Kinder aus der Ukraine erzählen, wie es ihnen in den Schweizer Schulen geht
«Einfach nur Ruhe und ein sicheres Zuhause»

Seit Kriegsausbruch besuchen ukrainische Kinder Schweizer Schulen. Wie sie sich hier fühlen und welche Rolle die Schule bei der Integration spielt, erzählen sie selbst.
Publiziert: 02.03.2023 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 02.03.2023 um 07:45 Uhr
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Volands kleinere Schwester Marharita (5) in den Armen ihrer Mutter.
Foto: Philippe Rossier
Kathrin Brunner Artho

«Das ist mein Geburtstagsgeschenk», sagt Voland und zeigt auf die Tüte auf seinem Schoss. Er ist zwölf geworden und es ist sein erster Geburtstag in einem fremden Land. Mit seiner Mutter, seiner Schwester (5) und dem Bruder (17) floh er aus der Ukraine. Jetzt sitzt er mit Irina (17), Sofiya (12), Lena (16) und Victoria (12) im offenen Pfarrhaus Peter und Paul in Aarau. Wie Voland sind auch sie Flüchtlinge.

Seit Kriegsausbruch sind rund 74'500 ukrainische Flüchtlinge in die Schweiz geflohen. Davon sind über 17'000 Kinder im Alter zwischen 3 und 16 Jahren und 10'000 zwischen 17 und 24 Jahren. Um zu erfahren, wie sie sich in der Schweiz integriert haben, haben wir bei Lehrern und bei den Kindern selbst nachgefragt. Die Antworten sind sehr unterschiedlich. Klar ist: Für Kinder, die zur Schule gehen, ist es einfacher, Anschluss zu finden als für nicht schulpflichtige Kinder.

Die Einschulung ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich

Die Einschulung von ukrainischen Kindern verlief in der Schweiz ganz unterschiedlich. In den Kantonen Luzern, Basel, Zürich und Appenzell wurden Sonderklassen oder Willkommensklassen gebildet, in denen die Kinder zuerst ihre Umgebung kennenlernten und intensiv Deutsch haben. «Wir haben gute Erfahrungen mit der Willkommensklasse gemacht. Die Kinder fanden so in den Regelklassen schneller Anschluss», sagt Oliver Menzi, Schulleiter an der Primarschule Hofwies im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Im Kanton Aargau gibt es solche Sonderklassen nicht: Voland und seine Freunde wurden direkt in die Regelklassen geschickt.

In der Ukraine besuchte er die 6. Klasse, hier geht er in die 5. Grund dafür ist, dass die Kinder, wenn sie an die Schule kommen, ein Jahr zurückgestuft werden. Menzi erklärt: «Die Kinder haben alle einen unterschiedlichen Lern- und Entwicklungsstand, hinzu kommt noch, dass sie kaum Deutsch können.»

Das Zurückstufen sei ein Vorgehen, das Schulen bei fremdsprachigen Kindern anwenden, um den Kindern mehr Zeit zu geben für das Erlernen der deutschen Sprache und sie in den anderen Fächern entlasten zu können. Eine Vorgehensweise, die Eltern teilweise irritiert: Für ukrainische Familien kann es ein Zeichen des Versagens sein, wenn ihr Kind eine Klasse zurückgestuft wird. «Wir mussten den Eltern erklären, dass die Rückstufung nichts über die Leistung des Kindes aussagt», sagt Menzi.

Kulturelle Unterschiede im Klassenzimmer

«Ich mag, wie artig die Schweizer Schüler sind», sagt Voland, «Wenn der Lehrer die Klasse verlässt, arbeiten sie still weiter.» Verlässt in der Ukraine der Lehrer das Zimmer, bricht das Chaos aus. Was er und seine Freunde gar nicht mögen, ist, dass sie während der grossen Pausen das Klassenzimmer verlassen müssen. «Wir müssen im Winter draussen stehen und frieren», klagt auch Lena. In der Ukraine geht die Schule von 8 Uhr bis 14 Uhr. Lange Pausen kennen sie nicht. Fächer wie Handarbeit, Werken und Hauswirtschaft kennen sie nicht: «Bei uns lernen nur Mädchen in der Schule das Kochen», erklärt Lenas Schwester Viktoria.

Plötzlich wird es chaotisch am Tisch, alle reden durcheinander: Lena erzählt von ihrem Besuch im Waldlager, Viktoria berichtet über den Kunstunterricht, während Voland über die Pausen klagt.

Jugendliche gehen vergessen

Während die anderen Kinder wild von ihrem Schulalltag reden, ist Irina ganz still. Sie ist 17 und in der Schweiz nicht mehr schulpflichtig. «Ich würde so gerne zur Schule gehen, darf aber nicht», sagt sie.

In der Ukraine war sie am Gymnasium und hätte dieses Jahr ihr Studium angetreten. In der Schweiz bleibt sie zu Hause, während ihre Schwester (12) zur Schule geht.

Wie Irina ergeht es vielen geflüchteten Jugendlichen. Sie können nicht zur Schule, sitzen daher zu Hause rum und lernen fast kein Deutsch. Sonderklassen für Jugendliche gibt es keine. Grund dafür sei laut den Schulen der herrschende Fachkräftemangel.

Wo Voland seine Zukunft sieht, kann er nicht sagen. «Ich will einfach Ruhe», sagt er, als die Diskussion der Kinder abflacht. «Einfach Ruhe und ein sicheres Zuhause.»

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