Auf einen Blick
Als sie in die Wechseljahre kam, hatte Andrea Florio keine Ahnung, was los war. Sie war 39, im Backoffice eines Brokers tätig, mit sich und der Welt unzufrieden. War das nun die Midlife-Crisis? Um beruflich weiterzukommen, nahm sie eine Führungsposition in einer Versicherung an. Drei Jahre später war sie am Anschlag. Sie litt an heftigen Hitzewallungen, schlief oft erst um zwei oder drei Uhr ein. Hallo Menopause. «Das war superanstrengend. Im Job habe ich nur noch wie ein Roboter funktioniert», sagt sie. Sie war vergesslich, machte Flüchtigkeitsfehler. Ihre Chefin setzte ihr eine zweiwöchige Frist, um die Leistung zu verbessern.
Burnout – und entlassen
Als Andrea Florio 45 war, wurde sie mit der Diagnose der emotionalen Erschöpfungsdepression – landesüblich als Burnout bekannt – krankgeschrieben. Und als die dreimonatige Sperrfrist um war, erhielt sie die Kündigung. «Meine Chefin war jung und businessorientiert. Ihr fehlte die Erfahrung, um mit der Situation anders umgehen zu können.»
«Schlechter kann man es als Arbeitgeber kaum machen», findet Joëlle Zingraff, Co-Chefin und Gründerin von The Women Circle. Sie berät Firmen, die Frauen in der Menopause unterstützen wollen, und hat schon oft erlebt, dass jene Frauen in ein Burnout schlittern.
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Auch Petra Stute, stellvertretende Chefärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Inselspital Bern, kennt diese Verläufe. «Die Wechseljahre kommen schleichend», sagt sie. Wenn es schon um die vierzig losgeht, können die Frauen ihre Symptome selten einordnen. Aber auch danach erhalten viele zu spät medizinische Unterstützung. «Weil sie denken, sie seien einfach gestresst, oder es sei das Alter.»
Hitzewallungen und Schlafstörungen
Aus der Forschung weiss man, wie verbreitet Wechseljahrbeschwerden sind: Zwischen 40 und 50 Jahren haben 30 Prozent der Frauen starke Hitzewallungen, weitere 30 Prozent mittlere. 60 Prozent haben Schlafstörungen. Und das Risiko, eine depressive Episode zu erleben, ist 2,5-mal erhöht, verglichen mit jüngeren Jahren.
Dennoch sind die Wechseljahre bis heute ein Tabu. Auch und vor allem am Arbeitsplatz. In vielen Betrieben trauen sich Frauen kaum, das Wort auszusprechen. Ein Schweigen, das die Gesundheit, die Leistung und den beruflichen Aufstieg gefährdet, weil es jede Unterstützung verhindert. «Das ist traurig», sagt Zingraff. «Und genau das wollen wir verändern.»
Grossbritannien macht es anders
Im Vereinigten Königreich ist man da schon weiter: Dort ist seit rund fünf Jahren eine eigentliche Menopausen-Revolution im Gang. An vorderster Front kämpft die Abgeordnete Carolyn Harris, die selbst eine schwere Zeit durchgemacht hat, für die Entstigmatisierung.
So wurden im Parlament die Kosten der Hormonersatztherapie und das Fehlen einer Menopausen-Politik am Arbeitsplatz zum Thema. 2022 wurde eine parlamentarische Menopausen-Taskforce gegründet, die Harris bis heute präsidiert. Und heute haben 26 Prozent der britischen Firmen Menopausen-Richtlinien.
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Pensum reduzieren, kündigen, frühzeitige Pension
Eine grosse Umfrage bei Frauen mit Wechseljahrsymptomen aus Grossbritannien zeigte 2021, welch einschneidende Konsequenzen die Menopause auf die Karriere von Frauen hat: 18 Prozent dachten darüber nach, ihren Arbeitsplatz aufzugeben, weil sie nicht die nötige Unterstützung bekamen.
