«Sie schlug das Messer neben meinem Kopf in die Wand»
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Stalking-Opfer erzählen:«Sie schlug das Messer neben meinem Kopf in die Wand»

Sabrina R. (31) und Andrea T.* (27) packen über den Horror Stalking aus
Verschmähte Liebhaber sind am gefährlichsten

Stalking ist in der Schweiz auf dem Vormarsch. Offizielle Statistiken gibt es nicht, vieles passiert im Graubereich. Zwei Opfer erzählen gegenüber Blick ihre Geschichte, zwei Täter versuchen sich mit Ausreden und Selbstmitleid aus der Affäre zu ziehen.
Publiziert: 21.02.2022 um 00:28 Uhr
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Aktualisiert: 22.02.2022 um 14:11 Uhr
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Sabrina R. (31) wurde ein Date mit einer Tinder-Bekanntschaft zum Verhängnis. Der Mann terrorisierte sie über Wochen hinweg auf allen Kanälen.
Foto: KARL-HEINZ HUG
Marco Latzer

Ein Stalker hat das Leben von Sabrina R.* (31) während zweier Monate zur Hölle gemacht. «Gegen Ende hat er mehrfach Vergewaltigungsandrohungen ausgesprochen. So etwas macht Angst und verunsichert enorm», sagt die Ostschweizerin, die seit vielen Jahren in der Region Freiburg lebt.

Der Albtraum der Pädagogin beginnt 2018 mit einem vermeintlich unverfänglichen Tinder-Date. R. verbringt einen Abend mit der Onlinebekanntschaft, lädt den Mann auch in ihre WG ein. Kurz nach dem Treffen ist für sie aber klar: «Ich wollte ihn nicht noch einmal sehen. Er war mir irgendwie nicht geheuer, und ich hatte ein ganz schlechtes Bauchgefühl.»

«Die Stalker gaben den Opfern eine Mitschuld»
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Stalker belästigte Sabrina R. auf allen Kanälen

Das Problem: Der Mann will die Absage von R. partout nicht akzeptieren. Zunächst bettelt er vehement um ein neuerliches Date, dann schlägt es schnell in wüste Beschimpfungen um. Der Stalker betreibt einen enormen Aufwand und belästigt sein Opfer mit vier verschiedenen Rufnummern. Auf Facebook legt er einen Fake-Account an, registriert sich für weitere Belästigungen auch auf dem Stellenportal Linkedin.

«Ich fürchtete mich, aus der Wohnung zu gehen. Er wusste ja vom Date her, wo ich wohne. Und er hat mich mehrfach aufgefordert, herauszukommen», schildert Sabrina R. Sie und ihre damaligen Mitbewohnerinnen seien zu der Zeit zutiefst verunsichert gewesen. Erst recht, wenn sie glaubten, vor dem Fenster etwas Verdächtiges zu erspähen.

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Am Schluss schlief sie nicht mehr in der eigenen Wohnung

Die Woche vor dem Gang zur Polizei verbringt R. in einer anderen Wohnung, weil sie sich daheim nicht mehr sicher fühlt. Erst mit der Strafanzeige ändert sich alles. «Die Polizei hat sich direkt mit ihm in Verbindung gesetzt und ihn aufgefordert, mich in Ruhe zu lassen. Das hat gewirkt, ich habe nie mehr etwas von ihm gehört.»

Trotzdem ist R. unglücklich darüber, dass die Tinder-Bekannschaft wegen sexueller Belästigung nur mit einer Busse davongekommen ist. Einen Eintrag ins Strafregister gab es für den Stalker nämlich nicht. «Dabei wäre es doch enorm wichtig gewesen, ihn auf dem Schirm zu haben, falls er in Zukunft so etwas noch einmal macht!»

