Sexualberaterin über Menopause
«Wir sollten unsere Vorstellung von gutem Sex überdenken»

Für viele Frauen haben die Wechseljahre unmittelbare Auswirkungen auf ihren Alltag, zum Beispiel aufs Sexleben. Sexualberaterin Sibylle Ming erklärt, warum das so ist, und wie man Abhilfe schafft.
Publiziert: 19.11.2024 um 16:24 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2024 um 16:39 Uhr
Die Wechseljahre können eine Beziehung ganz schön belasten, zum Beispiel durch den Verlust der Libido.
Foto: plainpicture/Wavebreak

Auf einen Blick

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Ab etwa Mitte 40 – bei manchen Frauen auch früher – setzen die Wechseljahre ein. In dieser Phase wird der Zyklus der Frau immer unregelmässiger, bis er schliesslich (im Schnitt zwischen dem 51. und 54. Lebensjahr) ganz ausbleibt, die Frau also keinen Eisprung mehr hat und darum nicht mehr fruchtbar ist. Eine nicht ganz einfache Zeit für viele Frauen, da die körperlichen und psychischen Folgen der sogenannten Perimenopause und der Menopause (dem definitiven Ausbleiben des Zyklus) ihr Leben belasten können. 

Laut einer Umfrage der Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen (Forsa) fühlen sich 60 Prozent der Frauen während der Wechseljahre in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, 14 Prozent gar massiv. Und: Ein gutes Drittel der Frauen in der Perimenopause und Menopause gibt an, dass ihr Sexualleben leidet, in erster Linie aufgrund von Libido-Verlust, also einer nur noch sehr spärlich vorhandenen Lust auf Sex. Sibylle Ming (56), systemische Sexualberaterin und Sexualpädagogin, berät in ihrer Tätigkeit bei Sexuelle Gesundheit Aargau unter anderem betroffenen Frauen und Paaren, die mit den Herausforderungen der veränderten Sexualität zu kämpfen haben. Im Interview erzählt sie, dass oft nicht nur die Hormone für mangelnde Libido zuständig sind – und verrät ihren ultimativen Tipp zur Belebung des Sexuallebens. 

Sibylle Ming, was passiert denn eigentlich im Körper einer Frau in den Wechseljahren?
Sibylle Ming:
In erster Linie wird der weibliche Zyklus unregelmässiger, womit unter anderem verbunden ist, dass die Ausschüttung des weiblichen Sexualhormons Östrogen zuerst stark schwankt und dann immer mehr zurückgeht. Welche physischen und psychischen Auswirkungen dies hat, ist sehr individuell. Gut ein Drittel aller Frauen kommt ohne jegliche Beschwerden durch die Wechseljahre. 

Ein weiteres Drittel klagt aber darüber, dass der Hormon-Zirkus ihr Sexualleben beeinträchtigt. Woran könnte das liegen?
Der Rückgang des Östrogens hat unter anderem zur Folge, dass die Schleimhäute austrocknen, das zeigt sich zum Beispiel an trockenen Augen, trockener Haut oder eben auch Trockenheit im Vaginalbereich, was nicht nur beim Sex sehr unangenehm sein kann. Aber mit östrogenhaltigen Vaginal-Cremes gibt es gute Behandlungsmöglichkeiten. Ausserdem ist die Vagina, das weibliche Sexualorgan, durchaus in der Lage, auch mit niedrigem Östrogenspiegel feucht zu werden. Ich bin davon überzeugt, dass es weit mehr Einflüsse auf das Feucht-Werden gibt, als nur das gesunkene Östrogen.

Zum Beispiel?
In welcher Lebenssituation man sich befindet, wie der Beziehungsstatus – und die Beziehung an und für sich – aussieht, was für ein Typ Mensch man ist, oder wie man allgemein mit dem Älterwerden umgeht. Unser diesbezügliches Bild und Rollenverständnis sind stark veraltet. Sexualität kann bis ins hohe Alter gelebt werden. In unseren Köpfen sind Frauen, die im Alter noch Lust auf Sex haben, irgendwie komisch, und Männer «alte Glüschtler». Da muss ein Umdenken stattfinden. Das sollten wir übrigens auch, was die Definition von «gutem Sex» anbelangt.

Was heisst das?
Unsere Vorstellung von gutem Sex ist der, den man hat, wenn man frisch verliebt ist, spontan und wild – da spielen dann im Übrigen auch noch andere Hormone eine Rolle, zum Beispiel Adrenalin, Dopamin und Endorphin. Wenn dies unser Anspruch an ein gutes Sexleben bleibt, dann können wir im Laufe der Zeit – und im Laufe einer langen Beziehung – nur unglücklich werden. Dass viele Männer und Frauen in langjährigen, monogamen Partnerschaften fremdgehen, zeigt, dass viele sich nach dem Sex der Verliebtheitsphase sehnen, und die Vorstellung haben, dass dies guter Sex ist. 

Wer monogam lebt, opfert guten Sex?
Eben nicht zwingend. Wer sich entscheidet, monogam zu leben, sollte partnerschaftlich daran arbeiten, dass guter Sex auch anders sein kann als spontanes, lustvolles Übereinander-Herfallen. Überhaupt sollten wir Sexualität kreativer und facettenreicher definieren, als nur von genitalem Sex zu sprechen. Erotik ist wichtig, das kann auch gemeinsames Kochen oder Tanzen sein, sich Zeit füreinander nehmen. Auch das schafft Intimität – und Lust.

