Auch neben der Elektromobilität setzt die Autobranche zunehmend auf Nachhaltigkeit. Immer mehr Hersteller verwenden im Innenraum ökologisch und tierethisch einwandfreie Stoffe. Vor allem Alternativen zu Echtleder stehen dabei im Fokus – das Interieur wird quasi vegan.
Dabei ist Leder nicht nur bei Luxusmarken sehr beliebt. Es bietet viele Vorteile: So ist echtes Leder komfortabler als Kunstleder. Es ist leichter zu pflegen als Stoffbezüge, was gerade für Familien mit Kleinkindern wichtig ist. Es riecht gut und erleichtert nach wie vor den Wiederverkauf des Autos. Dazu ist es langlebiger, denn Leder sieht auch in Klassikern nach Jahren oder gar Jahrzehnten noch gut aus und lässt sich immer wieder auffrischen. Stoffsitzen hingegen sieht man ihr Alter schnell an.
Der geplante Leder-Ausstieg
Trotzdem will beispielsweise Volvo in Zukunft auf Leder verzichten – zumindest bei den Elektroautos. Und bis 2025 sollen die Materialien in allen neuen Modellen zu einem Viertel aus recycelten und biobasierten Materialien bestehen. Skodas Lederalternative im Enyaq besteht zu 60 Prozent aus aufbereitetem Polyester und zu 40 Prozent aus Schurwolle. Mit Polyester verbinden viele ein schweisstreibendes Körpergefühl. Doch die Tschechen verweisen auf den kühlenden Effekt dieser Materialkombination. Sie sei zudem atmungsaktiv und filtere Schadstoffe und Gerüche aus der Umgebungsluft.
Aber auch die für Volllederausstattungen bekannten Luxusmarken schwenken um. Bei Audi, Bentley und Land Rover etwa kommen Sitzbezüge aus recycelten PET-Flaschen zum Einsatz. Die Sitze des kürzlich vorgestellten neuen Range Rover werden auf Wunsch mit Polyurethan-Kunstleder der Firma Ultrafabrics bezogen. Wenn selbst die Luxusdampfer dem traditionellen Sitzbezug abschwören, scheinen die Tage des echten Leders im Auto wirklich bald gezählt zu sein.
Was der Kunde bestellt
Die Wahrheit ist aber eine andere: Fast die Hälfte aller Volvo (46 Prozent) werden mit einer Lederausstattung bestellt. Beim Skoda Enyaq sind es rund ein Drittel der Fahrzeuge. Natürlich bieten auch die Luxus-Autobauer nach wie vor Volllederausstattungen an. Bei BMW zum Beispiel werden vegane Alternativen erst in Betracht gezogen, wenn sie dem Luxusanspruch der Bayern genügen. Zumal Tierhäute für die Verarbeitung im Auto makellos sein müssen – ohne Verletzungen durch Stacheldraht, Insektenstiche oder anderen Narben. Entsprechend aufwendig ist die Haltung der Tiere, um diese zu verhindern.
Eine beliebte Alternative zu Leder ist Alcantara – flauschig wie Wildleder, aber ein synthetisches Mikrofasergewebe aus Polyester und Polystyrol. Es kommt vor allem in teureren Modellen und Sportversionen zum Einsatz. Der Stoff ist leichter zu pflegen als Stoffbezüge. Allerdings wirken Lenkradkränze und Sitzbahnen, die damit bezogen sind, mit der Zeit durch die Benutzung «speckig».
Eine beliebte Alternative zu Leder ist Alcantara – flauschig wie Wildleder, aber ein synthetisches Mikrofasergewebe aus Polyester und Polystyrol. Es kommt vor allem in teureren Modellen und Sportversionen zum Einsatz. Der Stoff ist leichter zu pflegen als Stoffbezüge. Allerdings wirken Lenkradkränze und Sitzbahnen, die damit bezogen sind, mit der Zeit durch die Benutzung «speckig».
Die Vorwürfe der Tierschützer
Aber werden Tiere nur im Dienst der Autoindustrie geschlachtet? Laut der Tierschutzorganisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) durchaus. Zusammen mit der Nichtregierungsorganisation Repórter Brasil will PETA die brutalen Zustände auf mehreren Rinderfarmen in Brasilien aufgedeckt haben. Von dort wird angeblich JBS S.A. beliefert, laut PETA einer der grössten Lederverarbeiter der Welt, der auch Autobauern zuliefert. Diese seien gefordert, solche Zustände in ihrer Lieferkette zu unterbinden.
Der österreichische Lederzulieferer Boxmark will dieser Argumentation nicht folgen. Demnach mache die Haut eines Rindes nur rund drei Prozent des Gesamtwerts des Tieres aus. Also sei der Mehrerlös durch die Haut für den Züchter so gering, dass er keinerlei Einfluss auf die wirtschaftliche Entscheidung hat, Tierhaltung zu betreiben oder nicht. «Rinder werden gezüchtet und geschlachtet, unabhängig davon, ob es einen Abnehmer für die Haut gibt oder nicht, weil der Erlösanteil der Haut in Relation zum Fleisch oder zur Milch viel zu gering ist», erklärt Boxmark-Designchef Thorsten Buhl.
Dieser Fakt wirkt sich laut Boxmark auch auf die CO₂-Bilanz von natürlichem Leder aus, da die Rinderzucht nicht aufgrund der Häute betrieben wird. Gemäss der Organisation Food and Agriculture (FAO) der UNO fallen in der Fleisch- und Milchindustrie jährlich rund 9,1 Millionen Tonnen Rinder-Rohhäute an. Diese werden unter anderem von der Autoindustrie weiterverarbeitet. Wäre das nicht der Fall, würden bei der Entsorgung der Rohhäute rund acht Millionen Tonnen CO₂ freigesetzt.
Der lange Weg zu neuen Alternativen
Das Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen FILK in Freiberg (D) hat Anfang 2021 in einer Studie vegane Lederalternativen wie Apfelleder, Ananasleder, Kaktusleder und Kunstleder untersucht und dabei wichtige Eigenschaften, welche die Haltbarkeit des Materials definieren, im Vergleich untersucht: Zug- und Reissfestigkeit, Wasserdampfaufnahme, Wasserdampfdurchlässigkeit und Flexibilität. Das Resultat: Einzelne Materialien sind im einen oder anderen Kriterium ähnlich gut oder vielleicht sogar leicht besser als Leder. In der Gesamtheit könnten diese Alternativen aber nicht an die Performance von echtem Leder heranreichen. Noch nicht.