Herr Müller-Ötvös, seit fast 14 Jahren stehen Sie an der Spitze von Rolls-Royce. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Torsten Müller-Ötvös: Zunächst mal haben sich unsere Kunden in dieser Zeit sehr stark verändert. Als ich 2010 angefangen habe, hatten diese ein Durchschnittsalter von 56 Jahren. Inzwischen ist der Schnitt auf 42 Jahre gesunken. Doch die Kunden selbst sind nicht nur deutlich jünger geworden, auch das Nutzerprofil eines Rolls-Royce ist mittlerweile ein völlig anderes. Seinerzeit hatten wir 80 Prozent Chauffeurfahrzeuge und nur 20 Prozent Selbstfahrer. Heute ist das genau umgekehrt.
Warum diese signifikante Veränderung?
Luxus hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Wir haben heute ein völlig anderes Portfolio, um unsere Kunden entsprechend bedienen zu können. Nachdem die BMW-Group Rolls-Royce Motor Cars im Jahre 1998 übernommen hat, gab es zunächst viele Jahre nur den Rolls-Royce Phantom im Angebot. Dann lancierten wir mit dem Ghost, dem Dawn oder dem Wraith komplett neue, andere Modelle, die eben auch Selbstfahrer und jüngere Kunden ansprechen. Eine weitere, deutliche Verjüngung brachte dann die Einführung der sportlichen Black-Badge-Varianten. Da rechneten wir zwar mit neuen Kunden, befürchteten aber, Stammkunden abzuschrecken. Doch das Gegenteil ist der Fall. Kalkulierten wir ursprünglich mit einem Verkaufsanteil von 15 Prozent für die Black-Badge-Modelle, sind wir mittlerweile bei etwa 40 Prozent.
Mit dem Cullinan ist Rolls-Royce erst spät auf den SUV-Zug aufgesprungen. Braucht eine Nobelmarke wie Rolls-Royce überhaupt einen Geländewagen im Angebot?
Oh ja, ein SUV ist auch im Luxussegment mittlerweile elementar für den Erfolg. Wir waren sicher nicht die Ersten, doch sind wir mit dem Cullinan zur rechten Zeit auf den Markt gekommen. Er hat uns komplett neue Kunden gebracht. Der Cullinan ist ein Familien-Alltagsauto; ein Rolls-Royce, der auch mal schmutzig werden darf. Mit ihm gehts lässig zu Freunden, ins Büro oder man fährt kurz die Kinder zum Sport. Mittlerweile ist jeder zweite neue Rolls-Royce ein Cullinan.
So fährt sich der elektrische Rolls-Royce Spectre
Wie wichtig ist Konzernmutter BMW für Rolls-Royce?
Ohne BMW würde es Rolls-Royce Motor Cars in seiner jetzigen Form nicht mehr geben. BMW ermöglicht es uns, Technologien zu nutzen, über die wir mit unseren exklusiven Stückzahlen sonst nicht verfügen könnten. Im Gegensatz zu anderen Marken ist ein Rolls-Royce jedoch kein BMW mit nur einem anderen Gewand. Wir entwickeln und produzieren ganz eigenständige Modelle. Das schätzen unsere Kunden – und verlangen es auch, schliesslich sind wir in einem anderen Preissegment unterwegs als BMW.
Wie rechtfertigen Sie Ihre Preise?
Als ich angefangen habe, lag der durchschnittliche Verkaufspreis eines neuen Rolls-Royce bei 250’000 Franken – heute liegen wir beim Doppelten. Dabei sind auch technische Details ausschlaggebend, sonst könnten wir diese Preise im Markt in keiner Form durchsetzen. So wissen unsere Kunden beispielsweise, dass das V12-Triebwerk von BMW kommt. Doch dieses Aggregat wurde anders auf das jeweilige Fahrzeug abgestimmt und hat neben dem ganz eigenen Charakter einen eigenständigen Hubraum von 6,75 Litern. Genau das wollen unsere anspruchsvollen Kunden.
Bisher setzt Rolls-Royce nicht auf Kooperationen mit Luxuslabels ausserhalb der Autobranche. Könnte sich das eines Tages ändern?
