Es ist soweit. Christian Schönbächler (36) atmet noch einmal tief durch. Dann bindet er seine Dolly los. Nervosität breitet sich im Festzelt aus, erfasst Kuh für Kuh, Bäuerinnen und Bauern. Dolly muht dröhnend, ihre Atemwolke bleibt in der dicken Luft hängen. Es riecht nach Stroh und nach feuchtem Fell.
Schönbächler führt Dolly durch die Gasse zwischen Hunderten Kuhhintern. Draussen peitscht der Regen gegen die Zeltwand, am grauen Himmel kreisen Krähen. Zwölf Jahre lang haben die Landwirtinnen und Landwirte des Kantons auf diesen Samstag gewartet. Hier an der Schwyzer Eliteschau in Rothenthurm SZ zeigen sie ihren grössten Stolz: die schönsten Kühe in ihrem Stall.
Noch einmal zur Tränke, dann reihen sich Schönbächler und Dolly wenige Meter vor dem Ring in die Konkurrenz ein. Schönbächler blickt auf. Wird Dolly eine Schleife gewinnen, Ruhm nach Hause in seinen Einsiedler Stall bringen? Im Ring wartet der Richter.
Die Stimmung ist aufgeheizt
So ruhmreich wie an der Viehschau ist es um die Schweizer Landwirtschaft immer seltener bestellt. Zwar gilt sie nach wie vor als wichtiger Teil der nationalen Identität und wird mit hohen Direktzahlungen unterstützt. Doch gleich drei Abstimmungen haben sie in letzter Zeit unter Druck gesetzt: Es ging um Trinkwasser, Pestizide und Massentierhaltung. Die Landwirtschaft sei zu umweltschädigend, zu teuer, zu stur, heisst es immer häufiger.
Im Gegenzug klagen Bäuerinnen und Bauern über den steigenden administrativen Aufwand und die Auflagen, die sich ständig verändern. Preisdruck aus dem Ausland und die Auswirkungen des Klimawandels verschärfen die Situation. Kein Wunder, hat sich die Anzahl Schweizer Bauernbetriebe in den letzten 40 Jahren mehr als halbiert, wie das Bundesamt für Statistik schreibt.
Zwei weitere Volksinitiativen zur Landwirtschaft sind bereits in den Startlöchern. Ihr Ziel: den Selbstversorgungsgrad der Schweiz zu erhöhen. Von 49 auf 60 Prozent, fordert die SVP. Unter anderem dadurch, dass weniger Flüsse und Bäche zurück in ihren natürlichen Zustand versetzt werden sollen, wie es heute für den Umweltschutz getan wird. Dadurch könnten die Bauern mehr Ackerland behalten.
Franziska Herren (56) peilt sogar 70 Prozent Selbstversorgung an – durch vermehrten Anbau pflanzlicher Lebensmittel für Menschen statt Futtermais für Tiere. Denn auf rund 60 Prozent der Schweizer Ackerflächen wird heute Futter für die Fleischproduktion angebaut. Herren war bereits Initiantin der 2021 abgelehnten Trinkwasserinitiative. Mit Morddrohungen, zerstörten Plakaten und Podiumsabsagen war es einer der dreckigsten Abstimmungskämpfe der Schweizer Geschichte.
Weisse Hosen und ein Traktor
Schönbächler tätschelt Dollys Hals. Viele der Bauern um ihn herum tragen an ihrem grossen Tag weisse Hosen – ausgerechnet! Denn aus so einem Braunvieh kommt überraschend viel heraus, und das oft im ungünstigsten Moment. Links und rechts stehen Helferinnen und Helfer bereit, ausgerüstet mit Eimern und Küchenpapierrollen, um letzte Spritzer zu beseitigen.
Von der Zuschauertribüne winkt Schönbächlers Familie. Seine Frau Gabriela, seine drei kleinen Töchter Julie, Malou und Romy. Seit 2018 pachtet das Paar den Milchbetrieb am Rand von Einsiedeln, schon Christian Schönbächlers Mutter ist dort aufgewachsen. Im Stall stehen zwei Dutzend «Chueli», vom Haus gleich nebenan sieht die Familie in die Schwyzer Berge, bis zum Diethelm.
Noch vor wenigen Stunden hat Schönbächler die gigantischen Reifen seines Traktors durch die Glunggen gelenkt. Es war früh, sogar zu früh für die Hündeler, die für gewöhnlich auf dem Einsiedler Feldweg patrouillieren. Eigentlich ist sich Schönbächler den frühen Morgen gewohnt. Jeden Tag steht er um fünf Uhr auf: melken, misten. Doch letzte Nacht hat er nicht gut geschlafen. Er war aufgeregt.
