Der CEO allein zu Hause: Vor rund zwei Jahren hat die Mobility Genossenschaft ihr neues Hauptquartier in Rotkreuz bezogen. Doch als wir Roland Lötscher dort zum Gespräch treffen, sind die Bürosessel à la Auto-Sportsitzen verwaist. Seit Oktober arbeiten die meisten der 221 Mobility-Mitarbeitenden wieder im Homeoffice.
Wie hat sich die Pandemie bei Ihnen ausgewirkt?
Roland Lötscher: 2020 war ein wahnsinniges Jahr. Mit Pandemiebeginn sind die Reservationsanfragen um die Hälfte eingebrochen. Wir mussten parallel in mehreren Szenarien denken, um uns dem anzupassen – es wusste ja niemand, wohin die Reise gehen würde.
Ende Jahr resultierten trotzdem nur 4,2 Prozent Umsatzminus. Wie kommt das?
Nach dem ersten Lockdown sind viele vom ÖV aufs Auto umgestiegen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Hinzu kamen noch die Sommerferien, die die meisten daheim in der Schweiz verbracht haben. Beides hat uns in die Karten gespielt. Auch wenn die Pandemie noch nicht vorbei ist – wir sind sicher besser als der ÖV durch die Krise gekommen. Wir machten im 2020 sogar einen kleinen Gewinn.
Viele Unternehmen haben neue Angebote entwickelt. Sie auch?
Beim Einbruch im Frühjahr haben wir ungenutzte Fahrzeuge zu Selbstkostenpreisen in Monatsmiete an Menschen mit systemrelevanten Berufen beispielsweise in Spitälern vergeben. Das hat geholfen und unsere Kosten reduziert. Da haben wir sehr agil reagiert. Ob das Angebot bleibt, müssen wir uns noch anschauen.
Wie läuft die Fahrzeugübergabe in Pandemiezeiten?
Wir haben unsere regelmässigen Reinigungszyklen je nach Fahrzeugauslastung deutlich verkürzt und unsere Kunden aufgefordert, die Hygienemassnahmen einzuhalten und zu ihren Fahrten Desinfektionsmittel mitzubringen.
Liessen sich die Massnahmen überhaupt kontrollieren?
Natürlich geht das nicht 100-prozentig. Aber unsere Kunden haben uns bei einem positiven Test oder wenn sie ein covidpositives Familienmitglied ins Spital gefahren haben benachrichtigt. Unsere Kunden verstehen sich als Community, das hat geholfen.
Wie meinen Sie das?
Früher, mit weniger Kunden, war Mobility definitiv eine Gemeinschaft. Viele Genossenschafter sind seit den Anfängen dabei und leben das noch heute.
Mobil war Roland Lötscher (52) schon immer: Nach KV und MBA-Studium zog es ihn in die Telekommunikation. Nach dem Start 1995 bei der Swisscom arbeitete der gebürtige Basler unter anderem für UPS, Telefonica (Spanien), die Orange Group im UK und Zain in Bahrain. Seit Januar 2019 leitet er die Mobility Genossenschaft. Er lebt mit Frau und drei Kindern in Zürich.
Mobil war Roland Lötscher (52) schon immer: Nach KV und MBA-Studium zog es ihn in die Telekommunikation. Nach dem Start 1995 bei der Swisscom arbeitete der gebürtige Basler unter anderem für UPS, Telefonica (Spanien), die Orange Group im UK und Zain in Bahrain. Seit Januar 2019 leitet er die Mobility Genossenschaft. Er lebt mit Frau und drei Kindern in Zürich.
Wie haben sich Ihre Kunden verändert?
Heute sind ein Drittel unserer Kunden Genossenschafter, der Rest hat ein Abo. Als Mobility startete, wurde über Autobesitz sogar noch politisch diskutiert. Heute ist der Bedeutungsverlust des eigenen Autos bei den Jüngeren dagegen Mainstream. Sie wollen einfach von A nach B kommen und sich nicht mit Service und Unterhalt herumärgern. Mobility ist heute massentauglich. Sharing wird zum Lifestyle.
Mobility ist quasi die Urgrossmutter des Carsharings. Bei der Gründung 1997 war das Unternehmen ein Pionier. Und heute?
Der Pioniergeist spielt auch heute eine grosse Rolle. Mobility war damals einer der Sharing-Schrittmacher – weltweit. Danach wurden wir Digitalisierungsvorreiter mit unserer Buchungsplattform – und heute sind wir es bei der Elektrifizierung. Diese Innovationskraft ist weiterhin da.
Der nächste Umbruch steht vor der Tür: Bis 2030 wollen Sie nur noch E-Autos in der Flotte anbieten, bis 2040 komplett CO2-neutral arbeiten. Warum legen Sie sich so frühzeitig fest?