Ablehnung und Zurückweisung werden nicht akzeptiert

Seit dem Jahrtausendwechsel hat Stalking enorm zugenommen. Eine Übersicht ist schwierig, weil Erhebungen auf nationaler Ebene fehlen. Aber allein in der Stadt Bern, die über eine eigene Stalking-Fachstelle verfügt, haben sich die Zahlen zwischen 2010 (21 Fälle) und 2019 (147 Fälle) versiebenfacht. Als Stalking-Rekordjahr gilt in der Hauptstadt bislang das Jahr 2015 mit 195 Fällen.

Die Zunahme bestätigt auch Forensiker Thomas Knecht (63): «Als ich das Wort 2003 erstmals an einem Vortrag verwendet habe, musste ich es noch buchstabieren. Seither begleitet mich das Thema regelmässig.» Stalker hätten häufig einen Besitzanspruch, den sie praktisch um jeden Preis in die Realität umsetzen wollen. Zudem sei die Hemmschwelle dank unverbindlicher Kontaktmöglichkeiten im Internet deutlich gesunken.

«Bei diesen Menschen geht es häufig um verletzten Stolz. Stalker sind sehr narzisstisch veranlagt. Meistens stehen erotische Fantasien oder ein Rachemotiv im Vordergrund», erklärt Knecht. Besonders kritisch sei Stalking in Fällen, wo es zuvor wegen häuslicher Gewalt zu einer Trennung gekommen sei. «Mit Abstand die gefährlichste Kategorie ist jene der verschmähten Liebhaber», fügt der Psychiater an.

Auch Michael N.** (28) ist dieser Kategorie zuzurechnen. Der Mann aus dem St. Galler Rheintal wurde kürzlich verurteilt, weil er seine Ex-Partnerin, mit der er zwei Kinder hat, über Wochen terrorisiert hat. «Es kam vor, dass er ihr innert zwei Stunden ca. 500 Nachrichten schickte», heisst es im Blick vorliegenden Strafbefehl vom 11. Januar 2022.

Stalker wähnen sich häufig selbst als Opfer

N. schreibt ihr nebst unzähligen Beleidigungen etwa: «Für den Rest meines Lebens werde ich dich fertigmachen. (...) Am liebsten würde ich dich mit meinen eigenen Händen erwürgen.» Die Situation spitzt sich zu, als die Verflossene eine neue Beziehung eingeht. Michael N. spielt mit dem Gedanken, das Paar zu überfahren. «Ich erwische euch schon noch», schreibt er per E-Mail. «Und dann gibt es Tote. Dann werden Menschen sterben!»

Tatsächlich versucht der Stalker, der schon zuvor etliche Male am Wohnort seiner Ex aufgetaucht war, sich kurz darauf gewaltvoll Zugang zu deren Wohnung zu verschaffen. Die Frau erstattet Anzeige, worauf N. per Strafbefehl wegen mehrfacher Beschimpfungen, Drohungen, Hausfriedensbruch und Missbrauch einer Fernmeldeanlage verurteilt wird.

«Meine Ex hat es herausgefordert!»

Die zur Bewährung ausgesprochene Geldstrafe in Höhe von 3000 Franken und die Busse von 500 Franken will er allerdings nicht akzeptieren, wie er zu Blick sagt. «Es ist eine Frechheit, dass man heute als Täter derart blossgestellt wird, während Menschen, die gekonnt das Opfer spielen, immer gut wegkommen!»

In ähnliches Selbstmitleid ergiesst sich auch Jonas F.** (35). Er wurde am 12. Januar 2022 wegen Beschimpfungen und Nötigungen verurteilt, weil er seiner Ex nachgestellt und sie in seinem Auto penetrant verfolgt hat. Auch er versprach ihr, sie «zur Sau» machen zu wollen. «Meine Ex hat es herausgefordert. Sie hat mich bewusst verletzt und provoziert. Aber schuld bin natürlich nur ich», findet der Mann aus dem St. Galler Oberland. Inzwischen sei die Sache für ihn allerdings abgehakt.

