Blick-Redaktoren machen den Humor-Check
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Loriot heute noch lustig?Blick-Redaktoren machen den Humor-Check

100 Jahre Loriot
Ein Lacher für die Ewigkeit

Heute vor genau hundert Jahren kommt der Spross eines deutschen Adelsgeschlechts auf die Welt und bringt später auf einem Biedermeiersofa sitzend das Volk zum Lachen. Doch das Erbe von Loriot (1923–2011) droht zu verblassen.
Publiziert: 12.11.2023 um 16:02 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Der knallgelbe Pirol ist in Europa ein weit verbreiteter Vogel. Seinen klangvoll flötenden Gesang umschreiben Ornithologen mit «büloo-büloo». Das tönt wie Bülow, der Name eines norddeutschen Adelsgeschlechts, weswegen der Pirol seit Urzeiten das Wappentier dieser Familie ist.

Am 12. November 1923 kommt in Brandenburg an der Havel (D) westlich von Berlin der Stammhalter Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow zur Welt. Vicco, wie ihn bald alle nennen, ist der komische Vogel der Familie. Als Künstlername wählt er 1950 die französische Bezeichnung des Pirols: Loriot.

Loriot versuchte sich im neuen Medium TV

Loriot (sprich: Lorio) ist nach dem Zweiten Weltkrieg wohl das erste französische Wort, das alle Deutschen einwandfrei aussprechen können. Denn Loriot ist neben Heinz Erhardt (1909–1979) der grösste Humorist deutscher Zunge, der nach den dunklen Jahren einen ganzen Sprachraum wieder zum Lachen bringt.

Macht das Biedermeiersofa telegen: Vicco von Bülow alias Loriot.
Foto: Keystone

Setzt Erhardt in erster Linie auf damals boomende Kinofilme, versucht sich Loriot mit dem neuen Medium Fernsehen: Ab 1967 präsentiert der Absolvent der Landeskunstschule Hamburg auf einem Biedermeiersofa sitzend internationale Zeichentrickfilme von Ronald Searle (1920–2011) bis Tomi Ungerer (1931–2019) in der TV-Sendung «Cartoon».

Ab 1976 zeigt der begnadete Zeichner in der Fernsehserie «Loriot» eigene, bis heute berühmte Animationen wie «Das Frühstücksei» (1977), «Der sprechende Hund» (1977) oder «Herren im Bad» (1978). Dazu kommen Sketche, in denen Loriot – häufig an der Seite der unvergleichlichen Evelyn Hamann (1942–2007) – den verklemmten Biedermann mimt.

Der adlige Loriot gibt sich der Lächerlichkeit preis, übt Selbstironie. «Wer glaubt, Humor bestehe darin, sich über andere Leute lustig zu machen, hat den Humor nicht verstanden», sagt er einmal. «Um komisch zu sein, muss man vor allem sich selber zur Disposition stellen.» Loriots Humor ist denn auch nie verletzend, vielmehr deckt er menschliche Verletzlichkeiten auf.

In Köln heisst ein Café Hallmackenreuther

«Während ‹Kosakenzipfel› als Archetyp eines grandios eskalierenden Abends zweier Paare im Restaurant in allen Kulturen stattfinden könnte», so Markus Krajewski (51), Professor für Medienwissenschaft an der Universität Basel, «bleibt ‹Bettenkauf› von 1977 ein zutiefst in deutschen Kontexten verhaftetes Lehrstück über die Schamhaftigkeit der alten BRD.»

Dem Verkäufer aus «Bettenkauf» mit dem fantastischen Namen Hallmackenreuther ist in Köln ein trendiges Café im Retrostyle gewidmet – allerdings nur mit Sitz- und keinen Liegegelegenheiten. Andere Sketche aus den sechs Folgen von «Loriot» haben sich ins Gedächtnis all jener gebrannt, die mit der Serie aufgewachsen sind.

«Schmeckts?», «Das Bild hängt schief!» oder «Früher war mehr Lametta!» – diese Versatzstücke reichen den Eingeweihten, sie beginnen zu lachen, und vor ihrem inneren Auge läuft ein Film ab: Man sieht Loriot als Gast, der in einem Restaurant ständig beim Essen unterbrochen wird: Loriot als Beamter im Aussendienst, der ein Zimmer verwüstet; und Loriot als Opa bei «Weihnachten bei Hoppenstedts» (1978).

