Sie machen ältere Körper sichtbar
Filmstars im mittleren Alter zeigen sich in neuen Filmen nackt

Was haben Stars wie Nicole Kidman, Kate Winslet und Demi Moore gemeinsam? Sie ziehen sich in ihren neusten Filmen aus – und stehen damit für ein neues Selbstverständnis: Frauen im mittleren Alter wollen sich nicht mehr verstecken.
Publiziert: 05.11.2024 um 12:17 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2024 um 09:37 Uhr
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Weibliche Lust jenseits von Altersgrenzen: Schauspielerin Emma Thompson im Film «Meine Stunden mit Leo».
Foto: GENESIUS PICTURES / Courtesy Album

Auf einen Blick

  • Frauen mittleren Alters zeigen sich selbstbewusst und unverfälscht
  • Hollywood-Produktionen reflektieren gesellschaftliche Veränderungen und weibliche Selbstbestimmung
  • Emma Thompson (65) zeigte sich erstmals nackt im Film
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Nackt! Nicole Kidman (57) ist es im Erotikthriller «Babygirl», Kate Winslet (49) im Biopic «Lee» und Demi Moore (61) im Bodyhorror-Film «The Substance». Sie präsentieren sich als Frauen mittleren Alters auf der grossen Leinwand hüllenlos, selbstbewusst und unverfälscht. Und sprechen in Interviews offen über Schönheitswahn, Scham, Sexualisierung und die Sichtbarkeit von weiblichen Körpern jenseits von Perfektion und Jugend.

Ein Befreiungsschlag, der eigentlich schon vor zwei Jahren mit Emma Thompson (65) begann. Im Film «Meine Stunden mit Leo» spielte die Oscargewinnerin eine Witwe, die mit einem jungen Callboy endlich einen Orgasmus erleben konnte. «Weibliche Befriedigung ist noch immer ein Tabu», sagte sie im Blick-Interview.

Thompson zeigte sich in intimen Szenen und erstmals in ihrer Karriere auch nackt. Eine grosse persönliche Herausforderung: «In der heutigen Welt sind wir darauf getrimmt, dass wir nur bearbeitete Körper sehen – sonst ist es für unsere Augen nicht akzeptabel.» Für ein paar wenige Sekunden gewährt sie den Blick auf einen Körper, jenseits der 60, an dem weder geschnippelt noch gespritzt oder gestrafft wurde.

Emma Thompson in «Meine Stunden mit Leo» mit Callboy, gespielt von Daryl McCormack.
Foto: IMAGO/Everett Collection

Keine Lust, sich brav anzupassen

Für die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello (72) ist diese neue Sichtbarkeit von älteren Frauen und ihren Körpern auf der Leinwand ein Aufbegehren gegen die negativen Altersstereotype, die Frauen viel stärker als Männer treffen. «Jenseits der Menopause gelten Frauen oft und gerne als asexuell und unsichtbar.» Die emeritierte Professorin findet: «Wieso sollten ältere Frauen denn kein Recht auf ihren Körper und Sexualität haben?»

Mit ihrem aktuellen Buch «Own Your Age» plädiert sie für eine starke und selbstbestimmte zweite Lebenshälfte. «Wir haben es mit einer neuen Generation von Frauen zu tun, das betrifft nicht nur diese Schauspielerinnen», sagt die Psychologin. «Sie brechen aus dem Korsett ihrer Grossmütter aus, sie haben andere Biografien, sie sind gebildet, unabhängig und weniger angepasst. Es sind die Babyboomer, die in den 70er-Jahren jung waren und schon damals mit Konventionen gebrochen haben. Sie haben keine Lust, sich brav dem Alter entsprechend zu benehmen.» 

Sie raucht, trinkt und mag Sex: Kate Winslet spielt in «Lee» die gleichnamige Kriegsfotografin – auch mal oben ohne.
Foto: IMAGO/Supplied by LMK

Die Hollywoodproduktionen spiegeln also eine gesellschaftliche Entwicklung. Dass Sexualität, Erotik und überhaupt Körper älterer Frauen heute natürlich und selbstverständlich dargestellt werden, hat viel mit Frauen in Schlüsselpositionen zu tun: Häufig führen bei diesen Filmen Frauen Regie.

