Hygiene-Alarm im Kinderparadies Trampolino in Dietikon ZH. Verstopfte Toiletten, dreckige Teppiche, durchgeschnittene Sicherheitsnetze. Der Inhaber Gerhard Mack steht in der Kritik. Gegenüber Züri Today schiesst er gegen die Eltern: «Die Kinder waren vor 10, 20 Jahren besser erzogen.» Zudem seien sie aggressiver als früher. Tatsächlich? Blick fragt bei Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm (73) nach.
Blick: War die Kindererziehung vor 20 Jahren besser?
Margrit Stamm: Nein. Aber wir kämpfen heute mit neuen Problemen. Zum Beispiel fehlt den Eltern oft das Selbstbewusstsein. Sie stellen keine klaren Regeln mehr auf. Trauen sich nicht, das Kind in der Öffentlichkeit zurechtzuweisen. Weil Autorität fälschlicherweise als schlecht angesehen wird. Viele verknüpfen das Wort mit ihrem strengen Vater, der sie früher geschlagen oder erniedrigt hat. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Autorität bedeutet heute, Grenzen zu setzen und dem Kind gleichzeitig Liebe zu schenken. Leider gilt Autorität nach wie vor als böses Wort.
Wie hat sich die Erziehung in den letzten Jahren verändert?
Stamm: Viele Eltern sind heute zu lieb. Sie behandeln ihre Kinder wie Könige. Daran gewöhnen sich die Kleinen und verhalten sich dementsprechend in der Öffentlichkeit. Sie glauben, dass alle für sie da sind, und fühlen sich nicht mehr für ihr Verhalten verantwortlich.
Wie ist dieser Wandel zu erklären?
Stamm: Dafür sind wir als Gesellschaft verantwortlich. Wir erwarten von den Eltern, dass sie die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt stellen. Man darf die Kinder nicht mehr zu stark unter Druck setzen, weil sonst psychische Schäden auftreten können. Diese Haltung ist für die Zukunft eines Kindes nicht förderlich. Zudem zeigt eine unserer Studien, dass junge Väter nicht so werden möchten wie ihre Väter, die sie sehr streng erzogen haben.
Hat die Aggressivität der Kinder zugenommen?
Stamm: Schwierig zu sagen. Was sicher ist: Wenn die Kinder von einer Trainerin angeleitet werden, sind sie weniger aggressiv. Im Trampolino können sie tun und lassen, was sie wollen, das fördert die Aggressivität. Währenddessen sind viele Eltern mit dem Handy beschäftigt. Diese Freiheit nutzen die Kinder.
Wie beeinflusst das Smartphone die Erziehung?
Stamm: Die Eltern verstecken sich hinter dem Handy. Sie interagieren weniger mit ihren Kindern. Das beeinflusst die Eltern-Kind-Beziehung negativ. Diese Thematik wird in Kursen für Mütter und Väter zu wenig thematisiert. Auch hier braucht es klare Regeln. Beispielsweise, dass am Esstisch ein Handy-Verbot gilt. So liegt der Fokus auf dem Gegenüber.
Wie gross ist der Einfluss der Eltern auf die Kinder?
Stamm: Immens. Die Kinder übernehmen das Verhalten der Eltern. Schmeissen sie einen Kaugummi auf den Boden, macht es das Kind auch. Dieses Verhalten widerspiegelt sich dann an Orten wie dem Trampolino. Es gilt: Die Kinder lernen nicht das, was die Eltern ihnen sagen, sondern was sie selbst tun.
Was ist der häufigste Fehler in der Erziehung?
Stamm: Man darf sein Kind nicht als besten Freund oder Partnerersatz verstehen. Die Hierarchie muss klar sein. Die Eltern zeigen dem Kind, welche Werte für sie wichtig sind und setzen diese konsequent durch. Das passiert heutzutage zu wenig.
Indoor-Spielplätze wie das Trampolino sind neu, wie beeinflusst das die Kinder?
Stamm: Diese Angebote zu verteufeln, wäre falsch. Klar, die Kinder sind weniger in der Natur. Aber zum Beispiel in einer Kletterhalle lernen die Kinder, Regeln einzuhalten. Das ist positiv. Gleichzeitig sollen die Eltern weiterhin in den Wald gehen. Ein guter Mix ist das Beste.
Haben wir ein Erziehungsproblem?
Stamm: Nein! Viele Eltern machen einen tollen Job. Leider liest man immer nur von den schlechten Fällen.