«No donut is worth a life»: Mit diesem Slogan – übersetzt «Ein Donut ist kein Leben wert» – macht Dechoker LLC neben zahlreichen anderen US-Firmen auf Social-Media-Plattformen wie Instagram Werbung für einen sogenannten Anti-Asphyxie-Satz. Er besteht aus Masken in verschiedenen Grössen, die über Mund und Nase gestülpt werden, und einem manuell bedienbaren, analogen Gerät, das – wie beim Auseinanderziehen einer Ziehharmonika – ein Vakuum erzeugt und so Fremdkörper aus den Atemwegen saugen kann. 344 Leben habe der «Dechoker» bereits gerettet, steht in einer der Werbeanzeigen.
Algorithmen sorgen dafür, dass diese alarmistische Botschaft genau dort landet, wo sie am meisten Angst schürt: bei Eltern von kleinen Kindern. Wobei die Gefahr, dass Kinder Fremdkörper verschlucken, in der Schweiz weniger von Donuts ausgeht, sondern vielmehr von Erdnüssen, Heidelbeeren und anderen Lebensmitteln. Oder von Spielzeug wie Murmeln und allem, was herumliegt und interessant genug ist, es sich in den Mund zu stecken.
Kinder unter 5 sind am meisten gefährdet
Verschluckt ein Kind einen Gegenstand, kann er im Kehlkopf oder in der Luftröhre steckenbleiben. Zu den meisten Todesfällen kommt es in diesem Zusammenhang bei Kindern unter fünf Jahren. Es ist die Horrorvorstellung aller Eltern: Die Tochter oder der Sohn kann den Fremdkörper nicht abhusten und droht zu ersticken. «Sofort kaufen, jetzt!», ist der erste Gedanke, wenn Mütter oder Väter von einem vielversprechenden Anti-Erstickungsgerät hören. Aber ist die Anschaffung überhaupt sinnvoll?
«Wir haben einen solchen ‹Dechoker› neben vielen anderen Geräten für Kinder, die am Ersticken sind, in unserem Schockraum», sagt Georg Staubli (56), Chefarzt der Notfallstation des Universitäts-Kinderspitals Zürich. «Eltern rate ich davon ab, einen ‹Dechoker› zu kaufen. Solche Tools gehören in die Hände von Fachpersonal.»
In einer Notfallsituation ein Gerät richtig zu bedienen, das man nicht regelmässig verwendet, ist äusserst schwierig. Im schlimmsten Fall mache man die Situation noch schlimmer, sagt Staubli. Zudem sei es unrealistisch, das Gerät jederzeit griffbereit zu haben, wenn man mit dem Kind unterwegs ist. «Die Hände hat man hingegen immer dabei.» Mit ihnen kann man auf den Rücken schlagen und das sogenannte Heimlich-Manöver ausführen. «In 99,9 Prozent der Fälle reicht das erfahrungsgemäss, um das Atmen wieder möglich zu machen.» Staubli empfiehlt, statt in einen «Dechoker» in einen Kurs für Notfälle bei Kleinkindern zu investieren. Schweizer Kinderspitäler und die Samariter Schweiz bieten diese regelmässig an.
Eine Anleitung, die sich alle Eltern wünschen
Anders sieht das Sergio Wenner (50) von Sinoma auf Anfrage. Die Firma mit Sitz in Wangen-Brüttisellen ZH vertreibt den Anti-Asphyxie-Satz «Lifevac» in der Schweiz sowie Österreich. Sinoma bietet zudem auf Firmen und Institutionen zugeschnittene Kurse für Erste Hilfe und Arbeitssicherheit an, in denen unter anderem die Handhabung von Anti-Asphyxie-Sätzen an Puppen erklärt wird. Für Kinderkrippen, Altersheime und ähnliches ergebe es Sinn, eines dieser Geräte im Notfallkoffer bereitzuhaben, sagt Wenner. Auch Privatpersonen könne er sie empfehlen, sofern diese sich nicht zum ersten Mal mit dem Thema Erste Hilfe beschäftigen. «Natürlich ist es primär wichtig, ohne Hilfsmittel helfen zu können. Ist ein Anti-Asphyxie-Satz aber in Griffnähe, ist es aus meiner Sicht die effektivste Möglichkeit, einen Gegenstand aus der Luftröhre zu entfernen.»
Georg Staubli (56) ist Spezialist für Kindernotfallmedizin, Chefarzt der Notfallstation des Universitäts-Kinderspitals Zürich und der Kinderpermanence Circle.
Georg Staubli (56) ist Spezialist für Kindernotfallmedizin, Chefarzt der Notfallstation des Universitäts-Kinderspitals Zürich und der Kinderpermanence Circle.