«An der Viehschau können wir zeigen, woran wir gearbeitet haben», sagt er. Im Vergleich zu kleineren Schauen findet die Schwyzer Eliteschau nur alle zehn bis zwölf Jahre statt. Viele Bäuerinnen und Bauern wollten dabei sein, geschafft haben es nur wenige.
Für Schönbächler ist es «ein Riesen-Highlight», heute gleich mit zwei Kühen anzutreten – Dolly und Brocca. Auch wenn Schönbächler nervös ist, strahlt er Gelassenheit aus. «Die Viehschau ist die Belohnung für den Aufwand, den man als Bauer hat.»
Der Duft von frisch gemähtem Gras
«Achtung, Achtung!», dröhnt eine verstärkte Stimme durch das Zelt. Handorgelmusik und Festwirtschaft verstummen. Ein iPhone ist abgegeben worden, leider funktioniert es nicht mehr. «Sehr wahrscheinlich, weil ein 800 Kilo schweres Braunvieh draufgestanden ist.» Eine Gruppe hemdsärmelig wirkender Bauern in Chüeligurten bricht in schallendes Gelächter aus.
Bauer zu sein, das war schon immer Schönbächlers Traum. Besonders schön findet er Momente wie den ersten Kaffee am Morgen nach dem Stall, wenn alles noch ganz still und friedlich ist. Dann die Arbeit mit den Tieren und der Natur. Wie das Gras riecht beim Heuen im Frühsommer. Diesen ganz besonderen Mix aus Freiheit und Gebundenheit. «Ich produziere Nahrungsmittel – das gibt mir das Gefühl, etwas Sinnvolles, Wichtiges zu tun», sagt er.
Doch immer mehr Bauern machen sich vom Acker. 2020 fiel die Anzahl Schweizer Betriebe erstmals unter 50'000. Einen der Gründe sieht Schönbächler in der hohen Verbindlichkeit, die immer weniger zur heutigen Gesellschaft passen will: Wenn irgendetwas ist, kommt der Stall zuerst. «Ausser vielleicht bei der Taufe der Tochter», sagt Schönbächler und lacht.
Milchbäuerinnen erhalten 33 Prozent des Verkaufspreises
Die Milch seiner Kühe verkauft Schönbächler an die Milchmanufaktur Einsiedeln. Ein guter Deal, daraus wird Käse und Joghurt im Hochpreissegment hergestellt. «Dass der Milchpreis stimmt, erlaubt uns, nicht jeden letzten Liter aus der Kuh drücken zu müssen.»
Denn vom Ladenpreis komme immer weniger bei den Bauern an, schreibt «die Grüne», eine Fachzeitschrift für Landwirtschaft: Erhielt der Milchbauer 1950 noch 81 Prozent des Verkaufspreises, sind es heute im Schnitt 33 Prozent.
Viele Leute hätten eine falsche Vorstellung von der Landwirtschaft. Schönbächler vermutet: «Vielleicht hat man in den letzten Jahren zu wenig erklärt, was wir eigentlich machen – und in der Werbung die heile Welt vorgegaukelt.» Denn die Landwirtschaft sei zwar schön, aber auch hart.
Dann geht es los. Acht Kühe und acht Bauern setzen sich in Bewegung. Nacheinander betreten sie den Ring, ziehen Kreise um den Richter. In der zwanzigsten Kategorie des Tages wird die Lebensleistung der Tiere ausgezeichnet. Dolly wird bald elf Jahre alt. Schweizer Schnitt: 6,9 Jahre. Sie hat insgesamt mehr als 62'000 Liter Milch gegeben und acht Mal gekalbert.
Dass sie die Elite des Kantons sind, scheint die auf Hochglanz gestriegelten Kühe kaltzulassen. Statt elegant zu traben, staksen sie eigenwillig durch den Ring. Vorne muss man ziehen, hinten stossen.
Von Vögeln und Insekten
Hühner gackern, Schweine grunzen. «Den Kopf in den Sand zu stecken, kann nicht die Antwort sein», meint Tiana Moser (43) an einem anderen Tag auf einem anderen Hof. «Es geht um unsere Lebensgrundlage.» Die Fraktionschefin der grünliberalen Partei sitzt auf dem Quartierhof Wynegg mitten in der Stadt Zürich in der Sonne. Als ihre Kinder kleiner waren, ist Moser ab und zu mit ihnen hierhergekommen.
Moser fordert eine ökologischere Landwirtschaft, setzte sich für die Trinkwasser-Initiative ein, etablierte einen Aktionsplan für die Pestizidreduktion. «Insekten- und Vogelsterben, die Versauerung unserer Gewässer, Böden und Wälder sind eine Realität, die wir dringend angehen müssten.»
