So fährt sich der elektrische Rolls-Royce Spectre
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Er kostet über 500'000 Franken:So fährt sich der elektrische Rolls-Royce Spectre

Rolls-Royce Spectre im Test
So fährt sich der elektrische Luxus-Brite

Rolls-Royces erstes Elektroauto startet in der Schweiz. Der über eine halbe Million Franken teure Spectre begleitet uns eine knappe Woche im Alltag. Hier unsere Erfahrungen mit dem Luxus-Stromer.
Publiziert: 26.05.2024 um 11:35 Uhr
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Auf manche Testfahrzeuge freut man sich selbst nach unzähligen gefahrenen Autos mehr als auf andere.
Foto: Lorenzo Fulvi

Natürlich bin ich gespannt: Schliesslich ist ein Rolls-Royce immer etwas Spezielles. Und in diesem Fall sowieso. Ich hole mit dem Spectre bei Rolls-Royce-Händler Schmohl in Glattbrugg ZH das erste rein elektrische Modell der britischen Luxusmarke ab. Und ich muss zugeben: Als ich nach der Fahrzeugübergabe losrolle, fühle ich mich leicht überfordert. Wie soll ich mich mit diesem Luxus-Riesenschiff im Alltag, zum Beispiel beim Parkieren in Tiefgaragen, zurechtfinden?

Doch erstaunlich schnell gewöhne ich mich an die stattlichen Abmessungen – 5,48 Meter lang, 2,0 Meter breit. Als Orientierung hilft mir dabei auch die vorne auf der langen Motorhaube trohnende Kühlerfigur Spirit of Ecstasy – auch Emily genannt –, die vom Fahrersitz aus allerdings nur knapp zu sehen ist.

Mehr hilft im Stadtverkehr die Hinterachslenkung. Sie macht den Riesenstromer beim Manövrieren handlicher und erleichtert auch das Parkieren. Allerdings ragt der Spectre fast überall einen halben Meter über das markierte Parkfeld hinaus. Enge Parkhäuser meide ich sowieso, ich will ja nicht eine der teuren 23-Zoll-Felgen an irgendeiner fiesen Randsteinkante zerkratzen.

Schweben statt fahren

Doch zurück zum Fahren: Auch wenn der bei Kunden beliebte V12-Motor dem Elektroantrieb weichen musste, fehlt es dem elektrischen Spectre nicht an Leistung: Als Antrieb dienen zwei Elektromotoren, einer pro Achse, die insgesamt 584 PS leisten und ein maximales Drehmoment von 900 Newtonmeter an alle vier Räder abgeben. Der Sprint auf Tempo 100 schafft das rund 2,9 Tonnen schwere Luxus-Coupé innert 4,5 Sekunden. Doch der Spectre verleitet uns weniger zum flinken Fahren. Komfortables Schweben über Alltagsstrassen macht im britischen Stromer viel mehr Spass.

Dabei sind keine Windgeräusche zu hören, und kein Lärm dringt von aussen ins Fahrzeug. Lediglich das Abrollgeräusch der Reifen nimmt man als Insasse des Spectre wahr. Ich geniesse gerne die Ruhe während der Fahrt, ehe ich die Soundanlage mit total 18 Lautsprechern aktiviere. Das Klangerlebnis ist unglaublich – man meint fast, die Musiker würden mit im Auto sitzen. Apropos sitzen: Die vorderen Ledersessel sind beheizbar oder lassen sich kühlen und verfügen selbstverständlich über diverse Massagefunktionen. Sitzt man vorne wunschlos glücklich, ists hinten eine Spur weniger feudal – die Sitze lassen sich dort «nur» beheizen, aber nicht kühlen, und auch die Platzverhältnisse sind etwas weniger verschwenderisch. Und: Um hinten überhaupt einsteigen zu können, müssen die vorderen Sitze nach vorne geklappt werden – der Spectre ist nämlich lediglich ein Dreitürer.

Schöner als mein Wohnzimmer

Bleiben wir beim imposanten Innenraum: Ein Mix aus elegantem Leder und Holz – Letzteres stammt wegen der optischen Symmetrie im Auto vom gleichen Baum – prägt das wohnliche Interieur des elektrischen Briten. Für die Gebläsedüsen verwendet Rolls-Royce massives und schön gefertigtes Metall. Übers ganze Fahrzeugdach zieht sich ein Sternenhimmel, der aus 1320 LEDs besteht und sich in seiner Helligkeit dimmen lässt. Als Gag lässt sich hie und da gar eine Sternschnuppe beobachten. Feiner britischer Humor.

