den Stromboli durch die Nacht glühen sah. Was ist Ihre liebste Vulkan-Erinnerung?
Es gibt so viele faszinierende Vulkane auf dieser Erde. Zum Beispiel die «Feuerspitze» Pico do Fogo auf Kap Verde, 2800 Meter über Meer. Der Aufstieg ist schwierig, weil so viele Lapilli, kleine Lavabröckchen, unter den Schuhen wegbröseln. Der Abstieg dafür umso lustiger: In zehn Minuten kann man 750 Höhenmeter runterrutschen.
Was halten Sie von den Burgen, die im Mittelalter auf viele der Hegauer Vulkane gebaut wurden? Die Festungsruine auf dem Hohentwiel ist noch heute zugänglich.
Nun, dieser jüngere Teil der Geschichte interessiert mich etwas weniger. Die Burgen verdecken doch bloss den Blick auf die Vulkane (lacht). Aber schauen Sie, sehen Sie diese unzähligen sechseckigen Säulen?
Hier vor uns im Gestein?
Genau. Das ist Basaltgestein. Kühlt flüssige Lava ab, bilden sich Risse. Wie in einem schlammigen Boden, der austrocknet. So ordnet sich die abgekühlte Lava zu sechseckigen Basaltsäulen, die den Vulkan wie Bienenwaben umgeben.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Hegauer Vulkane wieder ausbrechen?
Sehr unwahrscheinlich. Die damaligen tektonischen Prozesse sind schon lange abgeschlossen. Aber noch heute ist der Boden Zeuge ihrer Ausbrüche: An vielen Orten findet man im Hegau an der Oberfläche winzige Lapilli, die damals aus der Aschewolke geregnet sind.
Herr Reusser, was meinen Sie: Wollen wir uns noch einen zweiten Vulkan ansehen?
Na klar! Ab auf den Hohentwiel. Der Aufstieg ist steil, aber er lohnt sich.
Trotz der Burg?
Und wie: Oben hat es einen kleinen Kiosk, mir ist nach einer Erfrischung zumute.
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