Die Erdstösse mit einer Stärke von bis zu 4 auf der Richterskala sorgen für Panik. Bewohner der Region westlich von Neapel rennen aus ihren Häusern. Sie übernachten im Auto oder verlassen fluchtartig die Stadt. Zuletzt in der Nacht auf Dienstag. Seit Wochen bebt die Erde auf den phlegräischen Feldern. Die grösste Angst: Ein Ausbruch des Supervulkans, auf dem 600'000 Menschen leben. Blick fragte nach. Die Antworten beruhigen nicht wirklich.
Was sind die Phlegräischen Felder?
Die «Campi Flegrei» gehören zu einem unterirdisch brodelnden Supervulkan. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet «Brennende Felder». Der gigantische Kraterkessel erstreckt sich über 150 Quadratkilometer von der Mittelmeerküste bis zum Stadtrand von Neapel. Auf dieser geologisch tickenden Zeitbombe leben 600 000 Menschen. Die «Campi Flegrei» gelten als weit gefährlicher als der Vulkan Vesuv.
Was passiert gerade westlich von Neapel?
Bereits 2018 entdeckten der Zürcher Wissenschaftler Olivier Bachmann (50) und sein Team, dass die Phlegräischen Felder am Anfang eines neuen Caldera-Zyklus standen. Die Magmakammer beginnt sich zu füllen. Gase und verdampfendes Grundwasser drücken gegen das Gestein der Erdoberflächendecke und wölben die gesamte Küstenregion nach oben. Wenn die sogenannten Fluide aus den oberen Gesteinsschichten in die Magmakammer wieder abfliessen, dann senkt sich die Decke wieder.
«Wir hatten diesen sogenannten Bradyseismos in den Jahren 1982 bis 1984. Dann hat sich die Aktivität wieder beruhigt», sagt Olivier Bachmann zu Blick. Jetzt brodelt es wieder unter den Phlegräischen Feldern. «Derzeit gibt es keine vulkanische Aktivität, nur Aktivität der Hochtemperaturgase». Der Bebenschwarm jetzt kündige an, dass die Erdoberfläche zu reissen beginne, sagt Bachmann. Es gebe Bodenverformungen in der Pozzuoli-Bucht.
Wie gefährlich ist die neue Aktivität?
«Im Augenblick gibt es keine Hinweise darauf, dass Magma aufsteigt», sagt der Professor für magmatische Petrologie am Institut für Geochemie und Petrologie der ETH Zürich weiter. Aber möglich sei es natürlich. «Wir müssen die Magma-Bewegung in den kommenden Wochen gut beobachten.» Noch liege das Magma in etwa sechs bis acht Kilometer Tiefe. «Wenn sich das Magma bewegt, werden die Beben stärker.»
Droht eine Supereruption?
«Das können wir im Moment noch nicht genau sagen. Derzeit gibt es eine Erdbebenaktivität und Bodenverformungen, aber solche unruhigen Perioden gab es in der Vergangenheit (zum Beispiel in den 1980er-Jahren), ohne dass es notwendigerweise zu einem Ausbruch kam», antwortet Olivier Bachmann, «wir wissen nicht, was als Nächstes passiert». Supervulkane seien sehr schwierig zu beurteilen. «Bis zum nächsten Ausbruch kann es noch 1000 Jahre dauern. Es kann aber auch sehr schnell gehen. Wir können einen Ausbruch möglicherweise erst wenige Tage vor der Eruption vorhersagen, wenn überhaupt», sagt Bachmann.
Welche sind die möglichen Szenarien?
«Das System könnte wieder in den Ruhezustand übergehen, ohne dass es zu einem Aufprall an der Oberfläche und somit zu einer Eruption kommt», sagt Olivier Bachmann. Ein zweites Szenario wäre eine kleine phreatische Eruption ohne Beteiligung von Magma. Dann würde Wasserdampf entweichen. Auch ein kleinerer Ausbruch, wie er im Oktober 1538 stattfand, wäre möglich, so der Wissenschaftler. Damals kam es zu einem schweren Erdbeben und zu Lavaströmen, die einen 133 Meter hohen Schlackenkegel bildeten, den Monte Nuovo. In Neapel kam es zu starkem Aschenniederschlag. Das Worst-Case-Szenario allerdings wäre eine Supereruption, wie es sie vor 39'000 gegeben hat. Mit hoher Geschwindigkeit ergossen sich damals 500 Grad heisse pyroklastische Ströme über ein 30'000 Quadratkilometer grosses Gebiet. Halb Europa und der Mittelmeerraum waren von einer zentimeterdicken Ascheschicht bedeckt.
Und wenn es doch zur Supereruption kommt?
«Das wäre ein Albtraum», sagt Olivier Bachmann. Vier Millionen Menschen müssten sofort evakuiert werden. «Denn die Region um Neapel würde weitgehend zerstört. Eine grosse Menge vulkanischer Partikel in der Atmosphäre würde den Flugverkehr und das globale Klima stören und zu unvorhersehbaren Folgen auf der ganzen Welt führen» so der Experte weiter. Es käme zum sogenannten Vulkanwinter. Je nach Windrichtung würde beispielsweise die Schweiz bereits nach wenigen Stunden von Staub und Asche überdeckt, der Himmel würde sich verfinstern und die Temperatur sinken. Bachmann: «Aber solche Supereruptionen sind äusserst selten und höchst unwahrscheinlich.»