Pandemie-Folgen: Auto-Papst erwartet Absatzminus von 20 Prozent
Steiler Absturz, zähe Erholung

Die Folgen der Corona-Krise werden Europas Autoindustrie noch lange beschäftigen. Während Asien und die USA sich in wenigen Jahren erholen dürften, rechnet Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer für Europa mit einer langen Rekonvaleszenz.
Publiziert: 18.04.2020 um 16:49 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2020 um 16:38 Uhr
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Nach dem steilen Absturz wird sich der europäische Automarkt nur sehr langsam wieder erholen: Das prognostiziert Ferdinand Dudenhöffer von der Universität St. Gallen.
Foto: Ulrich Zillmann
Andreas Faust

Die Corona-Krise wird die Autowirtschaft global hart treffen. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer (68) vom Institut für Customer Insight an der Universität St. Gallen rechnet für das Jahr 2020 mit einem Rückgang der Neuwagenverkäufe um rund 20 Prozent oder 14,4 Millionen Neuwagen. Schnelle Erholung sei angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen nach der Pandemie nicht zu erwarten. China könne es schaffen, bis 2025 wieder Absatzzahlen wie vor der Krise zu erreichen. In Europa werde das aber schwierig. «Hier werden Überkapazitäten bei Autobauern und Zulieferern entstehen», so Dudenhöffer.

Für ihn stand die Autobranche schon vor dem Coronavirus vor massiven Herausforderungen. Im letzten Jahr prognostizierte er bereits die «Weltautokrise»: 2020 werde der weltweite Autoabsatz um fünf Prozent schrumpfen. Als Hauptgrund sah er damals die Branche dominierenden Handelsauseinandersetzungen, in denen US-Präsident Donald Trump gegenüber China und Europa mit deutlichen Zollerhöhungen auf deren Produkte gedroht hatte. Hinzu kamen die Belastungen wegen der Umstellung auf elektrische Antriebe, Umstrukturierungen beim Personal und die erwarteten Strafzahlungen wegen der wahrscheinlichen Überschreitung der EU-Grenzwerte für den CO2-Ausstoss. Jetzt mit der Corona-Pandemie geht Dudenhöffer von einem viermal so grossen Minus aus.

Europaweites Minus von 53 Prozent

Vor allem wenn China hustet, kranken die Autohersteller global. Dort waren die Verkäufe nach der Abriegelung der Provinz Hubei Ende Januar im Februar um 82 Prozent eingebrochen. Längst ist das Land mit rund 21 Millionen Personenwagen im Jahr 2019 der grösste Automarkt der Welt und beispielsweise für VW der grösste Absatzmarkt.

Mit der Ausbreitung der Pandemie nach Europa sind die Folgen auch längst hier spürbar. Im März verbuchte der Schweizer Automarkt ein Minus von fast 40 Prozent, in Deutschland waren es 38 Prozent. In ganz Europa gingen die Neueinlösungen um insgesamt rund 53 Prozent zurück. Vom europaweit verordneten Lockdown in der Autoproduktion waren Ende März rund 1,1 Millionen Beschäftigte betroffen.

Inzwischen fahren einige Hersteller die Produktion wieder an. Motorenbau und die PW-Fertigung in Sindelfingen (D) und Bremen (D) laufen bei Mercedes wieder im Einschichtbetrieb. Bei Volkswagen wird stufenweise seit Anfang April produziert: Zunächst startete am 6. April die Komponentenfertigung, um die ebenfalls wieder geöffneten Werke in China zu versorgen. Seit Anfang dieser Woche werden sukzessive die Werke in Europa und den USA hochgefahren; Südamerika soll aber erst Mitte Mai folgen.

Halten die Lieferketten?

Während des Lockdowns wurden die Fertigungsstrassen so umgebaut, dass Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden können. In dieser Zeit summierte sich der Produktionsausfall auf mehr als 1,6 Millionen Fahrzeuge weltweit. Die Folge sind Lieferausfälle, die die ohnehin wegen der Showraum-Schliessungen belasteten Händler treffen. Wenn in den kommenden Wochen diese schrittweise in Europa wieder öffnen dürfen, werden diese Fahrzeuge fehlen.

