Jede und jeder hat wohl schon vor dieser Entscheidung gestanden: Nehme ich den Bus oder das Tram? Fahre ich per E-Bike oder Velo? Oder steige ich doch lieber ins Auto? Wer vor der Wahl des richtigen Verkehrsmittels steht, entscheidet sich oft für Letzteres. Wenn es in der Garage steht, dann fahren wir auch. Weils uns bequem, ohne Umsteigen und meist auch schnell ans Ziel bringt.
Diese Alltagsfrage hat die Universität St. Gallen in einer neuen Studie aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet. Aber während Befragungen oft ergeben, dass viele im Prinzip ja schon gerne ÖV und alternative Verkehrsmittel nutzen würden, aber es oft nicht tun, schaute sich das Team um Andreas Herrmann, Direktor des Instituts für Mobilität an der Universität Sankt Gallen, das tatsächliche Verhalten der Probanden an.
Es gibt keine Standardlösung
Unter welchen Bedingungen nutzen Menschen heute das bestehende Mobilitätsangebot? Wo hakt es beim Umstieg? Und positiv gefragt: Was muss sich verbessern, um zur Nutzung emissionsarmer Verkehrsmittel zu motivieren? Das untersuchte Herrmann anhand von 20 Haushalten in den europäischen Städten Berlin, Hamburg, St. Gallen und Zürich. Neben dem eigenen Auto standen den Haushalten 13 alternative Mobilitätsangebote zur Verfügung.
Dazu gehörten zum Beispiel eine intensivierte Nutzung des öffentlichen Verkehrs, die Einführung von Mobilitätsapps oder die Abgabe des persönlichen Autos. Wichtigste Erkenntnis: Jeder Nutzer tickt anders – es gibt keine Standardlösung, die für alle gilt. Je flexibler und auf das Umfeld angepasster das Mobilitätsangebot, umso eher wirds genutzt. Und: Wir sind zu bequem für den Umstieg. Alternative Mobilitätsangebote wurden nur genutzt, wenn sie den beinahe gleichen Komfort bieten wie das eigene Auto.
ÖV muss erlernt werden
Denn: Wer alternativ unterwegs war und aufs Auto verzichtete, musste seinen Tagesablauf entsprechend anpassen. Nur wer in Stadt und Agglomeration wohnt, kann den Verzicht aufs eigene Auto mit Alternativen wie ÖV oder Carsharing kompensieren. Nach der Nutzung von alternativen Mobilitätsangeboten gab mehr als die Hälfte der Haushalte an, dass sie lieber den Aufpreis für die Nutzung eines Autos zahlen, als darauf zu verzichten. Höchstens aufs Zweitauto würde mancher Haushalt verzichten.
Pendeln im ÖV war für Neu- oder Selten-Nutzer zudem eine grosse Herausforderung. Wie sieht das Liniensystem aus? Wie lese ich einen Fahrplan? Welches Ticket brauche ich? Manche und mancher musste das erst lernen. Ähnliche Lernprozesse waren laut den Studienergebnissen auch bei Car-Sharing oder Mobilitätsapps nötig. Aber: Durch die Nutzung sogenannter Multimodal-Apps, die unterschiedliche Angebote kombinieren, wurde das Verständnis für alternative Mobilität gefördert und die Hürde fürs Ausprobieren gesenkt.
Emissionen sind zu abstrakt
Überraschend: Die Reduzierung des eigenen CO₂-Ausstosses spielte kaum eine Rolle für die Nutzung grüner Mobilitätsmodelle. Die Auswirkungen eines Gramms oder einer Tonne CO₂ auf die Umwelt waren zu abstrakt, um die Entscheidung für oder gegen ein Verkehrsmittel wirklich zu beeinflussen.
Um möglichst wenig Emissionen zu verursachen und den Komfort des PWs zu behalten, wären Stromer die perfekte Lösung. Die Fahreigenschaften wurden von den Probanden auch positiv aufgenommen, ein grosses Problem war jedoch die Ladeinfrastruktur. Diese wurde als zu komplex eingestuft und die Anschaffung eines Ladepunkts sei wegen des grossen Investitionsvolumens nicht attraktiv. Solange Ladesäulen nicht ausreichend und einfach zu bedienen sind, könne E-Mobilität kaum ihr Potenzial entfalten, so Herrmann.
Kosten zählen
Statt der Emissionen spielten aber die Kosten eine grosse Rolle bei der Entscheidung für und wider ein Mobilitätsangebot – obwohl viele der Probanden zu Studienbeginn keine realistische Vorstellung von ihren tatsächlichen Mobilitätskosten hatten. Aber auch wer bei Mobilität aufs Geld schaut, nimmt laut Studie dennoch oft den Aufpreis für einen PW auf sich. Nur eine Minderheit wollte ihr zukünftiges Verhalten ändern, um Kosten zu sparen. Das Auto steht in der Mobilität durch seine räumliche und zeitliche Flexibilität also immer noch ganz vorne, selbst wenn es teurer ist.
Und wie werden nun Mobilitätsangebote neben dem eigenen Auto zur wirklichen Alternative? Nur wenn wir unseren Mindset ändern, ist Herrmann überzeugt: «Mobilitätsroutinen müssen durchbrochen werden.» Und zweitens muss jeder Haushalt sich ernsthaft mit seinen Anforderungen an Mobilität und dem Angebot auseinandersetzen. Statt einfach immer ins Auto zu steigen.