So können sich die Gewichtungen innerhalb eines Automobilkonzerns verschieben. Noch vor ein paar Jahren war Polestar Volvos kleine Elektro-Tochter. In diesem Jahr hatte der Polestar 3 bei der Weltpremiere schon drei Wochen Vortritt vor Volvo. Das ändert nichts dran: Volvos neuer EX90, Technik-Zwilling des Polestar 3, spielt ebenfalls ansehnlich die Karte des schnörkellosen skandinavischen Designs – manches erinnert an die Studie Recharge Concept von 2021, einiges knüpft aber auch an aktuellen Volvo-Modellen an. Sich gegenseitig die Kunden wegschnappen dürften die beiden Schwedenstromer aber kaum.
Denn es gibt mehr als genug Unterschiede zur Profilierung: Das betrifft hauptsächlich den Innenraum. Obwohl beide wohl nächstes Jahr mit dem identischen Radstand von 2,98 Metern zum Händler rollen, gibts nur im Volvo EX90 drei Sitzreihen, auf denen sieben Personen Platz finden. Daher ist der Volvo EX90 mit 5,04 Metern auch um 14 Zentimeter länger als der Polestar. Je nach Sitzkonfiguration passen in den Kofferraum des EX90 zwischen 310 und 1915 Liter Gepäck. Mit einer Kapazität von netto 107 Kilowattstunden (kWh) steckt im Unterboden einer der derzeit grössten Batterien in einem Elektroauto – und zwar in jeder Antriebsversion.
Bis zu 600 Kilometer Reichweite
Grundsätzlich kommt der Volvo EX90 immer mit Allradantrieb. Den Anfang macht zum Marktstart 2023 die Topversion mit 517 PS (380 kW), einem maximalen Drehmoment von 910 Newtonmetern und 590 km Reichweite. Der Sprint von null auf 100 km/h ist in 4,9 Sekunden absolviert und bei 180 km/h wirft die Elektronik den Anker: Schliesslich begrenzt Volvo längst alle Modelle auf diesen Wert, während Polestar-Modelle freie Fahrt haben. Zweite Variante wird jene mit 408 PS (300 kW) und 600 Kilometern Reichweite; dritter im Bunde wird die Version mit 503 PS (370 kW), ebenfalls 910 Nm und identischen Fahrleistungen. Sie dürfte auch in den USA erscheinen, wo der EX90 ab 2023 auch produziert wird. Ein Jahr später sollen die ersten Fahrzeuge in China vom Band laufen.
An der Gleichstrom-Schnellladesäule sind die Akkus innert 30 Minuten von null auf 80 Prozent gefüllt. Der EX90 wird zudem als erster Volvo bidirektionales Laden unterstützen, kann also als mobiler Stromspeicher in die Haustechnik eingebunden werden. Tagsüber produzierter Solarstrom lässt sich so zwischenspeichern, um elektrische Geräte, das eigene Haus oder auch das öffentliche Stromnetz mit Energie zu versorgen. Letzteres ist aber noch Zukunftsmusik.
Traditionell spielt bei einem Volvo die Sicherheit eine grosse Rolle. Als erster Volvo trägt der EX90 künftig Lidar-Lasersensorik vorne auf dem Dach. Sie nimmt ein 360-Grad-Abbild der Umgebung auf – eine Voraussetzung fürs autonome Fahren. Sie waren die grösste Herausforderung für den Exterieur-Chefdesigner T Jon Mayer: «Die Lidar-Sensoren müssen möglichst hoch montiert werden, damit sie weit vors Autos schauen können.» Gleichzeitig würden sie so aber die Aerodynamik stören und Reichweite kosten. «Und die ganzen Design-Proportionen wären dahin», so Mayer. Deshalb stecken sie jetzt teils versenkt unter einer windschlüpfigen Hutze: «Aber dafür habe ich lange kämpfen müssen», sagt Mayer.
Rollende Spielekonsole
Im glatt polierten Innenraum dominieren der senkrecht stehende 15-Zoll-Touchscreen und ein schmaler digitaler Info-Balken hinter dem Volant. Wie bei Volvo schon üblich, spielt das Infotainment im EX90 mit Googles Android-Betriebssystem, inklusive der Navigation mit Google Maps. Für Konnektivität und die drahtlosen Updates sorgt ein 5G-Chip. Rechenpower und Graphikkarte taugen sogar für Videospiele, die im Zusammenspiel mit den 25 Lautsprechern des B&W-Soundsystems den Nachwuchs auch auf langen Strecken beschäftigen.
Noch gibts keinen konkreten Termin für den Marktstart – es dürfte mindestens Ende 2023 werden. Entsprechend gibts auch noch keine Preise. Volvos aktuelles Flaggschiff XC90 mit Plug-in-Hybridantrieb wird noch eine Zeit lang parallel zum EX90 angeboten – daher übernimmt der neue Stromer auch nicht den alten Namen. Dennoch startet mit dem EX90 bei Volvo der Umbruch auf die nächste Modellgeneration: Er ist das erste von sieben neuen Modellen bis 2030 – in jedem der kommenden Jahre eins.