Viele Promille oder ein anonymer Hinweis reichen
So schnell ist zu Fuss der Führerausweis weg

Als Fussgänger den Führerausweis verlieren? Tönt absurd, ist aber Realität. Ob Alkohol, Drogen, die Psyche oder nur ein anonymer Hinweis: Man kann ohne Verkehrsteilnahme und ohne Schuld ins Visier der Behörden geraten. Und das kostet!
Publiziert: 31.12.2023 um 10:30 Uhr
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Aktualisiert: 31.12.2023 um 11:36 Uhr
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Ein anonymer Hinweis an Behörden kann reichen – und prompt ist sogar ganz ohne Verkehrsdelikt der Führerausweis in Gefahr.
Foto: Getty Images/Westend61
Timothy Pfannkuchen

Dass Velofahrer unter Alkohol auch ihren Führerausweis riskieren, ist bekannt. Fahruntüchtig fahren ist fahruntüchtiges Fahren, ob mit oder ohne Motor. Doch man kann das Billett sogar zu Fuss oder zu Hause verlieren – oder muss für viel Geld auf einmal um dieses kämpfen.

Kann mir doch nicht passieren? Das täuscht. Ein Sturz, Trunkenheit zu Fuss, eine Message, ein Paket, ja sogar ein anonymer Hinweis können genügen: Wer wegen Verdachts auf Alkohol- oder Drogenkonsum, auf psychische oder physische Gebrechen (Alter!) ohne Verkehrsteilnahme ins Visier gerät, landet schnell bei Tausenden Franken teuren Fahrfähigkeitsprüfungen.

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Anonymer Hinweis reicht

Behörden müssen dazu eigentlich «begründete Zweifel» zur Fahreignung hegen. Eigentlich: Eine angetrunkene Aargauerin sandte einer Freundin eine Message mit Selbstmorddrohung. Die Bekannte rief die Polizei. Die Frau – die sich nie hatte umbringen wollen – bekam prompt Post vom Strassenverkehrsamt. Erst vor dem Bundesgericht wurde die Test-Aufforderung gestoppt.

Der «Beobachter» schrieb über einen Mann aus Basel-Land mit tadellosem Leumund. Sein Paket mit Hanfsamen war am Zoll aufgefallen – ab zur verkehrspsychologischen Prüfung. Der «Tages-Anzeiger» berichtete über eine Zürcherin ohne Drogenvorgeschichte, die für angeblichen Drogenkonsum anonym angeschwärzt wurde. Sie musste zum Test.

Selbst wenn kein sofortiger Sicherungsentzug (vorläufiger Entzug) des Ausweises angeordnet wird, wird der Kampf um den Schein teuer. Das Strassenverkehrsamt Zürich etwa nennt circa 900 bis 1200 Franken für eine verkehrspsychologische und 1500 für eine verkehrsmedizinische Prüfung. Teils sind beide zu absolvieren – je auf Vorkasse. Folgen später weitere Haar- und Urinproben, sind flott weitere Tausender weg. Bekannt werden von den Fällen fast nur jene, die ans Bundesgericht gezogen werden – was das Gros der Betroffenen jedoch aus Kostengründen scheut.

Mehr Rechtssicherheit bei Entzug und Tests

Seit dem 1. April 2023 sorgt eine Gesetzesänderung für mehr Rechtssicherheit beim Thema Führerausweisentzug. Kantonale Behörden sind nun verpflichtet, den vorsorglichen Entzug alle drei Monate neu zu beurteilen. Diese Verfügung ist dann je neu anfechtbar: Die Behörde muss innerhalb zwanzig Arbeitstagen die Aufrechterhaltung des Entzugs verfügen – oder den Ausweis der berechtigten Person zurückgegeben.

Zudem geniessen Personen, die Zweifel an der Fahreignung Dritter melden, nur noch Anonymität und Vertraulichkeit, wenn ihnen dadurch grosse Nachteile entstehen könnten – wenn sie z.B. ihren Vorgesetzten melden und dann Nachteile im Beruf haben könnten. Generelle Anonymität gilt dagegen nicht mehr. Wer grundlos Personen anschwärzt, der könnte privatrechtlich auf Schadensersatz verklagt werden.

Seit dem 1. April 2023 sorgt eine Gesetzesänderung für mehr Rechtssicherheit beim Thema Führerausweisentzug. Kantonale Behörden sind nun verpflichtet, den vorsorglichen Entzug alle drei Monate neu zu beurteilen. Diese Verfügung ist dann je neu anfechtbar: Die Behörde muss innerhalb zwanzig Arbeitstagen die Aufrechterhaltung des Entzugs verfügen – oder den Ausweis der berechtigten Person zurückgegeben.

Zudem geniessen Personen, die Zweifel an der Fahreignung Dritter melden, nur noch Anonymität und Vertraulichkeit, wenn ihnen dadurch grosse Nachteile entstehen könnten – wenn sie z.B. ihren Vorgesetzten melden und dann Nachteile im Beruf haben könnten. Generelle Anonymität gilt dagegen nicht mehr. Wer grundlos Personen anschwärzt, der könnte privatrechtlich auf Schadensersatz verklagt werden.

Vorgeschichte gleich Prüfung

Nachvollziehbar ist, dass man mit einer entsprechenden Vorgeschichte geprüft wird. Oder wenn man mit sehr viel Promille wirkt, als habe man wenig intus. Dann liegt der Verdacht eines Suchtproblems nahe. Auch hier wird laut Bundesgericht aber gerne zu eifrig gehandelt. Im Aargau brach sich ein Mann zu Fuss mit gut 2,3 Promille den Knöchel. Weil er mehr als sechs Jahre zuvor betrunken gefahren war, sollte er zum 1000-Franken-Test. Das Bundesgericht sagte Nein dazu.

Teils geht es um Verkehrsteilnahme ohne Fahren. Im Kanton St. Gallen musste eine Frau zum Gutachter, weil sie zu Fuss in einen Verkehrsunfall verwickelt war und drei Promille hatte, aber stabil wirkte. In demselben Kanton weiss Blick von einem Fall eines Mannes mit tadellosem Leumund, erwischt beim Schnupfen von Kokain als Beifahrer im parkierten Auto. Der Mann verlor wegen Sicherungsentzugs ein halbes Jahr lang seinen Ausweis. Später gab ihm das Bundesgericht recht, er müsse die Fahrfähigkeit nicht weiter prüfen lassen.

Die Umkehr der Beweispflicht

Doch wieso ist das erlaubt? Weil die Fahrfähigkeitsprüfung kein Straf-, sondern «nur» ein Verwaltungsverfahren ist. Also müssen Behörden hier keine Schuld, sondern Betroffene die Unschuld nachweisen. Dass die Zahl der Fälle eine Zeit lang stark zugenommen hatte, lag vor allem an dem 2013 in Kraft getretenen Via-Sicura-Gesetz: Für den guten Sicherheits-Zweck gingen Behörden zur harten Linie über.

Und das Thema bleibt aktuell. Zwischen 2015 (80'200) und 2022 (79'300) blieb die Zahl an Entzügen mit einem leichten Rückgang in den Jahren der Corona-Pandemie quasi unverändert hoch; ebenso die Zahl der verkehrspsychologischen Untersuchungen (4400 gegenüber 4300).

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