«Früher war mehr Lametta!»: Der Loriot-Sketch «Weihnachten bei Hoppenstedts».

«Wäre ‹Weihnachten bei Hoppenstedts› zur Daily Soap ausgebaut worden, sähe man Vater, Mutter und Opa gemeinsam mit Dicki eine Woche später ‹Dinner for One› schauen», sagt Krajewski, «und täglich grüsst das Murmeltier.» Doch Loriot-Sketche kennen kein jährlich wiederkehrendes Ritual wie «Dinner for One» an Silvester. Gehen sie langsam vergessen?

Die Töchter verwalten das Erbe von Loriot

Tatsache ist, dass nach den Babyboomern das Loriot-Gedächtnis von Generation zu Generation mehr und mehr abnimmt. Spricht man mit heutigen Teenagern, wissen die meist nicht mehr, wer Loriot war und was er gemacht hat – siehe dazu auch das Gesprächsvideo über Sketche von Daniel Arnet (57) mit Tim von Felten (18).

An dieser Situation sind die Erbinnen nicht unschuldig: Zusammen mit Ehefrau Rose-Marie «Romi» (94), geborene Schlumbom, hat Loriot zwei Kinder – Bettina Charlotte von Bülow (69) und Susanne Margarete von Bülow (65). Die beiden Töchter verwalten das Erbe und schauen peinlich genau darauf, dass möglichst nichts von Loriot ins Internet sickert.

Die streitbaren Schwestern zeigten ihre Entschlossenheit auch schon anderweitig, etwa 2013, als sie eine Biografie über ihren Vater gerichtlich verbieten liessen. Susanne von Bülow hatte 68 in dem Buch verwendete Zitate beanstandet, da diese ihrer Ansicht nach gegen das Urheberrecht verstiessen. Bei 35 dieser beanstandeten Zitate gab das Gericht der Tochter recht.

Einwände mögen bei einer Lebensbeschreibung berechtigt sein, aber weshalb wehrt sich die Erbengemeinschaft gegen eine zeitgemässe Verbreitung von Loriots Lebenswerk? Mit dem Fernsehen setzte er in den 1960er-Jahren auf den damals modernsten Kanal, heute würde er wohl das Internet bedienen.

Beim Diogenes-Verlag sind über 50 Loriot-Titel lieferbar

Mit Loriot-DVDs erreicht man im Streaming-Zeitalter mit haufenweise Computern ohne Laufwerk immer weniger Menschen. Weshalb gibt es keinen Loriot-Channel auf Youtube, höchstens müde nachgespielte Sketche von Laientheatern? Müsste Loriot nicht sogar auf Tiktok zu sehen sein, um die jüngste Generation zu erreichen?

«Danke … das wars»: Der Loriot-Sketch «Der Lottogewinner».

Susanne von Bülow ist auf Anfrage nicht bereit für ein Gespräch, doch Medienwissenschaftler Krajewski sagt: «Als Medienhistoriker bezweifle ich die Zuschreibung von einem vermeintlichen Leitmedium zu einer ganzen Generation: Wieso sollen die 12- bis 25-Jährigen nur oder vorzugsweise über Tiktok erreichbar sein?»

Zudem verweist Krajewski darauf, dass im Internet mit ein bisschen Suche der eine oder andere Clip zu finden sei. So kann man sich etwa auf Dailymotion.com unter dem Stichwort Loriot die Sketche «Kalbshaxe Florida (schmeckts?)» (1976), «Lottogewinner» (1976) oder «Kosakenzipfel» (1978) in voller Länge und Farbe ansehen.

Und mustergültig ist die Edition von Loriots schriftstellerischem und zeichnerischem Werk beim Zürcher Diogenes-Verlag, wo er 1954 sein erstes Buch «Auf den Hund gekommen» veröffentlichte. Aktuell sind dort über 50 Titel lieferbar – vom Debüt bis zum letzten Werk «Der ganz offene Brief», das posthum 2014 erstmals erschien und nun bei Diogenes neu aufgelegt wird.

Loriot heute im TV: ARD, 13.20 Uhr, die besten Sketche aus «Loriot»; 14.55 Uhr, Spielfilm «Ödipussi»; One, 19.15 Uhr, Diskussion «Loriot bei Beckmann». 


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