Zwei Aspekte waren für Mobility immer zentral: die Reduzierung des Verkehrs und die klimaschonende Fortbewegung. Mit der Elektrifizierung können wir beides erreichen. Und wir wollen den Umbruch zur Elektromobilität von Anfang an aktiv mitgestalten. Deshalb kommunizieren wir dieses Ziel so frühzeitig.
Oder stürmen Ihre Genossenschafter?
Sie äussern immer wieder das Bedürfnis, elektrisch unterwegs zu sein. Und wir als Unternehmen haben Wachstumsambitionen. Das trifft sich gut, denn neue Technologie bietet immer die Möglichkeit, neue Kunden zu gewinnen. Das spüren wir jetzt schon bei Pilotprojekten wie unserem Elektroauto-Standort an der Europaallee in Zürich. Die Umstellung auf Elektromobilität ist deshalb eine logische Strategie.
Und schafft Herausforderungen von höheren Anschaffungskosten bis zur Ladeinfrastruktur …
Die Anschaffung ist noch das kleinste Problem. Denn der Preisdruck steigt stetig, und so werden die E-Fahrzeuge langfristig immer günstiger – bis sie irgendwann gleich teuer sind wie Verbrenner. Sowieso gleichen sich die höheren Preise mit den geringeren Unterhaltskosten mehr als aus. Schwierig wirds beim Liefervolumen. Wir haben eine grosse Flotte. Wegen der Engpässe bei Batterien könnte die Verfügbarkeit der Autos zum Problem werden. Die grösste Herausforderung ist aber die Ladeinfrastruktur.
Wollen Sie selber investieren?
Wir werden bis 2023 schweizweit gemeinsam mit Partnern 300 Ladestationen bereitstellen – mindestens.
Aber Ihre Standorte zum Beispiel an Bahnhöfen sind nur gemietet.
Wir setzen auf die Einsicht der Vermieter. Sie müssen nur das Kabel legen, wir stellen die Ladesäule auf.
Aber Städte wie Zürich wollen gar keine Autos mehr in der Innenstadt. Wie lösen Sie das?
Wir diskutieren das proaktiv – auch mit Basel, Bern und Genf. Wir sehen uns als Teil der Lösung zwischen motorisiertem Individualverkehr und ÖV. Das Auto ist böse? Kann man so sehen, aber wir sind die Guten unter den Bösen. Laut einer aktuellen Studie ersetzt ein Mobility-Auto elf Privatautos. Je näher und bequemer unsere Fahrzeuge erreichbar sind, desto eher werden sie die Leute auch nutzen.
Viele haben Angst vor dem Liegenbleiben mit leerer Batterie. Wie wollen Sie die beruhigen?
Wir müssen sie das Elektroauto buchstäblich erfahren lassen. Und ihnen garantieren können, dass sie genug Strom in der Batterie vorfinden, um ihre geplante Strecke zu fahren.
Der Kunde muss dazu beim Abstellen des Autos auch einstöpseln.
Stimmt. Dazu müssen wir erklären, motivieren und auch testen, ob es klappt. Wir sind noch am Lernen. Erst mit umfassender Erfahrung werden wir E-Autos im grossen Massstab ausrollen.
Wie weit fahren Ihre Kunden im Schnitt?
Mobility ist auf kürzere Alltagsfahrten ausgelegt. Elektroautos haben mehrere hundert Kilometer Reichweite, ergo ist das kein Problem. In Städten mit hoher Kundenfrequenz ist der Ladeprozess schwieriger zu sichern als auf dem Land, wo viel weniger Kundenbuchungen erfolgen. Aber wir werden auch per künstlicher Intelligenz versuchen, das Nutzerverhalten vorherzusagen.
Dazu brauchen Sie aber die Daten Ihrer Nutzer.
Derzeit haben wir nur die Bewegungsdaten, die wir auch zur Abrechnung nutzen. Wir müssen künftig abwägen, wie viel Datennutzung nötig und möglich ist, um künstliche Intelligenz einzusetzen. Daran führt kein Weg vorbei.
Mit E-Fahrzeugen reduziert sich Ihr CO2-Ausstoss schon massiv. Warum brauchen Sie danach noch weitere zehn Jahre, um insgesamt CO2-neutral zu werden?
Die Flotte ist nur ein Faktor. Ein weiterer ist das Unternehmen selbst – vom Pendeln der Mitarbeitenden bis zur Klimatisierung der Büros. Und schliesslich müssen wir mit der Autoindustrie sicherstellen, dass auch die Autoproduktion klimaneutral abläuft.