Das ist nicht ganz korrekt. Wir gehen seit vielen Jahren Kooperationen mit anderen Luxusmarken ein – nur geschieht dies hochexklusiv und allein auf speziellen Kundenwunsch. Wenn ein Kunde beispielsweise die Uhr einer bestimmten Uhrenmarke im Armaturenbrett seines Rolls-Royce wünscht, machen wir das möglich. Ohne dafür Werbung zu machen. Unser Grad an Individualisierung kennt dabei keine Grenzen. Natürlich gibts seit Jahren viele imageträchtige Luxuslabels, die etwa in Sonderserien gerne mit uns zusammenarbeiten würden. Doch wer sollte das sein? Wir sind Rolls-Royce, die Luxusmarke schlechthin. Das sollte man nicht verwässern.
Torsten Müller-Ötvös (63) leitet seit 2010 Rolls-Royce Motor Cars in Goodwood im Süden Englands. Er studierte Betriebswirtschaft und stieg 1989 in die BMW Group ein. Müller-Ötvös war von 2000 bis 2008 Marketingstratege bei Mini und BMW, verantwortete unter anderem den erfolgreichen internationalen Relaunch der Marke Mini und leitete ab 2008 das weltweite BMW-Produktmanagement sowie Teile des Aftersales-Geschäfts.
Torsten Müller-Ötvös (63) leitet seit 2010 Rolls-Royce Motor Cars in Goodwood im Süden Englands. Er studierte Betriebswirtschaft und stieg 1989 in die BMW Group ein. Müller-Ötvös war von 2000 bis 2008 Marketingstratege bei Mini und BMW, verantwortete unter anderem den erfolgreichen internationalen Relaunch der Marke Mini und leitete ab 2008 das weltweite BMW-Produktmanagement sowie Teile des Aftersales-Geschäfts.
Wo steht Rolls-Royce in zehn Jahren?
Wir haben jetzt die richtigen Weichen gestellt; das wird man in den kommenden Jahren an unseren neuen Produkten sehen. Ganz klar: Rolls-Royce wird elektrisch – mit vollelektrischen Modellen und nicht mit Plug-in-Hybriden. Ein Rolls-Royce muss fahren, wie es nur ein Rolls-Royce kann – egal, ob er mit einem Verbrenner oder einem Elektroantrieb unterwegs ist. Wie erfolgreich das funktioniert, beweist der Spectre – unser erstes Elektromodell, das alle Erwartungen übertroffen hat.
Der Spectre gibts also die Richtung für die Zukunft der Marke vor?
Genau. Unser Gründervater Sir Henry Royce sagte: «Strebe nach Perfektion in allem, was du tust.» Der Spectre wurde im Rahmen dieser Kultur entwickelt. Er ist die perfekte Antwort auf die Aufforderung der anspruchsvollsten Menschen der Welt, das Erlebnis Elektroauto zu verbessern. Denn der Spectre ist in erster Linie ein Rolls-Royce und erst in zweiter Linie ein Elektroauto. Die Individualisierung wird für uns ein zentrales Element bleiben. Dabei macht die Manufakturfertigung in Goodwood klar den Unterschied. Die Kunden kommen zu uns und sind an der Zusammenstellung des eigenen Fahrzeugs intensiv beteiligt. Wir dürfen uns neuen Trends nicht verschliessen, müssen aber nicht zwingend die Ersten sein.
Folglich ist für Rolls-Royce der britische Standort Goodwood wichtig?
Goodwood ist die physische und geistige Heimat von Rolls-Royce; der einzige Ort auf der Welt, wo wir unsere Luxusprodukte entwerfen und von Hand fertigen, mit einer einzigartigen, persönlichen Verbindung zu unserer langen Geschichte. Es ist weit mehr als nur eine hochmoderne Produktionsstätte und der Hauptsitz des Unternehmens. Es bietet den Besuchern eine unmittelbare Einführung in unsere Marke: schön, elegant und beeindruckend, aber auch kreativ, lebendig und ständig im Wandel begriffen. Goodwood ist wie ein eigenes, privates Universum und doch mit der Welt verbunden.