Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände: Schon jetzt kosten gemäss Zahlen des Rats der Europäischen Union die wirtschaftlichen Folgen der Klimakatastrophe die Volkswirtschaften vieler Länder Milliarden. Frankreich, Spanien, Italien: zusammengerechnet 2 Milliarden Euro Schaden aufgrund von Waldbränden. Gesamteuropa: 5 Milliarden pro Jahr wegen Flussüberschwemmungen. Ausserhalb Europas sieht es nicht besser aus. USA: Allein Hurrikan Katrina verursachte bereits im Jahr 2005 150 Milliarden Dollar an Infrastrukturschäden und Wiederaufbaukosten. Pakistan: 10 Milliarden wegen Überschwemmungen.
Auch die Schweiz blieb nicht verschont: Überschwemmungen und Bergrutsche sind das eine, Dürren und mangelnder Schneefall das andere. Bauern müssen aus dem Ausland Heu zukaufen, weil eigene Wiesen wegen Regenmangel nicht mehr genug Ertrag liefern. Der Wintertourismus bricht ein, weil kein oder nicht genügend Schnee liegt. Das alles schadet unserer Volkswirtschaft – uns allen. Von den Menschenleben, die weltweit durch Brände, Überschwemmungen und Hitzetode verloren gehen und gingen, gar nicht zu reden. Und: Wir stehen erst am Anfang.
Eine brandgefährliche Idee
Dabei gäbe es eine Idee. Eigentlich. Eine bestechend einfache und gleichzeitig aber so brandgefährliche und politisch so umstrittene Idee, dass sie zu versanden droht, bevor sie richtig erforscht ist. Was, wenn wir einfach die Sonne verdunkeln? Respektive: wir die Atmosphäre in den oberen Luftschichten so verändern, dass sie mehr Sonnenlicht zurück ins All wirft? Der renommierte Klima-Ökonom und Umweltwissenschaftler Gernot Wagner (42), Professor an der Eliteuniversität Columbia Business School und Autor des neu erschienenen Buchs «Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln?», weiss: Die Temperatur in den unteren Schichten der Atmosphäre und damit sowohl die Erdoberfläche wie auch die Meere würden so automatisch abkühlen. Und da kühlere Luft weniger Feuchtigkeit aufnimmt und sie weniger lang speichert, könnten sich die Niederschlagsmengen auch wieder normalisieren. Es könnte voraussichtlich auch in der Schweiz wieder öfter, dafür aber weniger sintflutartig regnen – eben so, wie es früher war.
Der US-österreichische Doppelbürger Wagner, der an den Eliteuniversitäten Harvard und Stanford studiert und in Harvard promoviert hat, weiss ausserdem: Auch technisch machbar wäre dies mit relativ wenig Aufwand binnen einiger Jahre. Alles, was es braucht, sind Spezial-Transportjets und genügend Schwefel, Aluminiumoxid, Kalzit oder spezielle Salze, um mikroskopisch feines Pulver gleichmässig in der höheren Atmosphäre zu verteilen.
Diese Idee hat längst einen Namen: solares Geoengineering. Die gute Nachricht: Die Natur hat bereits vorgemacht, dass es funktioniert. Nach Vulkanausbrüchen, etwa dem des Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991, reflektierten die vom Pinatubo ausgeworfenen 15 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in der Stratosphäre rund zwei Prozent des Sonnenlichts, die globale Temperatur sank um 0,5 Grad – für mehr als ein Jahr. Die schlechte Nachricht: Die so in die Stratosphäre geschleuderten Aerosole – also Schwebeteilchen in Gas – oxidierten in der Luft. Die Schwefelsäure-Aerosole schwächten die Erholung der uns schützenden Ozonschicht auf Jahre hin. Die ETH forscht nun stattdessen unter anderem daran, wie sich harmlosere Kalzit-Staubteilchen in der Stratosphäre verhalten würden.
