Baselbieter Ärztin und Sterbehelferin Erika Preisig (66) kritisiert Freitod-Premiere in Schaffhausen
«Suizidkapsel beschädigt das Image der Schweiz»

Die Baselbieter Ärztin Erika Preisig kritisiert den Einsatz der umstrittenen Suizidkapsel Sarco. Sie fordert, dass die Freitodbegleitung als ärztliche Tätigkeit anerkannt wird.
Publiziert: 25.09.2024 um 20:44 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2024 um 16:10 Uhr
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Die umstrittene Suizid-Kapsel «Sarco» ...
Foto: HANDOUT
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Sara BelgeriRedaktorin

Es ist passiert. Die umstrittene Suizidkapsel Sarco ist am Montag erstmals zum Einsatz gekommen. In einem Waldstück im Kanton Schaffhausen. Es ist ein Fall, der international für Aufsehen sorgt. Die Baselbieter Ärztin und Sterbehelferin Erika Preisig (66) hält die Methoden der Sarco-Leute für besorgniserregend.

Blick: Frau Preisig, am Montagnachmittag ist zum ersten Mal eine Person mithilfe der Suizidkapsel Sarco gestorben. Wie finden Sie das?
Erika Preisig:
Es ist eine völlige Provokation. Wenn man aber die Entwicklungen rund um The Last Resort und Sarco-Gründer Philip Nitschke mitverfolgt hat, war es absehbar. Die Thematik ist nicht neu und wurde bereits seit längerer Zeit in der Öffentlichkeit diskutiert. In meinen Augen hätte man viel früher reagieren müssen.

Weshalb?
Ich halte es für besorgniserregend, dass ein ausländischer Arzt in der Schweiz eine Organisation gründet, die mit solch umstrittenen Methoden arbeitet. Die Suizidkapsel selbst ist unnötig. In der Schweiz verfügen wir über effektive Medikamente, aber der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) erkennt die Freitodbegleitung nicht als ärztliche Tätigkeit an. Das führt dazu, dass Ärzte zögern, diese verantwortungsvoll einzusetzen. Das hat zur Folge, dass Menschen nach Alternativen wie der Sarco-Kapsel, aber auch anderen Arten von Suizid suchen. 

Ist die Sarco-Kapsel gefährlich?
Sie ist unerprobt. Fünf Minuten bis zum Tod sind eine sehr lange Zeit, in der unklar bleibt, was genau mit der Person passiert. Es ist fraglich, wie der Tod festgestellt wird, da ein zu frühes Öffnen der Kapsel zu katastrophalen Folgen führen könnte. Diese zahlreichen Unbekannten machen die Anwendung der Kapsel äusserst bedenklich. 

Persönlich

Erika Preisig (66) ist Hausärztin und Präsidentin der Sterbehilfe-Organisation Lifecircle. 2016 hatte sie eine 67-jährige Frau in den Tod begleitet. Weil umstritten war, ob die Frau urteilsfähig war oder nicht, wurde ein Strafverfahren gegen Preisig eingeleitet. Das Bundesgericht hat sie 2023 rechtskräftig vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen.

Erika Preisig (66) ist Hausärztin und Präsidentin der Sterbehilfe-Organisation Lifecircle. 2016 hatte sie eine 67-jährige Frau in den Tod begleitet. Weil umstritten war, ob die Frau urteilsfähig war oder nicht, wurde ein Strafverfahren gegen Preisig eingeleitet. Das Bundesgericht hat sie 2023 rechtskräftig vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen.

Sie haben am 9. August eine Mail an Mitglieder der FMH, Gesundheitsdirektionen und Kantonsärzte geschrieben. Was haben Sie gefordert?
Jeder Arzt in der Schweiz darf assistierten Suizid durchführen, aber viele zögern, weil sie sich unsicher fühlen und Angst vor Sanktionen haben. Daher habe ich gefordert, dass die FMH die Freitodbegleitung endlich als ärztliche Tätigkeit anerkennen soll und die Kriminalisierung der Ärztinnen und Ärzte, die diese durchführen, aufhören muss. 