Laut einer anderen grossen Studie aus demselben Jahr verliessen fast ein Viertel der Frauen mit Wechseljahrbeschwerden ihren Arbeitsplatz. Diese Zahlen wurden jüngst im deutschsprachigen Raum bestätigt. In einer repräsentativen Umfrage aus Deutschland reduzierten 24 Prozent der Frauen mit Symptomen das Pensum, 18 Prozent kündigten, und 10 Prozent gingen frühzeitig in den Ruhestand.
Eine kleine Umfrage in der Schweiz berichtet Ähnliches: 22 Prozent der Befragten mit Wechseljahrbeschwerden zogen in Erwägung, die Stelle zu kündigen. 45 Prozent hatten das Gefühl, dass die Symptome ihre Arbeit beeinträchtigen, bei 21 Prozent so stark, dass sie sich krankmelden oder Ferien nehmen mussten.
Firmen können auf diese Frauen nicht verzichten
Das lässt Arbeitgeber aufhorchen. Wegen der Produktivitätsverluste. Aber auch, weil es sie teuer zu stehen kommt, wenn erfahrene Mitarbeiterinnen gehen. Der Beratungskonzern Pricewaterhouse Coopers weist darauf hin, dass postmenopausale Frauen auch in der Schweiz die am stärksten wachsende Arbeitnehmergruppe sind. In Zeiten des Fachkräftemangels kann man es sich nicht leisten, einen so grossen Teil dieser Frauen zu verlieren.
In der Westschweiz haben das grosse Firmen wie Nestlé erkannt und das Angebot von The Women Circle in Anspruch genommen. Und auch in der Deutschschweiz steige das Interesse, sagt Joëlle Zingraff. Sie klärt mit Workshops Belegschaften und Führungskräfte auf, optimiert bei Bedarf Arbeitskleidung und bildet Menopausen-Expertinnen in Betrieben aus.
Oft brauche es keine teuren Massnahmen. «Eine Frau will mehr im Homeoffice arbeiten, eine andere den Schlüssel zum Sanitätsraum, um sich zwischendurch auszuruhen.»
Bei jeder kleinen Emotion musste sie weinen
Sonja Lehner, 50, kann als selbständiger Jobcoach flexibel arbeiten, doch die Menopause brachte auch sie an ihre Grenzen. Weil sie negative Auswirkungen auf ihr Geschäft fürchtet, will sie sich nur anonym äussern. Über die körperlichen Symptome habe sie Bescheid gewusst, sagt sie. Nicht aber über die psychischen und kognitiven, die ihr am meisten zu schaffen gemacht hätten.
Obwohl sie bis dahin sorglos gewesen und optimistisch durchs Leben gegangen war, musste sie auf einmal bei jeder kleinen Emotion weinen. Sie war 47, hatte sich kurz zuvor selbständig gemacht und einen Master in Coaching und Supervision begonnen – sehr ungünstig, dass dann die Nächte immer schlimmer, das Gedächtnis «löchrig» und die Konzentration «lausig» wurden.
Am liebsten auf einer Alp Hühner hüten
«Das war schlimm und beängstigend», erinnert sie sich. «Ich hatte das Gefühl, meine Hirnleistung würde nicht mehr für den Aufbau meines Geschäfts reichen.» Manchmal vergass sie Dinge komplett. «Ich konnte mich nicht einmal mehr erinnern, versprochen zu haben, einen wichtigen Anruf zu machen», sagt sie.
Es fiel ihr schwer, ihren Klienten im Gespräch zu folgen und adäquat auf sie zu reagieren. Manchmal habe sie gerade noch die Mails abarbeiten können – Berichte oder Konzepte schreiben lag über Tage hinweg nicht drin. Einen Acht-Stunden-Arbeitstag schaffte sie kaum noch.
Sie, die früher gern unter Leuten war – «je mehr, desto besser» –, vertrug auf einmal keine mehr. Was andere erzählten, kam ihr nur noch blöd vor. Am liebsten hätte sie auf einer Alp ein paar Hühner gehütet. «Das hätte meinem Zustand entsprochen.»