Unbeabsichtigte Nebenwirkungen in der Stratosphäre sind nur eines von vielen Problemen, die derart vielgestaltig sind und die nicht nur die Forschung, sondern auch die Politik und Wirtschaft betreffen, dass man sie nach Themen auseinanderdröseln muss – um erst danach zum Schluss zu kommen, weshalb globale Forschung zum Thema solares Geoengineering trotz allen Bedenken eine gute Idee ist.
Unser grundsätzliches Problem mit dem CO2
Zu viel CO2 in der Luft lässt nicht nur die Temperaturen global steigen und deshalb das Wetter lokal verrückt spielen, es hat auch noch weitere Auswirkungen auf die Umwelt. Etwa die Versauerung der Meere – auch die Meere nehmen CO2 auf. Dadurch wird die Zusammensetzung des Wassers saurer. Ab einem gewissen Punkt können Organismen, die sich mit kalk- und chitinhaltigen Panzern vor Frassfeinden schützen, nicht mehr leben, da das «saure» Wasser Kalk löst.
Nicht nur grössere Organismen wie Korallen und Muscheln bekommen so Probleme, sondern auch Kleinstlebewesen wie Krill. Und die sind wiederum Grundlage für ganze Nahrungsketten. Bricht die Krillpopulation ein, lösen sich die Korallenriffe auf, sieht es in unseren Meeren bald einmal ziemlich leer aus. Grob gesagt: Ohne Reduktion von CO2 in der Luft und bei weiterem CO2-Ausstoss kein Fischfang in der Zukunft – weil überhaupt keine Fische mehr da sind.
Viel CO2 in der Luft macht ausserdem Mensch und Tier krank, fett und dumm – Pflanzen brauchen zwar CO2, um zu wachsen. Je grösser aber die Konzentration während des Wachstums, desto geringer ihr Nährwert. Der Anteil an Proteinen und Mineralien wie Eisen und Zink sinkt je nach CO2-Konzentration während des Pflanzenwachstums um bis zu 15 Prozent, der von B-Vitaminen sogar um rund ein Drittel. Dafür lagern die Pflanzen mehr Stärke in Form von Zuckern ein – also Kohlehydrate. In Zeiten, in denen die Ernährungssicherheit der Menschen grundsätzlich zunehmend bedroht ist, ist auch dies ein ernst zu nehmendes, zusätzliches Problem.
Fazit: Auch wenn man mittels solarem Geoengineering die Temperatur des Planeten garantiert risikolos senken könnte – was man bis anhin nicht kann –, hätte man die Probleme, die das CO2 in der Atmosphäre neben dem Temperaturanstieg zusätzlich verursacht, nicht gelöst. Sollte man trotzdem daran weiterforschen? «Absolut nicht!», sagen gemäss Wagner viele Linke und Grüne. «Absolut!», sagen andere – was zu den nächsten, diesmal politischen Problemen führt.
Solares Geoengineering, im Speziellen das Verteilen von Aerosolen in der Stratosphäre, könnte im besten Fall eine Möglichkeit unter mehreren sein, die Klimakatastrophe und damit der Kollaps der Nahrungsketten zu verzögern. Im schlechtesten Fall könnte die Anwendung eines solchen Verfahrens aber auch katastrophale globale Auswirkungen nach sich ziehen. 60 internationale Wissenschaftler haben sich deshalb 2022 dafür ausgesprochen, die Forschung zu solarem Geoengineering stark einzuschränken und Patente zu verbieten.
Die sehr reale Möglichkeit, dass der Menschheit nichts anderes übrig bleibt, als in naher Zukunft ein solches Verfahren anzuwenden, steht aber weiterhin im Raum. Viele Fragen sind noch offen und bedürfen extensiver Forschung. So ist zum Beispiel noch unklar, welches Element am geeignetsten wäre. Schwefel, der nach Vulkanausbrüchen in die Stratosphäre gelangt, senkt erwiesenermassen die globale Temperatur, schwächt aber auch die Ozonschicht und fällt schliesslich als «saurer Regen» zu Boden. Kalzit scheint gemäss neuster Forschung erfolgsversprechender zu sein. Was aber ein globaler Eintrag von Chemikalien in die Stratosphäre mit den Meeren, mit Mikroorganismen im Boden, mit lokalen Wetterphänomenen anstellt, ist in grossen Teilen noch unerforscht.
