Die Schweiz ist ein Autoland – nicht nur beim Autokauf: Fast 600 Unternehmen und 34'000 Mitarbeiter leben von der Schweizer Autoindustrie, die öffentlich kaum wahrgenommen wird. Zum Vergleich: Die berühmte Uhrenbranche hat 60'000 Mitarbeiter, ist aber weit mehr im Gespräch.
Der Corona-Stillstand hat die Autobauer und damit die Schweizer Autozulieferer voll erwischt. Hoffnung stiftet, dass die deutschen Marken – an die vier Fünftel aller Teile gehen – sich auf den Neustart vorbereiten. Audi etwa will Ende April loslegen, Ford Deutschland Anfang Mai. Langsam, wohlgemerkt: In Zeiten von «Just in Time» gehen sonst nach spätestens einer Woche Teile aus, falls die hochkomplex global verwobenen Lieferketten nicht mitziehen. Ein Beispiel: Ist ein Schweizer Zulieferer auf Vorprodukte aus Italien angewiesen, bleibts schwierig.
Das grosse Fragezeichen
Wie angespannt die Lage ist, spürt man bei KMU, die neun von zehn Schweizer Zulieferern ausmachen. Namen mögen diesmal bitte keine genannt werden, heisst es – zu gross das Zittern, zu unüberschaubar die Situation, zu dramatisch die Lage. Man versuche, im Nicht-Autobereich zu kompensieren. Und sei zuversichtlich, dass es nun weitergehe. Aber die Schäden seien noch nicht mal grob zu beziffern.
Das grosse Corona-Fragezeichen sehen auch Unternehmen vor sich, die sonst ein Fall für Ausrufezeichen sind. Wie Autoneum aus Winterthur ZH, der Riese der Schweizer Zulieferer: Weltmarktführer im Akustik- und Wärmemanagement, von dem in fast jedem Auto Hightech-Dämmung steckt! Global 55 Werke!! Weltweit 13'000 Mitarbeiter!!! Solch ein Konzern mag grössere Reserven haben als ein KMU. Aber hier ist die Situation aufgrund komplexer Lieferketten noch vertrackter, und von den allfälligen Folgen sind nochmal viel mehr Mitarbeiter betroffen.
Folgen nicht abzuschätzen
Derzeit produziert Autoneum wieder an den acht Standorten in China. Aber fast alle anderen Werke stehen still – darunter das Werk in Sevelen SG mit rund 320 Mitarbeitern. Die Crux: Selbst wenn die deutschen Autobauer per Ende April oder Anfang Mai loslegen, ist Corona anderswo ja sprichwörtlich noch hoch virulent.
«Eine solche Situation ist schlicht ein absolutes Novum», sagt Autoneum-Kommunikationschefin Anahid Rickmann. «Wir richten uns natürlich nach den Kunden – sobald sie die Produktion hochfahren, fahren auch wir sie wieder hoch.» Die Auswirkungen auf das Jahresergebnis seien noch offen. «Wir müssen von einem noch nicht abschätzbaren Umsatzrückgang im laufenden Jahr ausgehen und davon, im Geschäftsjahr 2020 unsere finanziellen Ziele nicht zu erreichen.» Rickmann fügt an: «Aber die Ankündigungen verschiedener Hersteller, die Produktion wieder zu starten, sind ein sehr positives Zeichen.»
Licht am Ende des Tunnels
Selbst die Expertin schlechthin für die Schweizer Zulieferbranche muss passen, fragt man bereits nach Corona-Spätfolgen. Seit zwölf Jahren untersucht Anja Schulze (46), Professorin an der Uni Zürich und Direktorin von Swiss Car, die Autoindustrie der Schweiz. «Die aktuelle Situation ist einzigartig. Gesamthaft sind die Folgen im Moment noch gar nicht abschätzbar. Die Lage der Autobranche war bereits zuvor angespannt. Nun addiert sich Corona dazu», erklärt Schulze. «Zwar hat die hiesige Autoindustrie Reserven, aber die Frage ist nun, wie viel davon Corona aufzehrt – und wie sich danach die Kauflust entwickelt. Gerade für kleinere KMU kann es schnell eng werden.»
Aber in Deutschland gehts doch bald wieder los? «Die Problematik liegt darin, dass man nicht einfach den Schalter umlegen kann und alles läuft wieder auf dem Niveau, das wir vor Corona hatten – nicht nur aufgrund der unsicheren Marktentwicklung. Ein Neustart braucht auch Zeit, denn es stecken hochkomplexe Prozesse dahinter», sagt Schulze. «Zumindest höre ich aber, dass Firmen die Zeit genutzt haben, um weiter zu forschen und zu entwickeln. Und man sieht nun ein Licht am Ende des Tunnels.»
Nicht alles liegt brach
Dazu passt, dass es bei aller Krisenstimmung auch positive Nachrichten gibt. Beim Fahrzeugbauer Kyburz Switzerland aus Freienstein-Teufen ZH läuft die Produktion der bis nach Australien exportierten Elektro-Zustell-Dreiräder der Post wie auch des E-Roadsters eRod und der E-Seniorenfahrzeuge. Auch, weil man nicht ganz so sehr auf «Just in Time» setzt: Zufällig kurz vor dem dortigen Shutdown kam noch eine grosse Ladung Akkus aus China an. Kurzarbeit? Ist kein Thema.
Die nach 2008 und 2013 dritte Studie von Swiss Car (Swiss Center for Automotive Research) listete 2018 stolze 574 Unternehmen der Schweizer Autoindustrie auf, die alleine im Inland (also ohne Dependancen im Ausland) pro Jahr 12,3 Milliarden Franken Umsatz generieren und 34’000 Menschen beschäftigen. Dies wohlgemerkt ohne das Autoimporteurs- oder Garagengewerbe gerechnet! Die Branche umfasst Etablierte wie Sika (Baar ZG) und Start-ups wie WayRay (ehemals Lausanne, jetzt Zürich), Grosse wie Georg Fischer (GF) aus Schaffhausen – aber vor allem etliche KMUs: Neun von zehn der Schweizer Autoindustrie-Firmen sind KMU. Meistens Zulieferer, deren Teile zu 80 Prozent an die deutschen Automarken gehen. Zu den Zulieferern kommen Fahrzeugbauer wie Carrosserie Hess (Bellach SO), Brändle (Wil SG) oder weitere wie der Schmierstoff-Spezialist Panolin (Madetswil ZH).
Die nach 2008 und 2013 dritte Studie von Swiss Car (Swiss Center for Automotive Research) listete 2018 stolze 574 Unternehmen der Schweizer Autoindustrie auf, die alleine im Inland (also ohne Dependancen im Ausland) pro Jahr 12,3 Milliarden Franken Umsatz generieren und 34’000 Menschen beschäftigen. Dies wohlgemerkt ohne das Autoimporteurs- oder Garagengewerbe gerechnet! Die Branche umfasst Etablierte wie Sika (Baar ZG) und Start-ups wie WayRay (ehemals Lausanne, jetzt Zürich), Grosse wie Georg Fischer (GF) aus Schaffhausen – aber vor allem etliche KMUs: Neun von zehn der Schweizer Autoindustrie-Firmen sind KMU. Meistens Zulieferer, deren Teile zu 80 Prozent an die deutschen Automarken gehen. Zu den Zulieferern kommen Fahrzeugbauer wie Carrosserie Hess (Bellach SO), Brändle (Wil SG) oder weitere wie der Schmierstoff-Spezialist Panolin (Madetswil ZH).