So sehr der Wiederanlauf der Produktion in der Branche herbeigesehnt wird, so schwierig dürfte er werden. Denn auch die Zulieferer haben ihre Produktion wegen Corona gedrosselt oder gestoppt. Jetzt müssen die Lieferketten erst wieder hochgefahren werden, um die Versorgung der Werke sicherzustellen.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young kann der Corona-bedingte Ausfall schon eines Zulieferers die Produktion bereits nach wenigen Tagen wieder zum Erliegen bringen, wenn nötige Teile fehlen. Aufgrund der Lieferung «just in time» haben Automobilwerke nur noch Komponenten für wenige Tage am Lager. Bei Porsche wurde der Produktionsanlauf wegen harzenden Lieferungen bereits verschoben.

Asien gesundet schnell, Europa braucht lange

Für Dudenhöffer ist die Marktsättigung entscheidend für die Erholung der Autoindustrie. Je geringer die Fahrzeugdichte, desto steiler steige die Nachfrage bei steigendem Bruttoinlandprodukt (BIP) – also Wirtschaftswachstum – an. Verhalten optimistisch sieht Dudenhöffer die Zukunft daher für Südkorea (BIP 2008 bis 2017 +4,8 Prozent), Indien (+9,1 Prozent) oder China (+11,5 Prozent). Letzteres dürfte laut Dudenhöffer mit einem Minus von 15 Prozent davonkommen. Insgesamt werde Asien etwa 2024 wieder den Autoabsatz von vor der Corona-Krise erreichen. Global dürfte dank stabiler US-Nachfrage 2025 der Vor-Corona-Stand wieder erreicht sein.

Dagegen bewertet er die Aussichten im gesättigten Europa-Markt düster. Die Folgen der Lehman-Pleite 2008 belasten noch immer die Staatshaushalte der südlichen EU-Staaten. Die wichtigsten EU-Automärkte wiesen zwischen 2008 und 2017 ein BIP-Minus zwischen 0,2 und 2,0 Prozent auf. Zur Gegenfinanzierung staatlicher Corona-Hilfen würden in den kommenden Jahren zudem Sparprogramme und Steuererhöhungen nötig.

Vor diesem Hintergrund ist nach Dudenhöffers Zahlen für Europa mit rund zehn Jahren Rekonvaleszenz zu rechnen. Während China 2025 bereits wieder im Plus gegenüber 2019 liegen werde, fehlten laut seiner Prognose Europa dann noch 1,2 Millionen Fahrzeuge auf den Vor-Corona-Stand.

Staatshilfen sind nicht nachhaltig

Das bedeutet auch: Die europäischen Autowerke werden 2022 wegen tiefer Inlandnachfrage und schwächerem Export Überkapazitäten von rund zwei Millionen Fahrzeugen aufweisen, die auf Halde produziert werden und nur mit staatlichen Kaufanreizen, wie sie beispielsweise in Deutschland bereits diskutiert werden, in den Markt gedrückt werden könnten.

Derzeit habe die Politik noch kein Konzept, kritisiert Dudenhöffer pauschale Staatshilfen: Die heutige Giesskannen-Methode steigere die Staatsverschuldung und verhindere einen Strukturwandel und Kapazitätsabbau.

Der Auto-Papst ist jetzt Schweizer

Er gilt als streitbar und oft unbequem in seinen Analysen: Seit rund 25 Jahren begleitet Ferdinand Dudenhöffer (68) kritisch die Automobilindustrie. Nach seiner Promotion 1983 in Mannheim (D) und Führungspositionen bei Opel, Porsche, Peugeot und Citroën wurde er 1996 Professor und gründete 2008 das Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen. Weil das Dienstrecht eine Tätigkeit über das Pensionsalter hinaus nicht zuliess, setzt er seit März 2020 seine Studien am Institut für Customer Insight an der Universität St. Gallen fort.

Er gilt als streitbar und oft unbequem in seinen Analysen: Seit rund 25 Jahren begleitet Ferdinand Dudenhöffer (68) kritisch die Automobilindustrie. Nach seiner Promotion 1983 in Mannheim (D) und Führungspositionen bei Opel, Porsche, Peugeot und Citroën wurde er 1996 Professor und gründete 2008 das Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen. Weil das Dienstrecht eine Tätigkeit über das Pensionsalter hinaus nicht zuliess, setzt er seit März 2020 seine Studien am Institut für Customer Insight an der Universität St. Gallen fort.

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