Kate Winslet spielt im Biopic «Lee» von Ellen Kuras (65) nicht nur die Hauptrolle, sondern hat den Film auch als Produzentin massgeblich mitgestaltet. «Es war für uns zentral, Lee mit ihrer Männerliebe, ihrer Lebensfreude, ihrer Lust an Sex, ihrem Selbstvertrauen darzustellen – aber wir haben sie niemals sexualisiert. Wenn immer wir Lee im Film nackt sehen, war es ihre eigene Entscheidung», sagte sie kürzlich am Zurich Film Festival. Der «male gaze», der männliche Blick, der Frauen als sexualisierte Objekte präsentiert, hat es seit #MeToo schwer.

Frauen im Film haben mehr Raum für Selbstbestimmung

Die #MeToo-Bewegung hat das Filmgeschäft tiefgreifend verändert und Frauen mehr Raum für Selbstbestimmung eingeräumt. Zudem sorgen sogenannte Intimitäts-Koordinatorinnen dafür, dass am Set keine Grenzen überschritten werden und Szenen einvernehmlich gedreht werden. Die älteren weiblichen Leinwandstars fordern heute authentische Rollen ein, mit denen sich ihr weibliches Publikum identifizieren kann. Zu dieser Sichtbarkeit gehört auch der Körper, egal ob natürlich gealtert oder dank Training und Schönheitseingriffen zur Perfektion gestaltet, so wie bei Demi Moore.

Demi Moore kämpft im Film «The Substance» mit jedem Mittel gegen das Altern.
Foto: keystone-sda.ch

Für «The Substance» entblösst die 61-Jährige nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Innerstes. Sie spielt eine TV-Aerobic-Ikone, die gegen eine jüngere Nachfolgerin ausgetauscht werden soll. Parallelen, die Moore aus ihrem eigenen Leben auch selbst kennt. Aus Verzweiflung greift sie im Film zu einem Serum, das eine jüngere, bessere Version ihrer selbst verspricht. Doch mit jeder Dosis entfaltet sich der fleischgewordene Horror.

Ausgerechnet Moore, die in den 1990ern mit dem Film «Ein unmoralisches Angebot» zum Sexsymbol wurde und die als einer der ersten Stars nackt und schwanger auf einem Magazin-Cover posierte, mutiert hier zum Monster. Damit rechnet sie mit dem Schönheitswahn und der Jugendobsession in Hollywood ab. Für diese Rolle arbeitete sie mit der französischen Regisseurin Coralie Fargeat (50) zusammen, die mit ihrem feministischen Horrorfilm aufzeigen will, was passiert, wenn Frauen ständig dem männlichen Blick ausgesetzt sind. 

Nicht jede Frau muss perfekt sein

Auch Hollywoodstar Nicole Kidman (57) hat in den letzten Jahren gezielt mit weiblichen Filmschaffenden gearbeitet. So auch im Erotikthriller «Babygirl» mit der niederländischen Regisseurin Halina Reijn (48). Kidman verkörpert eine erfolgreiche, verheiratete Geschäftsfrau, die endlich ihre sexuellen Bedürfnisse auslebt – ausgerechnet mit einem ihrer Praktikanten. Dabei zeigt Kidman weit mehr als nur ihren makellosen Körper; sie offenbart tiefe Lust und Scham. Für ihre Leistung in «Babygirl» wurde Kidman in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet.

Lebt ihre Lust aus: Nicole Kidman in einer Szene von «Babygirl» mit Harris Dickinson.
Foto: 2AM / Man Up Film / A24 / Courtesy Album

In einem Interview mit der «Sun» deutete sie an, dass ihre Orgasmen im Film nicht nur gespielt waren. Ob diese Offenheit ein cleverer Marketing-Gag ist oder ob Kidman damit auf die häufig vorgetäuschten Orgasmen von Frauen im realen Leben anspielt, bleibt ihr Geheimnis. Fest steht: Sie bringt das Thema Sichtbarkeit und Sexualität von Frauen ihres Alters auf die grosse Leinwand – wobei nicht jede Frau so perfekt sein muss, um gesehen zu werden.

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