Das Problem sieht Moser jedoch eher in der aus der Zeit gefallenen Agrarpolitik, weniger bei den Landwirtinnen und Landwirten. «Dass die Situation für sie schwierig ist, ist klar – ausserdem sehen viele Bäuerinnen und Bauern die Herausforderungen. Sie wollen sich verändern.» Das Ziel sollte sein, diese zu unterstützen statt zu bremsen.
Was Moser irritiert, ist, dass es in der Agrarpolitik ein dermassen starkes Gegeneinander geworden sei. «Schliesslich haben alle dasselbe Ziel: eine produzierende Landwirtschaft, die auch in Zukunft bestehen kann», sagt sie. «Und sogar der Direktor vom Bundesamt für Landwirtschaft sagt, dass dies nicht der Fall sein wird, wenn wir so weitermachen.»
18./19. April: Viehschau in Grindelwald BE, Itramen und Bärplatz
Inmitten der Alpenidylle werden die schönsten Kühe im Gletscherdorf Grindelwald ausgezeichnet.
3. Oktober: Kantonale Viehschau in Appenzell
Wenn die Appenzeller Bäuerinnen und Bauern in ihren Trachten von der Alp zurückkehren, feiern sie auf dem Brauereiplatz ihre schönsten Zuchtkühe – inklusive Blumenschmuck und ledernen Kniebundhosen.
7. Oktober: Kantonale Grossviehschau in Schattdorf UR
Schönster Euter, Miss Genetik oder Miss und Mister Uri? An der Urner Grossviehausstellung kommen die schönsten Kühe und Stiere des Kantons zusammen.
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So weitermachen wie bisher, genau das sei mit der Agrarpolitik 22+ der Fall, betonte Moser diesen März in der Agrar-«Arena». «So ist die Reform ökologisch eine absolute Nullrunde», sagt sie und blickt der Hofkatze zu, die über den Vorplatz schleicht. «Damit schieben wir die Probleme einfach auf, ohne ihre Ursachen zu lösen.» Es sei wie beim Klimawandel: Je früher man die Weichen umstelle, desto weniger schmerzhaft werde es.
Die Landwirtschaft digitalisieren
Von «chloibig» über langdrüsig, prall, ausbalanciert, gut verwachsen bis zu hervorragend verbunden: Die Anzahl Adjektive, um die Euter zu beschreiben, scheint endlos.
«Ich verstehe, dass sich die Landwirtschaft verändern muss», hat Schönbächler am Morgen gesagt. Deshalb arbeitet er bei der Entwicklung des digitalen Hofmanagers Barto mit, der die Landwirtschaft digitalisieren, Bäuerinnen und Bauern fit für die Zukunft machen soll. Die App soll den administrativen Aufwand auf dem Bauernhof verkleinern.
Denn um die Direktzahlungen des Bundes zu erhalten, wird auf einem Bauernhof jeder Handgriff dokumentiert: Wann man erntet, «güllet», die Kühe auf die Weide lässt. Dazu kommt die Bilanz Anfang Jahr, zukünftig werde man wohl auch die CO₂-Bilanz berechnen müssen. «Ein riesiger Aufwand», sagt Schönbächler. Die App soll die Daten als Schnittstelle zusammentragen.
Wie das bei seinen Kolleginnen und Kollegen ankomme? «Für einige kommen wir zehn Jahre zu spät, andere sind extrem skeptisch und werden auch weiterhin mit Stift und Papier arbeiten.»
Ein Beruf verändert sich
Der Entscheid ist gefallen. Ein letztes Mal stellen sich Kühe und Bauern in einer Reihe auf. Zeit für die Rangverkündigung. Besonders beeindruckt hat den Schiedsrichter die Kuh Vierra, dicht gefolgt von Denise und Arosa. Dolly landet auf dem sechsten Platz. «Das ist völlig okay», sagt Schönbächler lächelnd, als er seine Kuh wieder aus dem Ring führt. «Die Konkurrenz war stark.» Von der Tribüne klatscht und jubelt es.
Bauer – es ist nach wie vor Schönbächlers Traumberuf. «Aber es ist wichtig, dass wir uns ständig weiterentwickeln.» Als er vor 20 Jahren in die Lehre kam, sei es ein ganz anderer Beruf gewesen, hat er am Morgen auf dem Traktor gesagt. «Und in zehn Jahren wird er sich wieder komplett verändert haben.»
Den kommenden Anpassungen müsse man sich stellen. «Schliesslich machen wir das alle freiwillig.» Schönbächler bugsiert Dolly zurück zum Stellplatz. Draussen regnet es noch immer. Später wird er seine Kühe nach einem langen Tag wieder verladen und in den Stall zurückbringen, dort wieder misten und melken.
Aber zuerst will er seine Familie und Freunde suchen und mit ihnen anstossen. Denn die Landwirtschaft ist hart. Für Schönbächler ist sie trotzdem wunderschön.
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