Wo fängt verbal sexualisierte Belästigung an?
Agota Lavoyer: Sie beginnt dann, wenn sich eine Person unwohl fühlt.
Wo ist die Grenze zum Kompliment?
Das ist ganz klar: Bei einem Kompliment fühle ich mich nicht unwohl, angegriffen oder als sexualisiertes Objekt. Verbal sexualisierte Belästigung, auch Catcalling genannt, geht vom Nachpfeifen bis zu einer sexistischen Aussage oder Beschimpfung.
Ist das strafbar?
Es ist eine Form von sexueller Belästigung, aber die strafrechtliche Hürde ist höher angesetzt. Meist gehört dazu ein körperlicher Übergriff, insbesondere im öffentlichen Raum. Anders ist es am Arbeitsplatz, da können auch verbale Aussagen zum Straftatbestand werden.
Agota Lavoyer (43) ist Expertin für sexualisierte Gewalt und Opferberatung. Sie arbeitete unter anderem fünf Jahre als Beraterin von Opfern sexualisierter Gewalt. Im Kanton Solothurn baute sie die Beratungsstelle Opferhilfe auf und leitete diese in der Aufbauphase. Heute ist sie selbständig als Dozentin, Referentin, Buchautorin und Kolumnistin tätig.
Agota Lavoyer (43) ist Expertin für sexualisierte Gewalt und Opferberatung. Sie arbeitete unter anderem fünf Jahre als Beraterin von Opfern sexualisierter Gewalt. Im Kanton Solothurn baute sie die Beratungsstelle Opferhilfe auf und leitete diese in der Aufbauphase. Heute ist sie selbständig als Dozentin, Referentin, Buchautorin und Kolumnistin tätig.
Würde es helfen, wenn Catcalling strafbar wäre?
Es ist ein sehr komplexes Thema, das sich nicht mit dem Strafrecht lösen lässt. Die Frage ist, wie man Betroffene wirklich schützen kann. Dafür müsste man mehr in die Prävention investieren. Und wichtig ist, all die Leute zu sensibilisieren, die Zeuge von Catcalling werden, aber nicht handeln.
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Opfer werden meist Frauen. Ist Catcalling ein männliches Problem?
Ich würde das differenzieren, betroffen sind auch nonbinäre und Transpersonen, am häufigsten sind es weiblich gelesene Personen. Das gilt auch für schwule Männer, jene, die feminin gelesen werden, sind häufiger Belästigungen ausgesetzt. Catcalling hat viel mit Geschlechter-Stereotypen zu tun. Es geht um Männer, die mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen sind, dass sie ein Anrecht auf weibliche Aufmerksamkeit haben. Sie glauben, dass sie Frauen kontrollieren können, indem sie ihr Äusseres bewerten – und damit bei ihren Kumpels punkten.
Viele Männer sind verunsichert. Es heisst, man dürfe nichts mehr sagen.
Ich finde das sehr entlarvend. Eine solche Aussage bestätigt, dass einen das Thema nicht kümmert. Es sind Männer, die sich um ihre Freiheit sorgen und sich nichts von Feministinnen vorschreiben lassen wollen.
Ist es dem Feminismus zu verdanken, dass man heute ein Wort für diese Form der Belästigung hat?
Ja, und es ist wichtig, ein Vokabular dafür zu haben, denn es fängt ja mit Sprachlosigkeit an. Wenn man Missstände und Diskriminierung konkret benennt, können sich Menschen darin wieder erkennen. Denn viele sind verunsichert und wissen nicht, ob sie in einer solchen Situation zu empfindlich sind. Weil es das Wort Catcalling gibt, merken Betroffene, dass es nicht okay ist, was ihnen da gerade passiert ist.