Solares Geoengineering, im Speziellen das Verteilen von Aerosolen in der Stratosphäre, könnte im besten Fall eine Möglichkeit unter mehreren sein, die Klimakatastrophe und damit der Kollaps der Nahrungsketten zu verzögern. Im schlechtesten Fall könnte die Anwendung eines solchen Verfahrens aber auch katastrophale globale Auswirkungen nach sich ziehen. 60 internationale Wissenschaftler haben sich deshalb 2022 dafür ausgesprochen, die Forschung zu solarem Geoengineering stark einzuschränken und Patente zu verbieten.
Die sehr reale Möglichkeit, dass der Menschheit nichts anderes übrig bleibt, als in naher Zukunft ein solches Verfahren anzuwenden, steht aber weiterhin im Raum. Viele Fragen sind noch offen und bedürfen extensiver Forschung. So ist zum Beispiel noch unklar, welches Element am geeignetsten wäre. Schwefel, der nach Vulkanausbrüchen in die Stratosphäre gelangt, senkt erwiesenermassen die globale Temperatur, schwächt aber auch die Ozonschicht und fällt schliesslich als «saurer Regen» zu Boden. Kalzit scheint gemäss neuster Forschung erfolgsversprechender zu sein. Was aber ein globaler Eintrag von Chemikalien in die Stratosphäre mit den Meeren, mit Mikroorganismen im Boden, mit lokalen Wetterphänomenen anstellt, ist in grossen Teilen noch unerforscht.
Polit-Problem 1: Ideologie verblendet sowohl links als rechts
Nicht nur die rationale Wissenschaft, sondern auch die Psychologie treibt unsere Entscheidungen – und auch die von Politikern. Auch wenn der wissenschaftliche Konsens – dass wir komplett wegmüssen von fossilen Brennstoffen – klar ist, treffen unterschiedliche Ideologien aufeinander. Linke und grüne Politiker hierzulande wie auch US-Demokraten setzen auf Verbote, auf Steuern auf fossile Brennstoffe und auf die Entwicklung alternativer Energien und Technologien. Dies kommt wieder den wirtschaftsfreundlichen Rechten in die Quere. So befürchtet global gesehen die westliche Linke, dass Forschung, die eine (Teil-)Lösung für den Klimawandel verspricht, ohne aber das Grundübel an der Wurzel zu packen – unseren CO2-Ausstoss zu stoppen – von der Rechten instrumentalisiert wird, um nichts ändern zu müssen. Unter anderem deshalb haben sich letztes Jahr 60 internationale Wissenschaftler dafür ausgesprochen, die Forschung zu solarem Geoengineering stark zu regulieren.
Wagner zeigt in seinem Buch auf, dass sie und die Linke damit nicht unrecht haben. Zumindest in den USA haben diverse republikanische Politiker, unter anderem der Trump-Berater und ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich (79) Anfang des Jahrtausends Falschaussagen zu Geoengineering verbreitet: «Geoengineering verspricht, die Probleme der globalen Erwärmung für nur ein paar Milliarden Dollar pro Jahr zu lösen», sagt er im Jahr 2008.
Wagner erklärt in seinem Buch, wie schlecht es für die Forschung gewesen wäre, hätte Donald Trump (76) in seiner Amtszeit die Forschung zu solarem Geoengineering gefördert – das wäre Grund genug gewesen für viele Demokraten, sagt Wagner sinngemäss, dem ganzen Forschungsfeld grundsätzlich zu misstrauen. Mit potenziell katastrophalen Folgen – doch dies wirft ein neues Problemfeld auf: das der sogenannten «Governance», auf Deutsch ist dies nur unzulänglich mit «Führung» zu übersetzen. Es geht darum, wer beim Einsatz potenziell gefährlicher Technologien entscheidet und wofür verantwortlich ist.
