Drogen haben am Steuer nichts verloren. Doch nach unserer ersten Testfahrt im neuen Continental GT Speed müssen wir feststellen: Dieser Bentley schrammt nahe an der Überdosis vorbei! Bevor es auf die Teststrecke nahe Ingolstadt (D) geht, erklärt Bentley-Entwickler Florian Sprenger: «Wir haben ein Auto, das schon gut war, noch besser gemacht. Der GT bleibt auch als Speed komfortabel, geht aber deutlich stärker in eine sportliche Richtung.»
Dazu haben Sprenger und sein Team tief in die Technik-Trickkiste gegriffen: Da wäre zum einen die serienmässige Allradlenkung, die den Speed in engen Kehren wendiger und in schnellen Passagen stabiler machen soll. Zudem ist erstmals in einem Bentley ein elektronisch gesteuertes Sperrdifferenzial an der Hinterachse verbaut. Das sogenannte eLSD soll insbesondere im Fahrmodus Sport das Einlenkverhalten verbessern und den Speed bei hohen Tempi stabiler wirken lassen. Diese Stabilität wird noch durch ein zusätzliches System unterstützt: Die 48-Volt-Wankstabilisierung hält die Karosserie – wie der Name verrät – mittels blitzschnell reagierenden Elektromotoren in Kurven in der Waage und erlaubt so noch höhere Geschwindigkeiten.
Ein Monster namens W12
Nach der Theorie endlich die Praxis. Rein ins edle, mit «Speed»-Schriftzügen, Karbon und neuen Alcantara-Leder-Farbkombinationen verzierte Cockpit, in dem uns sofort der typische Bentley-Duft einhüllt. Per Knopfdruck starten wir das Herzstück des Speed: den monströsen Zwölfzylindermotor, der mit seinen sechs Liter Brennraum in Zeiten des Elektrobooms wie aus einer anderen Epoche wirkt.
Im perfekt gedämmten Innenraum lässt sich jetzt noch nicht erahnen, welch geballte Kraft in wenigen Augenblicken auf die noch kalten 22-Zoll-Walzen, Speed-Sonderanfertigungen natürlich, einwirken wird. Gentlemanlike wummert der W12-Motor im Hintergrund – noch überwiegt das britische Understatement.
Kraft im Überfluss
Beim Tritt aufs Gaspedal merken wir: Bentley spricht nicht umsonst vom stärksten Motor der Firmengeschichte: Maximal 659 PS – 24 mehr als im normalen Continental GT – und bis zu 900 Nm Drehmoment werden dann über den rasant ausgelegten Achtgang-Doppelkuppler aufs Allradsystem losgelassen. Die rohe Kraft presst uns in die perfekt ausgeformten Sportsessel und beschleunigt den Speed in 3,6 Sekunden auf Tempo 100. Um den Topspeed von 335 km/h auszufahren, reicht die kurvenreiche Strecke nicht aus. Doch nun zeigt sich, wovon Entwickler Sprenger vorhin so geschwärmt hat. Trotz seiner knapp 2,5 Tonnen tänzelt der Über-GT fast schon leichtfüssig im Kreis.
Die Hinterachse tänzelt mal spürbar, wenns der Fahrer herausfordert. Aber die Lenkung reagiert äusserst präzise, und das im Sport-Modus hecklastig ausgelegte Allradsystem gibt einem jederzeit ein Gefühl von Sicherheit. In diesem Vehikel der Superlative gibts natürlich keine Bremsen von der Stange: Um den Speed im Zaum zu halten, absorbieren die grössten je im Automobilbau verwendeten Karbon-Keramikbremsen (440 mm!) die Kraftauswüchse kompromisslos.
Der Speed ist kein Rennwagen
Am Ende dieser aussergewöhnlichen Testfahrt stellen wir uns die Frage, für wen der Continental GT Speed tatsächlich gedacht ist. Entwickler Florian Sprenger sagt: «Der Speed ist per se kein Auto für die Rennstrecke.» Kein reinrassiger Sportwagen also, der den nächsten Rekord auf der Nordschleife anpeilt.
Eher ein Grand Tourer, auf die Spitze der Leistungsfähigkeit getrieben. Für all jene Kunden, die ihren Bentley nicht nur gediegen, sondern auch mal flott über Landstrassen und Pässe treiben. Und die bereit sind, dafür wohl rund 300'000 Franken ins englische Crewe zu überweisen. So viel dürfte der Continental GT Speed, den es sowohl als Coupé als auch als offenen Convertible gibt, mindestens kosten, wenn er zum Herbst zu den hiesigen Händlern rollt. Genaue Preise gibts aber erst zum Marktstart.