Das Cockpit ist trotz digitalem Kombiinstrument und neustem Infotainmentsystem von Konzernmutter BMW klassisch gehalten. Für die Klimaanlage gibts noch physische Tasten, darüber angeordnet sind acht weitere, frei konfigurierbare Schalter für die am häufigsten benötigten Funktionen. In der Mittelkonsole platziert ist ein Drehdruckknopf mit eingravierter Spirit of Ecstasy, um sich durchs Menü im Display zu bewegen. Die gegenläufig öffnenden, eineinhalb Meter langen Türen lassen sich per Knopfdruck am Türgriff elektrisch bedienen.

Komme ich mit dem Spectre inzwischen selbst in der Stadt zurecht, bewege ich mich damit aber doch lieber auf der Autobahn. Auch hier ist in erster Linie entspanntes Cruisen angesagt – mit all den Baustellen auf unseren Autobahnen fühle ich mich auf der rechten Fahrspur sowieso wohler. Dank Tempomat und Lenkassistent bleibt der Elektro-Rolls stets sicher auf seiner Spur und rollt locker im Verkehr mit.

Ich verlasse die Autobahn, um den Spectre auch noch etwas auf Überlandstrassen zu geniessen. Schon naht der erste Verkehrskreisel – erstaunlich, wie leichtgängig und präzise der Allradler einlenkt. Ebenfalls souverän filtert das Luftfahrwerk Unebenheiten der Strasse aus. Dennoch ist es straff genug, dass die stattliche Karosserie in Kurven nicht wankt. So komfortabel kann also Reisen auf unseren Schweizer Strassen sein. Wer aber denkt, dass man in der Schweiz mit einem Rolls-Royce nicht auffalle, täuscht sich. Wie magnetisch zieht unser Spectre die Blicke vieler Passanten auf sich. Obs nur an der grossen und eleganten Karosserie oder der auffälligen Lackierung unseres Testwagens liegt, lassen wir mal offen.

Im Schnellcheck: Rolls-Royce Spectre

Antrieb: 2 Elektromotoren, 584 PS (430 kW), 900 Nm@1/min, 1-Gang-Getriebe, Allradantrieb, Batterie 101,7 kWh, max. Ladeleistung 11 kW/195 kW, Reichweite WLTP/Test 530/430 km
Fahrleistungen: 0 bis 100 km/h in 4,5 s, Spitze 250 km/h (abgeregelt)
Masse: L/B/H 5,47/2,00/1,56 m, Leergewicht 2890 kg, Kofferraum 380 Liter
Umwelt: Verbrauch WLTP/Test 22,2–23,6/23,8 kWh/100 km, 0 g/km CO₂-Ausstoss lokal, Energieeffizienz A
Preis: ab 408'400 Franken, Testwagen mit Optionen 519'320 Franken

Lorenzo Fulvi

Antrieb: 2 Elektromotoren, 584 PS (430 kW), 900 Nm@1/min, 1-Gang-Getriebe, Allradantrieb, Batterie 101,7 kWh, max. Ladeleistung 11 kW/195 kW, Reichweite WLTP/Test 530/430 km
Fahrleistungen: 0 bis 100 km/h in 4,5 s, Spitze 250 km/h (abgeregelt)
Masse: L/B/H 5,47/2,00/1,56 m, Leergewicht 2890 kg, Kofferraum 380 Liter
Umwelt: Verbrauch WLTP/Test 22,2–23,6/23,8 kWh/100 km, 0 g/km CO₂-Ausstoss lokal, Energieeffizienz A
Preis: ab 408'400 Franken, Testwagen mit Optionen 519'320 Franken

Kein Lademeister

Da der Spectre nur elektrisch fährt, suchen wir während unseres Tests auch mal eine öffentliche Ladesäule auf. Das 101,7 kWh grosse Akkupaket verspricht eine Reichweite von bis zu 530 Kilometern. Wir stromern bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 23,8 kWh/100 km maximal rund 430 Kilometer weit. Am Schnelllader angekommen, lädt das Luxus-Coupé mit 195 Kilowatt – und somit in 34 Minuten von zehn auf 80 Prozent. Nicht gerade brillant, das können viele schneller. Doch Rolls-Royce-Besitzer dürfte dies kaum interessieren – sie laden vermutlich sowieso zu Hause oder schicken den Chauffeur an öffentliche Ladestationen.

Apropos Laden: Beladen lässt sich der Spectre-Kofferraum mit bis zu 380 Litern. Für zwei Wochen Ferien wohl etwas knapp, doch für zwei Golf-Bags und die nächste 18-Lochrunde allemal ausreichend. Und für längere Ferienfahrten dürfte der durchschnittliche Spectre-Kunde sowieso geeignetere Fahrzeuge in seinem Fuhrpark haben, obwohl unser Testwagen schon rund 520'000 Franken kostet.

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