Weshalb reicht es nicht, wenn Organisationen wie Exit oder Dignitas den medizinisch assistierten Suizid durchführen?
Weil sie oft lange Wartezeiten haben. Exit hat beispielsweise eine Frist von 90 Tagen für Neumitglieder. In akuten Fällen, wie bei plötzlichen schweren Erkrankungen, können Patientinnen und Patienten nicht so lange warten. Darüber hinaus wird Spitalärzten verboten zu helfen, wenn jemand einen Todeswunsch hat, was die Situation weiter verschärft. Jeder Onkologe oder Hausarzt sollte in der Lage sein, in klaren Fällen eine Freitodbegleitung anzubieten, aber selbstverständlich soll keiner dazu gezwungen sein. Diese Rahmenbedingungen müssen sich ändern, um sicherzustellen, dass Menschen in der Schweiz die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, ohne auf fragwürdige Methoden wie die Suizidkapsel zurückgreifen zu müssen.

Sie sagen, Sie kennen Sarco-Gründer Philip Nitschke und die Anwältin Fiona Stewart persönlich. Woher?
Ich kenne sie vom Weltkongress der Sterbehilfeorganisationen. Herr Nitschke und Frau Stewart haben dort ihre Ansichten präsentiert, die viele Suizidmethoden umfassen. Das steht im Gegensatz zu dem, was andere Organisationen anstreben: klare Regeln und Legalisierung der Sterbehilfe in ihren Ländern, aber keinen Wildwuchs mit dubiosen Suizidmethoden. 2016 sind Nitschke und Stewart direkt auf mich zugekommen, weil sie die Sarco-Idee zusammen mit Lifecircle (Preisig ist Präsidentin der Sterbehilfe-Organisation Lifecircle, Anm. d. Red.) realisieren wollten. Ich habe abgelehnt.

Weshalb haben Sie abgelehnt?
Weil ihre Einstellung nicht mit meiner übereinstimmt. Ich unterstütze offene, wenig einschränkende Guidelines, denn ich möchte vermeiden, dass jemand zu früh aus dem Leben geht. Das ist meine ärztliche Verantwortung. Nitschke vertritt die Ansicht, dass jeder, der nicht mehr leben will, ohne Einmischung gehen sollte. Das finde ich unreflektiert und kann ich nicht verantworten. Ich erachte ihn und seine Mitstreiter als höchst radikale Menschen.

Die beiden haben mit der Suizidkapsel in den letzten Monaten für Aufruhr gesorgt, was die Sterbebegleitung hierzulande betrifft. Was bedeutet das für die Schweiz?
Die Suizidkapsel hat das Image der Schweiz stark beschädigt. «Going to Switzerland» bedeutet jetzt oft, sich hier umbringen zu wollen, und es wird von Sterbetourismus gesprochen. Mein Ziel war immer, dass der Sterbetourismus aufhört. Dass Menschen nicht erst in die Schweiz reisen müssen, um so sterben zu können, wie sie das möchten. Mit Sarco verschärft sich diese Situation. Ausserdem macht Nitschke aggressiv Werbung, um das Interesse an der Kapsel zu steigern und somit deren Warteliste noch zu verlängern. 

Was sind Ihre Befürchtungen?
Ich mache mir Sorgen, dass wir in der Schweiz aufgrund des Fehlverhaltens eines ausländischen Arztes Einschränkungen erleben könnten, möglicherweise sogar gesetzliche. Andererseits könnte es schwierig werden, den Einsatz der Suizidkapsel zu regulieren oder zu verbieten, da rechtliche Hürden bestehen. Ich frage mich, wie viele Menschen bis dahin in der Kapsel sterben werden. Nach 19 Jahren in der Freitodbegleitung weiss ich, wie friedlich und würdig der Tod sein kann. Ich setze mich für einen respektvollen Abschied ein, nicht für eine ungewisse Erfahrung wie mit Sarco. Die Palliativmedizin sollte immer im Vordergrund stehen, aber wir müssen auch sicherstellen, dass jeder urteilsfähige Mensch auf seine Art sterben kann, ohne leiden zu müssen.


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