Auf einen Blick
Ein Bewerbungsgespräch auf 40 Bewerbungen: Bisher verlief Giannis Lehrstellensuche erfolglos. Der 15-Jährige aus dem Kanton Thurgau sucht für den kommenden Sommer eine KV-Lehrstelle. Seine Konkurrenz ist gross. Die kaufmännische Lehre stand in den letzten Jahren immer auf Platz 1 bei Lehrsuchenden.
Dass die KV-Lehre den Spitzenplatz belegt, erklärt Melinda Bangerter, Leiterin Bildung des Kaufmännischen Verbands Schweiz, gegenüber dem «Grenchner Tagblatt» wie folgt: «Die Gründe dafür sehen wir in der Möglichkeit, die Lehre in 19 verschiedenen Ausbildungsbranchen zu absolvieren, den vielfältigen Weiterbildungsmöglichkeiten nach der Lehre und den vielerorts sehr guten Arbeitsbedingungen.»
Tunnelblick wirkt hinderlich bei Lehrstellensuche
Lale Coban, Mediensprecherin beim Lehrstellenportal Yousty, sagt zu Blick: «So wie viele andere Lehrberufe ist die KV-Lehre ein sicherer Weg für ein erfolgreiches Berufsleben.» Ausserdem hätten viele ein klares Bild von der kaufmännischen Lehre, und die Ausbildung sei sowohl unter Jugendlichen als auch unter Eltern bekannt. «Das birgt aber auch das Risiko, dass sich manche Jugendliche zu stark auf diesen einen Weg fokussieren.» Viele würden sich zu wenig über andere Lehrberufe informieren, die ebenso gute Weiterbildungs- und Aufstiegschancen bieten würden.
Aus diesem Grund rät die Expertin, immer einen Plan B und C zu haben. «Es lohnt sich, Lehrstellen in verwandten Berufen zu suchen.» Oft sei eine Weiterbildung zum Wunschberuf später noch möglich. «Das Wichtigste ist, dass man für die Zeit, in der man in einem Lehrbetrieb ist, motiviert ist.»
Noten sind noch immer relevant
Die grosse Beliebtheit und die damit verbundene Konkurrenz erklärt, dass die Suche nach einer KV-Lehrstelle so harzig verlaufen kann wie bei Gianni – obwohl er keine schlechten Noten hat. Lale Coban sagt: «Je grösser das Interesse für eine Lehre ist, desto stärker müssen die Firmen selektieren.» Im Fall der KV-Lehre bedeutet das, dass einzelne Firmen entscheiden können, worauf sie bei der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerbern achten wollen.
Während manche auf das Sozial-, Arbeits- und Lernverhalten schauen, ist für andere noch immer die Notenleistung entscheidend. Anfang dieses Jahres hat der «Tages-Anzeiger» Personen aus der Berufsbildung in den Bereichen KV, Informatik, Detailhandel und Gesundheit gefragt, wie sie bei der Rekrutierung vorgehen. In allen vier Bereichen gaben die Befragten an, dass sie vor allem die für den Beruf besonders wichtigen Noten berücksichtigen.
Drei zentrale Fragen für das Bewerbungsschreiben
Gerade Jugendliche mit mittelmässigen Noten können sich gemäss Expertin mit anderen Fähigkeiten von der Konkurrenz abheben. «Punkten können auf jeden Fall Bewerberinnen und Bewerber, die Schnuppererfahrung haben.» Diese gebe den Unternehmen Aufschluss über die sozialen Kompetenzen und den Leistungswillen der Bewerbenden.
Nicht zu unterschätzen sei auch das Bewerbungsschreiben, sagt Coban. «Wer diese drei Fragen beantwortet, kann seine Erfolgschancen erhöhen.»
- Warum dieser Beruf?
- Warum diese Firma?
- Welche meiner Eigenschaften und Stärken passen zum Beruf und zur Firma?
«Besonders die Frage zwei wird in Bewerbungsschreiben oft nur oberflächlich beantwortet.» Es sei zentral, hier keine Standardformulierungen zu verwenden, sondern eine auf das Unternehmen und deren Werte angepasste Antwort zu verfassen.
Lehrstellen sind rar
Nicht nur im Kanton Thurgau, wo Gianni auf der Suche nach einer Lehre ist, ist das Angebot der Lehrstellen knapp. Die Schweizer Bevölkerung wächst, dementsprechend braucht es auch mehr Lehrstellen. Niklaus Schatzmann, Chef des Mittelschul- und Berufsbildungsamts, sagt gegenüber SRF: «Es gibt mehr Jugendliche, die in die Sekundarstufe zwei eintreten und eine Ausbildungsstelle brauchen.»
Allein im Kanton Zürich benötige es 10 Prozent mehr Lehrstellen. Dafür lancierte die Behörde ein Lehrstellen-Förderungsprogramm. Mit einer Investition von einer Million Franken versucht der Kanton Unternehmen davon zu überzeugen, neue Lehrstellen zu schaffen.