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Obwohl 80 Prozent der Stalker männlich sind, können auch Frauen zu Täterinnen werden, wie Andrea T.** (27) erfahren musste. «Meine erste Beziehung mit einer Frau war absolut toxisch. Es kam zu physischen und psychischen Übergriffen. Sie hat mich etwa mit einem Messer bedroht und es danach in die Wand geschlagen», sagt die Projektmanagerin und Teilzeitstudentin.

Rund zehn Jahre ist es her, dass T. die Beziehung beendet hat. Die aus Deutschland stammende Stalkerin begleitet sie seither aber wie ein dunkler Schatten. Auch nach der Trennung reist sie an den sechs Fahrstunden entfernten Arbeitsplatz der gebürtigen Aargauerin, tritt mit deren Familie in Kontakt. «Man fühlt sich ohnmächtig. Andere sagten mir, ich könne sie ja einfach blockieren. Doch das geht einfach nicht», sagt Andrea T.

Aus der Öffentlichkeit zurückgezogen

Kein Wunder: Bis heute späht die Stalkerin das Privatleben von T. aus, informiert sich über allfällige neue Partnerinnen. Letztmals kommt es im vergangenen Herbst zu einem Mail-Kontakt. Inzwischen hat T. Social Media den Rücken gekehrt und verzichtet in Absprache mit ihrem Arbeitgeber darauf, auf der Mitarbeiterseite aufgeführt zu werden. Öffentlich tritt T. damit praktisch nicht mehr in Erscheinung.

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Was bleibt, ist Verunsicherung und das Gefühl, mit den eigenen Ängsten nicht wirklich ernst genommen zu werden. Als einst jemand anonym wertvolle und persönliche Geschenke in ihrem Briefkasten platziert hatte, wagte Andrea T. erstmals den Gang zur Polizei – und wurde abgewiesen. «Man sagte mir, da könne man nichts tun. Ich solle mich doch einfach darüber freuen, wenn mir jemand Geschenke macht!»

* Name der Redaktion bekannt
** Name geändert

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Stalking-Gesetze brachten im Ausland keine Lösung

Stalking nimmt zu – doch wie sehr, ist in der Schweiz nicht bekannt. Denn eine statistische Erfassung der Stalking-Fälle ist praktisch unmöglich, weil die Schweiz den Straftatbestand «Stalking» nicht kennt. Die Politik diskutiert einen solchen zwar immer mal wieder, konnte sich aber bislang nicht zu einem Gesetz durchringen.

Als Erklärung werden etwa die Erfahrungen in Deutschland und Österreich herbeigezogen. Beide Länder verfügen seit 2006 respektive 2007 über Stalking-Strafnormen. Restlos glücklich ist man dort aber damit nicht geworden. Während vermeintlich harmlosere Fälle den Justizbehörden weiterhin nicht gemeldet werden, wären die meisten Vergehen wohl auch so vor dem Richter gelandet.

Schweiz erlaubt Fussfessel für Stalker seit diesem Jahr

Denn Stalking geht häufig mit anderen Delikten einher. Dazu gehören Drohungen, die als Nötigungen qualifiziert werden, physische Übergriffe (Körperverletzungen) oder auch Telefonterror (Missbrauch einer Fernmeldeanlage).

Die Schweiz hat sich deshalb für einen anderen Weg entschieden. Im Rahmen eines besseren Schutzes von Opfern von häuslicher Gewalt, ist es seit 1. Januar möglich, gegen Stalker ausgesprochene Annäherungs- und Rayonverbote mittels Einsatz einer Fussfessel zu überwachen.

Wie viel das in der Praxis tatsächlich bringen wird, ist kurz nach Einführung dieser Regelung noch unklar. Klar ist aber: Es wird langwierig und kompliziert, da die rechtlichen Hürden hoch liegen. Die elektronische Überwachung kann nämlich nur auf rechtskräftige Anordnung eines Gerichts erfolgen und muss verhältnismässig sein.

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