Es geht auch ohne Hormone
Geholfen hat ihr letztlich eine Hormonersatztherapie. Nach eineinhalb Jahren schlief sie dank Östrogen und Progesteron wieder gut und hatte ihre Emotionen im Griff. Eine minimale Dosis Testosteron brachte dann auch noch die Konzentrationsprobleme zum Verschwinden. Sonja Lehner hatte wie viele Frauen, die eine Hormonersatztherapie machen, das Gefühl, endlich wieder «ich selbst zu sein».
Sind Hormone also eine einfache Lösung für alle? «Natürlich nicht», sagt Petra Stute vom Inselspital. Obwohl die Hormonersatztherapie heute weitgehend als rehabilitiert gilt, es bessere (bioidentische) Hormone gibt und sie gezielter und niedriger dosiert werden, sind sie längst nicht für alle Frauen geeignet.
Die Hormonersatztherapie gilt zwar als Therapie der ersten Wahl, weil man damit oft mehrere Symptome zugleich wirksam reduzieren kann und sie zudem auch einen gewissen Schutz vor Osteoporose, Diabetes, Darmkrebs und kognitiven Veränderungen bietet. Aber es spielt auch eine Rolle, welche Vorgeschichte und Familienanamnese eine Frau hat, welche Beschwerden im Vordergrund stehen und was die Patientin möchte.
«Die Auswahl an Therapien ist heute recht gross», sagt Stute, «und man kann mehrere neben- oder nacheinander anwenden. Pflanzenmedizin, Akupunktur, Hypnose und die kognitive Verhaltenstherapie sind wissenschaftlich ebenfalls gut belegt.»
Plötzlich Angst vor Demenz
Andrea Florio, die ein Burnout erlitten hat, kann wegen Endometriose und eines Lymphödems keine Hormone nehmen. Ihre Schwester Pascale, 49, die sich ebenfalls beim Beobachter gemeldet hat, um ihre Erfahrungen zu teilen, kann wegen eines Myoms keine Hormone nehmen. Also behilft sie sich mit Yoga, Sport und pflanzlichen Medikamenten. Das bringt die Symptome zwar nicht zum Verschwinden, aber es dämpft sie immerhin.
Auch bei Pascale Florio wirken sich die Wechseljahre samt Schlafstörung, Stimmungsschwankungen und vernebeltem Gehirn – sogenanntem Brainfog – negativ auf die Arbeit aus. Manchmal hat die Fotografin und Marketingfachfrau tagelang eine «Sendepause im Gehirn». So schlimm, dass sie anfangs fürchtete, sie würde dement. Sie musste sich auf den Bürojob konzentrieren – was anstrengend genug ist. «Um keine Fehler zu machen, lese ich Texte zigmal durch oder lasse sie gegenchecken», sagt sie. «Das kenne ich nicht von mir, und das nervt mich total.»
Ihre vielleicht wichtigste Erkenntnis: Man muss es annehmen. «Es bringt nichts, dagegen anzukämpfen, diese Übergangsphase gehört nun mal zum Leben einer Frau.» Sie wünscht sich, dass man mehr über die Menopause spricht. «Über Schwangerschaften und durchwachte Kleinkinder-Nächte kann man im Büro mittlerweile reden – über die Wechseljahre meist nicht.»
Da ist auch bei den betroffenen Frauen ein Umdenken nötig. Auch sie können einen Beitrag leisten, indem sie die Dinge beim Namen nennen und so mithelfen, sie zu normalisieren. Wobei das einfacher gefordert als gelebt ist, weil sich Frauen dadurch auch angreifbar machen. Pascale Florio hat auch schon zu hören bekommen: «Ihr wollt die Gleichberechtigung, nun müsst ihr halt auch funktionieren.»
Zum Glück nicht von ihrem Chef. Er hat Verständnis – seine Frau geht im Moment durch dieselbe Hölle. Florio kann im Homeoffice arbeiten und später ins Büro kommen, wenn sie schlecht geschlafen hat, ohne dass sie Angst haben muss, deswegen gleich auf der Abschussliste zu stehen. Das geht auch ohne Workshop. Und damit wäre schon vielen Frauen geholfen.