Sibylle Ming ist systemische Sexualberaterin und Sexualpädagogin bei Sexuelle Gesundheit Aargau.
Foto: KARIN FURTER

Nun haben Frauen in den Wechseljahren noch mit anderen Symptomen zu kämpfen, die auch nicht gerade lustfördernd sind, zum Beispiel unregelmässige, starke Blutungen oder Müdigkeit aufgrund von Schlafproblemen.
Das stimmt. Und Studien bezeugen, dass die Sexualität von Frauen störungsanfälliger als die von Männern. Wenn eine Frau müde oder gestresst ist, lässt ihre Libido schnell mal nach. Da gibts nur eines: offen reden, auch zum Beispiel über Dinge, ob plötzlich auftretende Blutungen beim Sex den Mann stören. Das ist nicht so einfach, weil es immer noch mit sehr vielen Tabus verbunden ist. Aber als Frau darf man sich ruhig auch mal bewusstmachen, dass auch bei Männern nicht immer alles einwandfrei funktioniert. Ab 50 leidet jeder zweite Mann hin und wieder unter Erektionsstörungen – also ist statistisch gesehen in dem Alter das Sexualleben von Männern häufiger beeinträchtigt als das von Frauen.

Bei Frauen kommt aber noch dazu, dass viele in den Wechseljahren zunehmen und sich nicht mehr so attraktiv fühlen.
Das kann ebenfalls Auswirkungen aufs Sexualleben haben. Aber erstens liegt Attraktivität im Auge des Betrachters, und zweitens ist sie unabhängig von Gewicht und Alter. Frauen sind diesbezüglich viel zu oft viel zu hart mit sich selbst. Dabei finden sie ihren Partner ja auch nicht plötzlich total unattraktiv, weil er einen Bauchansatz entwickelt oder Haarausfall hat. Umgekehrt ist es genauso. 

Die Perimenopause und Menopause können auch auf die Psyche schlagen.
Das stimmt, bis hin zu Depressionen. Wobei hier sehr schwer zu sagen ist, was tatsächlich hormonell bedingt ist und was nicht. Auch hier hilft, mit dem Partner reden und sich austauschen. Verständnis von beiden Seiten lässt das Problem meist kleiner werden. Und ich würde dazu raten, sich lieber früher als später professionelle Hilfe zu holen.

Alles in allem gibt es während der Wechseljahre also einige physische und psychische Ursachen, die zu Libido-Verlust führen können. Warum ist dieser eigentlich so ein Problem?
Wenn eine Person immer mehr Lust auf Sex hat als die andere, entsteht ein Ungleichgewicht, bei dem sich einer immer zu kurz gekommen fühlt und die andere Person in die Bringschuld kommt. Letzteres kann zu Vermeidungsstrategien führen, zum Beispiel früher ins Bett gehen. Das ist für beide Seiten eine stressige Situation. Das gilt übrigens nicht nur für heterosexuelle, sondern für alle Partnerschaften.

Sexualität sollte nicht nur als genitaler Sex definiert werden. Wichtig sind Vertrauen und Intimität.
Foto: F1online

Ab welchem Zeitpunkt empfehlen Sie einem Paar eine Sexualtherapie?
Wenn beide unzufrieden sind mit ihrem Sexleben, ihnen das Sprechen über dieses Thema aber schwerfällt. Die Hürde, sich in diesem Bereich Hilfe zu holen, ist nach wie vor sehr gross. Das ist schade, denn sexuelle Gesundheit ist Teil der psychischen Gesundheit und muss ernst genommen werden.

Ihr ultimativer Tipp, um das Sexualleben wieder in Schwung zu bringen?
Ich rate zum Beispiel gern zu Dates für Sex. Die meisten sind erst mal entsetzt, wenn man ihnen vorschlägt, sich zum Sex zu verabreden. Aber: Hätten Sie eine wilde, spannende Affäre, würden Sie ja genau das auch tun. 

Gibt es eigentlich auch positive Aspekte in Sachen Menopause und Sexualität?
Absolut. Gerade nach der Menopause gibt einem die Tatsache, dass man nicht mehr schwanger werden kann, eine Freiheit zurück, weil man sich keine Gedanken mehr über Verhütung machen muss. 

Apropos: Muss man in den Wechseljahren noch verhüten?
Ja, auch wenn sich die Abstände zwischen möglichen Eisprüngen vergrössern, können diese nicht ausgeschlossen werden und eine Schwangerschaft könnte eintreten. Es wird geraten, noch bis zu einem Jahr nach der definitiven Menopause weiter zu verhüten, also bis zwei Jahre nach der letzten Blutung. 

Und welche Methode ist die beste?
In einer langjährigen Partnerschaft könnte der Mann sich unterbinden lassen, das ist sowieso die sicherste Verhütungsmethode. Dann wird gern zu Kupfer- oder Hormonspiralen geraten. Die Hormonspirale hat im Gegensatz zur Pille den Vorteil, dass das Hormon direkt in der Gebärmutter abgegeben wird. Aber auch die Klassiker wie Kondome oder eine niedrige dosierte Pille sind möglich. 

Mit Hormonen verhüten, wenn die Hormone sowieso schon ausser Kontrolle sind?
Hormonelle Verhütungsmittel verhindern den Eisprung, das funktioniert in der Regel auch, wenn die Hormone sonst gerade machen, was sie wollen. Bei vielen Frauen bewirkt eine niedrig dosierte Pille, dass sie kaum mehr Blutungen haben, was den meisten sehr gelegen kommt. Zu 100 Prozent sicher ist aber sowieso kein Verhütungsmittel.

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