Die Nachricht platzt mitten hinein in die damals grösste Automesse der Welt, die IAA in Frankfurt am Main (D): Am 18. September 2015 wird bekannt, dass in Dieselmotoren des VW-Konzerns eine illegale Software verwendet werde. Laut der US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) führe sie dazu, dass die Motoren nur auf dem Prüfstand die vorgeschriebenen Grenzwerte bei Stickoxiden (NOX) einhalten, nicht aber im Alltagsbetrieb auf der Strasse.
Die Folge: ein gewaltiges Branchenbeben. Verkaufsverbote für Dieselmodelle, Absatzeinbruch, Schadensersatzforderungen und -klagen von Kunden der Konzernmarken Audi, Seat, Skoda, Porsche und VW, deren Dieselfahrzeuge aufgrund der Schummelsoftware nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Rund 32 Milliarden Euro zahlte der Konzern in der Folge an Strafen und Entschädigungen. Ausserdem fegte der Skandal nahezu die komplette Führungsriege weg. Und er führte zum Umsteuern des Unternehmens hin zur Elektromobilität. Doch offen blieben die wichtigen Fragen: Wie war es möglich, dass im System VW-Konzern niemand gegen die Gesetzesverletzung durch eine Schummelsoftware einschritt? Und wer veranlasste deren Entwicklung?
Ex-Entwickler legt Geständnis ab
Nach rund zweieinhalb Jahren geht nun der Prozess vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München (D) gegen mutmassliche Verantwortliche in die Endphase. Angeklagt sind der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler (60), der einstige Audi-Motorenentwickler Wolfgang Hatz (64) und ein weiterer leitender Ingenieur. Hatz und Stadler hatten im bisherigen Prozessverlauf immer bestritten, Kenntnis von der verbotenen Motorensoftware und ihrer Funktionsweise gehabt zu haben. Doch jetzt hat Hatz ein umfassendes Geständnis abgelegt: «Ich räume die mir zur Last gelegten Vorwürfe hiermit vollumfänglich ein», liess er seinen Anwalt heute Morgen dem Gericht erklären.
Die «prägenden Elemente der Software» seien Hatz bekannt gewesen, zitiert das «Handelsblatt» den Anwalt. Hatz gab zu, er habe die Software veranlasst, mit der die Stickoxid-Grenzwerte der Dieselmotoren zwar auf dem Prüfstand eingehalten wurden, aber nicht mehr auf der Strasse. Der Grund: So konnte Audi deutlich kleinere Tanks für den nötigen Harnstoff zur Abgas-Nachbehandlung einbauen. Mit diesem sogenannten Adblue wird der Anteil der Stickoxide im Abgas massiv reduziert. Dank der Software musste ausserdem dem Kunden seltener das Nachfüllen von Adblue zugemutet werden.
Geständnis gegen Bewährung
Hintergrund des Geständnisses dürfte die Aussicht auf einen Deal zur Strafmilderung sein. Der Vorsitzende Richter Stefan Weickert sagte, das Gericht habe allen Angeklagten bei vollen Geständnissen Bewährungsstrafen zwischen eineinhalb und zwei Jahren in Aussicht gestellt. Die Staatsanwaltschaft «könnte damit leben», wenn Stadler eine Bewährungsauflage in Millionenhöhe zahlen müsste, sagte der Richter weiter. Ein weiteres Gespräch mit Stadlers Verteidigern sei dazu geplant. Hatz dagegen legte sein Geständnis bereits ab.
Doch es könnte sein, dass dem ehemaligen Motorenentwickler sein Geständnis nichts mehr nützt beim Strafmass. Das Gericht hatte für Hatz bei einem vollen Geständnis eine Bewährungsstrafe und eine Bewährungsauflage von 400'000 Euro vorgeschlagen. Hatz' Verteidigung stimmte zu, aber die Staatsanwaltschaft forderte eine Haftstrafe ohne Bewährung. Denn Hatz sei in sehr hoher Position für einen beträchtlichen Schaden verantwortlich, und das Geständnis komme sehr spät.
Langjährige Konzernmitarbeiter
Rupert Stadler arbeitete ab 1990 im VW-Konzern und galt als enger Vertrauter des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn (75). Im Juni 2018 wurde er aufgrund seiner Verwicklung in den Dieselskandal in Untersuchungshaft genommen und nach vier Monaten auf Kaution freigelassen. Im Oktober 2018 löste Audi den Vertrag mit ihm auf. Wolfgang Hatz startete 2001 als Chef der Aggregate-Entwicklung bei Audi und leitete ab 2009 die gesamte Aggregate-Entwicklung im Konzern. Ab 2011 war er zusätzlich Entwicklungsvorstand bei Porsche. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Dieselskandal wurde er noch im September 2015 beurlaubt, im September 2017 in Untersuchungshaft genommen und im Juni 2018 gegen Kaution freigelassen.
Eine Verständigung erreichte das Gericht im Falle des mitangeklagten leitenden Ingenieurs. Er soll bei Zahlung von 50'000 Euro zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden.