Die Lehrstellensuche ist für viele Jugendliche in der Schweiz ein hartes Pflaster. Trotz der Tatsache, dass viele Unternehmen noch Lehrstellen anbieten, haben viele junge Menschen Schwierigkeiten, diese zu finden. Ein Beispiel ist der Fall von Gianni Alig (14), dessen Mutter Carmen (44) auf LinkedIn für ihren Sohn eine Lehrstelle sucht – ein Post, der mit tausenden von Likes und Kommentaren viral ging.
Der Fall zeigt, wie das Schweizer Bildungssystem und die Anforderungen von Unternehmen an Auszubildende in den letzten Jahren verändert haben und wie diese Entwicklung junge Menschen zunehmend unter Druck setzt.
Die Bedeutung von Noten: Ein verzerrtes System?
«Die blinde Fixierung auf Noten und schulische Höchstleistungen. Dabei gehen die wichtigen Werte vollkommen verloren», schreibt Simon Sieber. Er sieht ein strukturelles Problem: «Ist es das Ziel des Staates, nur noch folgsames Volk zu erziehen?»
Peter Wyss meint dazu: «Und dann wird wieder gejammert, es seien tausende Lehrstellen offen, da man keine Lehrlinge findet.»
«Das Problem mit dem Alter hab ich auch», schreibt Stella Fischer, «man muss die Kinder ja unbedingt so früh einschulen, damit sie dann mit knapp 15 aus der Schule kommen und für vieles zu jung sind.»
Die Anforderungen an die Bewerbungen sind für viele ebenfalls problematisch. «Was bringt ein Info-Nachmittag oder ein Schnuppertag?», fragt Richi Schaffhauser. In seiner Zeit als Ausbilder stellte er fest, dass heutzutage nur noch theoretische Eignungstests durchgeführt werden. «Es fehlt an Menschlichkeit», so Schaffhauser weiter. Viele Jugendliche seien überfordert von den Motivationsschreiben, die häufig als Voraussetzung für eine Bewerbung erforderlich sind. Diese seien der «falsche Weg».
Rabitt Ralf, ehemaliger Lehrlingsausbilder, sieht in den Anforderungen vieler Unternehmen jedoch ein grundsätzliches Problem: «Mir war bei den Lehrlingen immer ihr Wille und ihre Motivation wichtig. Die Firmen stellen allgemein zu hohe, unrealistische Anforderungen.» Für ihn zählt die Praxis: «Lasst die Bewerbenden zur Probe arbeiten und Schnuppern, dann habt ihr eher die richtigen Lehrlinge oder Mitarbeiter. Die Schule sollte mit Theorie sekundär zählen.»
«Die Realität ist nicht immer fair»
Für Thomas Ganz, der selbst ähnliche Erfahrungen gemacht hat, ist Giannis Situation nicht ungewöhnlich. Er schreibt: «Den Weg, welchen die Mutter einschlägt und die mediale Aufmerksamkeit werden bestimmt zum Erfolg verhelfen. Die Situation zeigt jedoch, dass die Überempfindlichkeit und Empörungsmaschinerie auf jeder Ebene Einzug hält.» Er erinnert sich an seine eigene Lehrstellensuche: «Bei mir waren es 105 Bewerbungen, 104 Absagen. Das war nicht einfach – aber es war die Realität.»
Auch Sevi Asaf kann die Herausforderungen nachvollziehen, betont aber: «Willkommen im Berufsleben. Ich kenne Freunde, die fast hundert Bewerbungen geschrieben haben.»
Silvio Nef stellt einen pragmatischen Blick auf das Thema dar: «Ich habe damals auch Dutzende Bewerbungen geschrieben und bekam erst einmal grösstenteils Absagen. Vor allem natürlich in den Branchen, die sowieso heiss begehrt sind. Natürlich sind die Noten nicht alles, aber als Unternehmen willst du grundsätzlich auch Lernende, die relativ sicher durch die Prüfungen kommen.»
Fritz Eichenberger fragt kritisch: «Es ist nicht der Job der Mutter, ihren Sohn zu beurteilen. Ob sie mehr hilft oder schadet, wird sich zeigen. Vielleicht wäre es auch daran, den Berufswunsch zu hinterfragen?»