«Unsere Kinder wollen nur zu Hause bleiben und gamen»
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Familienvater ist frustriert:«Unsere Kinder wollen nur zu Hause bleiben und gamen»

Eine neue Studie zeigt
Darum verbringen Schweizer Kinder heute weniger Zeit draussen

Frische Luft ist gesund für Kinder – das ist unbestritten. Dennoch verbringen Kinder heute weniger Zeit draussen als früher. Experten erklären die Gründe – und wieso Kids von gut verdienenden Eltern am wenigsten draussen sind.
Publiziert: 23.01.2024 um 10:04 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2024 um 11:54 Uhr
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Kinder verbringen immer weniger Zeit draussen: Zu diesem Fazit kommt eine von der Kinder-Outdoor-Bekleidungsfirma Namuk in Auftrag gegebene Studie.
Foto: Gusmo
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Alexandra FitzCo-Ressortleiterin Gesellschaft

Wenn Eltern sagen: «Also gut, gehen wir noch schnell auf den Spielplatz» – dann liegt die Betonung auf «schnell». Wenn Eltern denken: «Ach, bleiben wir lieber drin, das Wetter ist so garstig, und bis die Kinder bloss angezogen sind ...» – dann heisst das im Klartext, dass sie keine Lust haben, hinauszugehen. Um diese Thematik geht es in einer Studie, die Blick vorliegt.

Das Meinungsforschungsinstitut Link wollte im Auftrag der Kinder-Outdoor-Bekleidungsfirma Namuk von über 1000 Eltern mit Kindern bis 15 Jahren in der gesamten Schweiz wissen: Wie viel Zeit verbringen eure Kinder täglich draussen?

Haupterkenntnis: Zwei Drittel der Eltern geben an, dass sie als Kinder selbst mehr Zeit an der frischen Luft verbracht haben als ihr eigener Nachwuchs. Die Hauptgründe sehen die Eltern in der gesteigerten Bildschirmzeit, dem schlechten Wetter und der fehlenden Sicherheit. Wir haben mit einem Psychologen, einer Erziehungswissenschaftlerin und einer Naturpädagogin über die Ergebnisse gesprochen – und nach Erklärungen gesucht.

Sind die Eltern ehrlich?

Zuerst zum Positiven: Im Schnitt sind Kinder in der Schweiz gemäss der Studie rund eineinhalb bis zwei Stunden draussen. «Das ist gar nicht wenig, sondern sehr gut», sagt Andrea Lanfranchi (66), emeritierter Professor an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. Wissenschaftlich ist klar: Draussen sein ist für Kinder sehr wichtig. «Outdoor-Aktivitäten stärken sowohl den Körper als auch die Psyche», sagt Lanfranchi. Spiel und Bewegung draussen fördere nicht nur die Motorik, sondern auch die soziale Kompetenz und das Selbstbewusstsein – bei kaltem Wetter werde zudem das Immunsystem trainiert.

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Doch sind die Eltern wirklich ehrlich, wenn es um die Outdoor-Aktivitäten ihrer Sprösslinge geht? Die Eltern geben in der Befragung an, dass die eigenen Kinder mehr draussen sind (128 Minuten) als andere Kinder (90 Minuten). Daraus könnte das schlechte Gewissen der Eltern sprechen: Sie wünschten sich, dass ihre Kinder mehr draussen sind. Und korrigieren die Zeit bei den eigenen Kids etwas nach oben.

Denn nicht nur Experten, auch Eltern wissen um die positiven Auswirkungen der Natur. Sie geben an, Kinder, die viel Zeit draussen verbringen, seien widerstandsfähiger, würden besser schlafen, weniger Zeit vor dem Bildschirm verbringen und seien zufriedener. Die Eltern wissen auch, dass ihr Einsatz und ihre Vorbildfunktion einen wesentlichen Einfluss auf die Outdoor-Zeit ihrer Kinder hat. Nur bei der Umsetzung hapert es.

Je reicher, desto weniger draussen

Erstaunlich: gemäss der Studie sind Kinder von Eltern mit höherem Einkommen und höherem Bildungsniveau weniger oft draussen. Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm (73) hat eine Erklärung dafür: «Besser situierte Eltern sind besorgt, dass der Bildungsrucksack des Nachwuchses gut gepackt ist. Deshalb schicken sie diesen für recht viel Geld in Förder-, Musik und sportaffine Kurse.» Logischerweise bleibe dann weniger Zeit, draussen unbekümmert mit anderen zu spielen.

Stamm macht für den Rückgang der Outdoorzeit auch gesellschaftliche Gründe verantwortlich: «Die Fläche, auf der Kinder sich frei bewegen dürfen, ist seit den 1970er Jahren massiv geschrumpft. Es gibt weniger Spielmöglichkeiten, mehr Einschränkungen und Verbote». In unserer Gesellschaft gebe es eine Angst-, Sorge- und Sicherheitskultur, und diese habe Auswirkungen auf Eltern und das Spiel draussen. Psychologe Lanfranchi erinnert sich an seine Kindheit im Puschlav. Die Wohnungstüre sei meistens offen gewesen, als Kind hätten sie gar keinen Schlüssel gehabt. Heute könnten kleine Kinder die Türklinke beim Aus- und Eingang eines Mehrfamilienhauses meist gar nicht selber aufmachen.

Ohne Anleitung, ohne Vorgaben

Dazu kommt: Spielen draussen gilt oft als Zeitverschwendung. Dabei ist gerade freies Spielen enorm wichtig. Das sieht auch Nadja Hillgruber (55) so. Sie koordiniert seit 16 Jahren Waldspielgruppen für die Genossenschaft Feuervogel. Die «Dusse Verusse» Spielgruppe hat sieben Standorte, Wartelisten und eröffnet in Bälde eine weitere Gruppe in Honau LU. Naturpädagogin Hillgruber plädiert für eine Zeit ohne Reize und Animation, ohne Wettkämpfe. Für Eltern hat sie folgenden Tipp: «Geben Sie dem Kind Zeit, die Natur selbst zu erkunden, und füllen Sie es nicht mit Wissen ab. So klemmen sie nämlich seine Neugierde ab.»

Psychologe Lanfranchi meint, optimal sei es auch, wenn die Kinder draussen nicht ständig von Eltern und Pädagogen belagert würden, sondern auch unter sich etwas unternehmen können. Stamm sagt: «Wenn Kinder nicht mehr auch unverplant draussen spielen und sich frei mit anderen Kindern treffen können, ist das nicht entwicklungsangemessen.» Also in dem Fall: nix wie raus!

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