Polit-Problem 2: Wer tut was und wer ist wofür verantwortlich?
Ein globales Problem verlangt nach globalen Lösungen – in einer idealen Welt. In der Realität stehen eigene Interessen oft im Vordergrund. «America First», die Devise von Trump, ist nur ein Beispiel – in diversen Ländern ist Nationalismus auf dem Vormarsch. Und wenn es an die eigene Existenz geht, tendiert so mancher dazu, unausgegorene, vermeintliche «Lösungen» auszuprobieren.
Wagner macht in seinem Buch erschreckende Beispiele, wie eine Zukunft aussehen könnte, in der finanzstarke, vom Klimawandel stark betroffene Länder einfach auf eigene Faust handeln. So könnte etwa Saudi-Arabien, das grundsätzlich sowieso an einer weiteren Ölförderung interessiert ist und das im Jahr 2018 gemeinsam mit dem Trump-Regime eine internationale Lösung zur Regulierung der Forschung zu solarem Geoengineering blockiert hat, auf eigene Faust das lokale Klima zu kühlen versuchen – bereits im Jahr 2020 wurde im Juli in Riad die Rekordtemperatur von 51,1 Grad gemessen. Arbeiter draussen können bei solch einer Temperatur nicht lange überleben. Und mit fortschreitender Klimakatastrophe werden diese Extremtemperaturen – nicht nur in Saudi-Arabien – weiter steigen.
Die Versuchung, lokal schnell abzuhelfen, ist gross, wenn es um das eigene Überleben geht. Eine ausschliesslich lokale Temperaturkontrolle mittels solarem Geoengineering könnte aber ungeahnte globale Folgen auf die Nahrungsmittelsicherheit haben, etwa das Aussetzen des Monsuns in Indien und global gesehen grosse Ernteausfälle. Es ist also grundsätzlich eine gute Idee, global weiterzuforschen, um auf einer möglichst sicheren Seite zu sein, sollte man die Technologie in Zukunft wirklich brauchen.
Was also tun?
Solares Geoengineering ist rein als Gedankenexperiment bereits erschreckend. Die Atmosphäre zu verändern, unseren Himmel zu verändern, hat etwas Biblisches, Apokalyptisches. Einige Ethikkommissionen und Umweltwissenschaftler wie etwa Ivo Wallimann-Helmer, Philosoph und Professor für Environmental Humanities an der Universität Freiburg sowie dort Direktor des Environmental Sciences and Humanities Institute, gehen jedoch davon aus, dass es in naher Zukunft keine andere Möglichkeit gibt: «Geoengineering – die technische Manipulation des Klimas – muss mit hoher Wahrscheinlichkeit schon bald im grossen Stil Wirklichkeit werden», schrieb er schon 2018 in einem Artikel. Und auch Wagners Fazit ist: Um der Menschheit genügend Zeit zu geben, das Problem des CO2-Ausstosses zu lösen, bevor die Bedingungen für menschliches und das meiste tierische Überleben global gesehen zu katastrophal werden, muss die Forschung ideologiefrei in sämtliche Richtungen gehen dürfen.
Was wissenschaftlich gesehen zweifelsfrei klar ist: Millionen Bäume zu pflanzen allein, reicht nicht. Den CO2-Ausstoss irgendwann in der Zukunft auf null zu bringen, reicht auch nicht – das CO2 in der Atmosphäre muss mittels bereits existierenden Technologien in grossem Stil entfernt und wieder im Boden gelagert werden. Nur braucht all das Zeit. Zeit, Bäume zu pflanzen, Zeit, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, Zeit, unsere Technologien so weiterzuentwickeln, dass sie nicht von fossilen Brennstoffen abhängen. Zeit, die die Menschheit zunehmend nicht mehr hat. Solares Geoengineering könnte dabei, wenn global gesehen in die richtige Richtung geforscht wird, das immer kürzere Zeitfenster verlängern, das uns zum Überleben als Spezies bleibt.