Patientin wehrt sich
Klinik stellt hohe Rechnung trotz Fehler

Eigentlich müsste Maria Meier ihre Knochendichtemessung selber bezahlen. Doch ihre Ärztin stellt eine seltsame Diagnose und rechnet über die Krankenkasse ab. Als die Patientin interveniert, wirds kompliziert.
Publiziert: 21.10.2024 um 21:00 Uhr
Im Osteoporose-Zentrum in Luzern erhält die Frau eine falsche Diagnose. (Symbolbild)
Foto: Panuwat Dangsungnoen/iStockphoto

Auf einen Blick

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Andrea M. Haefely
Beobachter

Hypogonadismus. Das war die Diagnose, die die Ärztin und Klinikleiterin des Osteoporose-Zentrums in Luzern für Maria Meier stellte. «Das machte mir Angst, denn Hypogonadismus begünstigt Knochenschwund», sagt Maria Meier. Der Beobachter hat ihren Namen zum Schutz ihrer Privatsphäre geändert. Ihre Angst ist verständlich, aber in diesem Fall unnötig. Denn die Diagnose Hypogonadismus bedingt, dass eine Frau noch vor ihrem 40. Geburtstag in die Menopause geraten ist. Doch Meier ist 50, hat noch immer ihre Tage. Laut ihren Blutwerten liege bei ihr weder eine frühzeitige noch eine frühe Menopause vor, bestätigt ihr ihre Gynäkologin.

Sie hatte Maria Meier am 9. März 2023 für eine Knochendichtemessung an das damals zur Hirslanden-Gruppe gehörende Osteoporose-Zentrum St. Anna in Luzern überwiesen – als «sinnvolle Vorsorgemassnahme». Angefordert waren nur die Messwerte; ein Befund oder gar ein Vorschlag zu einem weiteren medizinischen Prozedere waren nicht Teil des Auftrags. Das geht aus dem Überweisungsformular klar hervor. 

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Ein klarer Fall

Da Meier keinerlei Symptome, geschweige denn Anzeichen für eine Osteoporose-Diagnose hat, wäre die Untersuchung nicht von der Krankenkasse übernommen worden. Kostenpunkt für Selbstzahlerinnen gemäss Tarmed: rund 80 bis 100 Franken. 

Das Ergebnis der Knochendichtemessung, die erst im September 2023 stattfand: unauffällig. Meiers Knochen weisen eine normale Knochendichte und eine normale Knochenmikroarchitektur auf.

Irritierend hingegen: Im Bericht der Klinikleiterin steht, dass «die Zuweisung zur Standortbestimmung bei Hypogonadismus» erfolgt sei. Das ist falsch. Im Überweisungsformular steht nichts dergleichen. 

«Es hat mich sehr verunsichert, dass ich plötzlich eine Vorerkrankung haben sollte, von der ich noch nie gehört hatte. Ich wusste im ersten Moment nicht mehr, welcher Ärztin ich vertrauen sollte: meiner Gynäkologin oder der Klinikleiterin des Osteoporose-Zentrums», erinnert sich Meier.

Leistung war nicht eingefordert

Geradezu geschockt war Maria Meier, als sie wenig später eine Rechnungskopie über Fr. 328.85 erhielt. Rechnungskopie deshalb, weil die Klinikleiterin die Rechnung dank dem – wenn auch falschen – Befund und einem nicht angeforderten, 75-minütigen Aktenstudium über die Grundversicherung abgerechnet hatte. 

«Mich hätte der Selbstbehalt für diese Rechnung zwar weniger gekostet, als wenn ich als Selbstzahlerin die eigentlich geplante Messung hätte bezahlen müssen. Aber ich fand es nicht korrekt gegenüber meiner Krankenkasse und der Allgemeinheit. Wir alle sollen doch helfen, die Gesundheitskosten zu senken», sagt Meier gegenüber dem Beobachter. 

Der «Beobachter»-Prämienticker

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Teurer als am Kantonsspital

Selbst wenn eine Knochendichtemessung mit Aktenstudium in Auftrag gegeben worden wäre: Eine vergleichbare Leistung würde am Luzerner Kantonsspital nur etwas mehr als die Hälfte kosten.

Die Klinikleiterin des Osteoporose-Zentrums Luzern meint dazu: Als eines der wenigen zertifizierten Osteoporose-Zentren in der Schweiz biete man den Patientinnen und Patienten eine ausführliche, individuelle, kompetente und qualitative Abklärung nach neusten medizinischen Standards.

Meier meldete den Vorfall ihrer Krankenkasse CSS. «Ohne Ihren Einwand hätte die CSS nichts Auffallendes auf der Rechnung feststellen können», schrieb ihr die Fachexpertin Wirtschaftlichkeitsprüfung von der Kasse zurück.

Eine «falsche Zuweisung», sagt die Klinikleiterin

Auch mit der Hirslanden-Gruppe nimmt Meier Kontakt auf. Dort erklärt man ihr, dass das Osteoporose-Zentrum per 1. Mai 2023 den Besitzer gewechselt habe, man also mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun habe.

