«Ich kann kaum laufen»
So fühlt sich Endometriose an

Bei der Endometriose handelt es sich um eine gynäkologische Krankheit, die extreme Schmerzen verursachen kann. Ich, männlich, wage den Selbstversuch.
Publiziert: 20.11.2023 um 20:59 Uhr
|
Aktualisiert: 27.11.2023 um 13:28 Uhr
1/5
Im Verlauf des Selbstversuchs wird mir mitgeteilt, dass ich «ein bisschen blass» sei.
Foto: Pierre Ballenegger
AmitJuillard.png
Amit Juillard

Endometriose-Beschwerden kenne ich nur passiv. Als Journalist möchte ich den Dingen auf die Spur gehen und verstehen, was es damit auf sich hat.

Am 25. Oktober begab ich mich mit meinen Kollegen Ellen de Meester und Pierre Ballenegger in das imposante Gebäude des «Rolex Learning Center» in Ecublens VD, um eine besondere Maschine zu testen. Diese kann nicht nur die Schmerzen einer «normalen» Menstruation, sondern auch Endometriose-Beschwerden simulieren. Unter dieser gynäkologischen Krankheit leiden der Fachorganisation S-Endo zufolge 10 bis 20 Prozent aller Frauen.

Bevor es aber losgeht, muss ich eine Verzichtserklärung unterschreiben: Ich bestätige, dass ich keine Rückenleiden habe, nicht älter bin als 60 und weder Epilepsie noch einen Herzschrittmacher habe. Im Formular steht ausserdem, dass es zu Übelkeit und durch die Überstimulierung des Vagusnerv zu einem Anfall kommen kann. Ich habe jetzt schon das Bedürfnis, in Ohnmacht zu fallen.

Stufe 15: Es kribbelt

Der Anblick des Geräts lässt sein Potenzial nicht erahnen. Ich werde mit der Maschine verbunden. Ich fühle zwei kalte Elektroden auf meinem Unterbauch. Meine Kollegin hält die dazugehörige Fernbedienung in der Hand.

Die Maschine umfasst 100 Stufen. Ellen identifiziert Stufe 30 als ihre Empfindungsstufe am Ende ihres Zyklus. Die Beschwerden bei Endometriose spürt man bei Stufe 75. Mein Stresslevel ist mittlerweile bei 150.

Ich räkle mich auf dem Sofa. Es geht los. Das erste Kribbeln beginnt bei Stufe 15. Das Kribbeln nimmt zu. Stufe 22: Messer beginnen in Wellen in meinen Unterleib zu stechen.

«Es fühlt sich an, als würde einem jemand ein Messer in den Bauch rammen»
1:47
Alba J. leidet an Endometriose:«Als würde einem jemand ein Messer in den Bauch rammen»

Stufe 75: Volle Kraft voraus

Bei 45 beginnen die Krämpfe. Sie werden stärker und hartnäckiger. Beim Sitzen ist es erträglich. Ich stehe auf: Auf die ersten Schritte folgt das erste Stöhnen. Das ist alles andere als angenehm. In diesem Zustand Sport zu treiben, einen Patienten pflegen oder auf einem Dach arbeiten: unmöglich. Mein einziger Gedanke: Schmerzmittel nehmen und Menstruationsurlaub beantragen. Ich versuche durchzuhalten. Die Embryonalstellung hilft. Die Krämpfe werden bisschen erträglicher.

Ich habe Mühe mit dem Gehen: Stufe 55. Ich sei «ein bisschen blass», wird mir mitgeteilt. Ich komme langsam an meine Grenzen: Wir sind bei Stufe 60. Mein Gesicht gleicht mittlerweile einer Fratze. Das ist der Anblick von Stufe 75. Ich kann mich kaum noch konzentrieren. Es fühlt sich an wie Messerstiche: vom Oberschenkel bis zum Zwerchfell. Gehen wird zu einer enormen Anstrengung. Die «Aua»-Rufe häufen sich. Mein Körper fühlt sich an wie ein Gefängnis.

Plötzlich ist alles vorbei. Ich bin erlöst. Ich bin privilegiert, denn ich muss nicht monatlich «zwischen vier und sieben» Tage, diese Qualen aushalten.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
«Was kann ich gegen Endometriose-Schmerzen tun?»
2:45
Gynäkologin klärt Fragen:«Was kann ich gegen Endometriose-Schmerzen tun?»

PMS: Ein weiterer unangenehmer Begleiter

Die beschriebene Erfahrung ähnelt nur zum Teil den Beschwerden, die Menschen mit Endometriose regelmässig durchmachen. Denn die Schmerzen wirken sich nicht nur auf den Bauch aus, sondern auch auf den Rücken, die Blase, den Enddarm und andere Körperbereiche. Ausserdem kann Endometriose zu Unfruchtbarkeit führen.

Dazu kommt, dass ich PMS nicht erfahren habe. Die Abkürzung steht für prämenstruelles Syndrom. Es tritt vor der Menstruation auf und führt zu Reizbarkeit, Angst, depressiven Verstimmungen, Lethargie, starken Migräneanfällen, Schlaflosigkeit und/oder extremer Müdigkeit und Heisshungerattacken.

S-Endo zufolge dauert es derzeit zwischen 7 und 10 Jahre, bis Endometriose diagnostiziert wird: «Diese Tatsache ist eine direkte Folge der mangelhaften Ausbildung des medizinischen Personals und ihrer Sensibilisierung auf diese gynäkologische Erkrankung. Das kann manchmal sogar zu dramatischen und irreversiblen Folgen führen.» Die Organisation S-Endo setzt sich deshalb für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in diesem Bereich ein.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?