Maria Meier schreibt eine E-Mail an die Klinikleiterin des Osteoporose-Zentrums, in der Hoffnung, die Verwirrung kläre sich. Deren Antwort: Man biete seit dem 1. Mai 2023 den verordneten Auftrag – sprich: Messwerte ohne Befund – nicht mehr an. Das sei an die zuweisende Ärzteschaft so kommuniziert worden. 

Weiter schreibt die Klinikleiterin (und hebt dabei gewisse Stellen fett hervor): 

«Wegen der vielen Zuweisungen, der grossen Wartezeiten in der Region Luzern haben wir Ihnen trotz der ‹falschen Zuweisung/falsches Formular› einen Termin angeboten, allerdings als Aktenkonsilium (Knochendichtemessung mit Befund und Vorschlag zum Procedere). Vielleicht hätten wir dies nicht tun sollen und die ‹falsche Zuweisung› retournieren sollen mit der Bitte um eine erneute, ‹korrekte Zuweisung› (aktuelles Anmeldeformular seit 1.5.2023).» 

Und: 

«Sie wurden als ‹Selbstzahler› zugewiesen. Bei Ihnen liegt – meiner Meinung nach – eine krankenkassenpflichtige Indikation vor: Hypogonadismus (siehe unten Indikationsliste, gesetzliche Vorgaben), weshalb ich die Rechnung an die Krankenkasse weitergeleitet habe. Nun wünschen Sie ausdrücklich, die Kosten selber zu tragen, weil Sie vielleicht falsch informiert wurden??? Das kann ich ändern, hier liegt wohl eine Fehlinterpretation bei mir, denn die meisten Patienten beklagen sich, dass sie nicht zugewiesen werden, weil sie keine Indikation hätten und die Ärzte ihnen mitteilen würden, [dass sie] die Kosten selbst tragen müssten.» 

Klinikleiterin gibt Daten weiter – Anzeige

In ihrer Antwort an Maria Meier nahm die Klinikleiterin eine CSS-Sachbearbeiterin in die CC-Zeile. Damit legte sie verschiedene Gesundheitsdaten von Meier offen – worauf Meier sie wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses anzeigte. Dem folgte der zuständige Staatsanwalt und stellte einen Strafbefehl über 2430 Franken aus.

Die Klinikleiterin wiederum ging gegen den Entscheid vor. Der Fall ist noch hängig. Zum laufenden Verfahren will die Klinikleiterin nicht Stellung nehmen. Es gilt die Unschuldsvermutung. 

Das Verfahren wegen Betrugs, das Maria Meier gleichzeitig angestrengt hatte, wurde eingestellt. Auf eine Befragung der Krankenkasse und von Meiers Ärztin verzichtete die Staatsanwaltschaft.

«Aufgrund der konkreten Akten- und Beweislage erhärtete sich kein Tatverdacht wegen Betrugs», sagt der zuständige Staatsanwalt Adrian Berlinger dazu auf Nachfrage des Beobachters.

Für die Krankenkasse CSS ist der Fall noch nicht erledigt. «Gemäss unseren internen Abklärungen sind wir in einem ersten Schritt zum Schluss gekommen, dass es sich bei Ihrer Behandlung um keine kassenpflichtige Leistung handelt. Wir haben die Rechnung deshalb zurückgewiesen. Der nächste Schritt ist der Austausch mit der Leistungserbringerin», schreibt sie an Maria Meier.

Und gegenüber dem Beobachter lässt die CSS verlauten: «Nach Abschluss der Abklärungen wird die CSS prüfen, ob und inwiefern rechtliche Schritte einzuleiten sind.» 

Menopause oder Wechseljahre?

Auch die Hirslanden-Klinik St. Anna, wo die Klinikleiterin des Osteoporose-Zentrums auch noch als Belegärztin arbeitet, will Meiers Beschwerde jetzt intern prüfen lassen.

Zur fragwürdigen Diagnose nimmt die Klinikleiterin gegenüber dem Beobachter wie folgt Stellung: Die Patientin habe auf dem Risikofragebogen angegeben, dass die Menopause mit 46 Jahren eingetreten sei. «Da die Hormonumstellung ein dynamischer und komplexer Prozess ist, sind diese Altersangaben in einer differenzierten Beurteilung individualisiert im Gesamtkontext einer Patientin einzuordnen.»

Allerdings ist dieser Punkt im Risikofragebogen verwirrend: «Wann ist bei Ihnen die Menopause («Wechseljahre») eingetreten?», steht da. Wechseljahre und Menopause werden zwar umgangssprachlich oft synonym verwendet, die Begriffe bedeuten medizinisch jedoch nicht das Gleiche. Die Menopause markiert das Ende der Wechseljahre, also den Zeitpunkt, zu dem die Periode endgültig ausbleibt.

Doch selbst wenn bei Maria Meier die Menopause tatsächlich mit 46 eingetreten wäre: Für die Diagnose Hypogonadismus wäre sie trotzdem nicht in Frage gekommen.

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