Geben Ihnen die Hersteller diese Informationen?
Noch müssen wir dazu einen Anforderungskatalog formulieren. Aber wir werden die Autohersteller damit fordern. CO2-neutrale Produktion wird ein Kriterium bei unserer Fahrzeugbeschaffung sein.
Prima, geben Sie mir dann Bescheid? Diese Zahlen würden uns auch interessieren. Wenn Sie künftig datengetriebener agieren wollen, braucht aber auch das Strom.
Das ist ein weiteres Thema. Auch wir sind in der Datencloud unterwegs und verursachen Stromverbrauch in Rechenzentren. Das muss eingerechnet werden.
Die Schweiz ist ein Carsharing-Land. Warum gibts dennoch keine Mobility-Konkurrenten?
Sharing ist nicht so trivial, wie es manchmal scheint. Ein Geschäft wie unseres mit festen Standorten braucht jahrelange Aufbauarbeit und viel Technologie im Hintergrund. Anbieter in Deutschland haben es gleich mit Autoflotten ohne feste Standorte versucht – das ist ungleich komplexer. Das zweite Thema ist Qualität: Wie einfach lässt sich das Fahrzeug nutzen und wie innovativ gestaltet man die Schnittstelle zum Kunden? Das sind unsere beiden grossen Vorteile.
Oder ist unser ÖV zu gut?
Definitiv! 95 Prozent unserer Kunden nutzen den ÖV und greifen dann nur für die letzten Meilen zum Mobility-Auto.
Befürchten Sie nicht, dass Sie Ihr Kundenpotenzial längst ausgeschöpft haben?
Nein. Unter den Jungen ist Sharing bekannt. Für sie spielt das eigene Auto als Statussymbol praktisch keine Rolle mehr. Zudem lebt der grösste Teil der Bevölkerung in urbanen Zentren, hat Parkplatzprobleme. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach Bequemlichkeit bei der Mobilität. Der Zeitgeist spricht für uns.
Ist sogenanntes Ridesharing ein Thema?
Dazu haben wir gerade einen Pilotversuch in Zürich gestartet mit Rufbussen – kleine Transporter, die man ohne feste Routen gemeinsam nutzen kann. Damit liesse sich schweizweit der ÖV ergänzen. Solche Multimodalität als Verknüpfung der Verkehrsträger wird zunehmen.
Ballungsräume sind das eine, aber manche Gemeinde ist auch abgehängt vom ÖV.
Absolut. Wir sind schon von solchen Gemeinden angefragt worden, ein Sharing-Fahrzeug bereitzustellen. Aber schauen wir in die Zukunft: Ich bin mir sicher, dass der Individualverkehr und der ÖV näher zusammenkommen werden. Es wird dazwischen eine Art öffentlichen Individualverkehr geben. Genau da wollen wir ein wichtiger Player sein.
Als Konkurrent zum ÖV?
Als Ergänzung. Mobilität muss effizient, schnell, bequem und günstig sein. Das geht nur multimodal mit mehreren Verkehrsträgern. Wer will schon mit dem Auto von Zürich nach Bern fahren? Da stehe ich ja nur im Stau. Also fahre ich mit dem Zug – und für die Feinverteilung am Ziel wähle ich Mobility. Der ÖV wird so individueller, der Individualverkehr öffentlicher.
Wird Mobilität in der Schweiz zu dogmatisch entlang der Front ÖV gegen Individualverkehr diskutiert?
Wir versuchen, diese Front zu überwinden, und diskutieren breit mit Gemeinden und Kantonen, aber auch zum Beispiel mit den Bundesämtern für Energie und Strassen. Natürlich sind die Interessen jeweils unterschiedlich. Das macht es nicht immer einfach. Und als kleines Unternehmen müssen wir aufpassen, dass wir nicht an zu vielen Schauplätzen dabei sind. Aber der Wille zur Diskussion mit uns ist auf allen Seiten da.
Sind die SBB eher Partner oder Konkurrenz?
Schon wegen der Verzahnung an den Bahnhöfen sind die SBB für uns ein wichtiger strategischer Partner. Und sie wollen die erste und die letzte Meile zum und vom Bahnhof abfedern. WIr arbeiten seit jeher eng zusammen, und die SBB wollen das noch ausbauen.
Lufttaxis oder unterirdische Hyperloops – werden das einmal Konkurrenten?
Das Drohnenthema haben wir uns schon angeschaut – das steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber wer weiss, was in 20 Jahren möglich sein wird. Für uns steht vor allem das autonome Fahren im Fokus. Wir haben den Anspruch, auch dabei mitzugestalten. Es wird sicher eine Luxusversion des selbstfahrenden Autos für Einzelne geben, aber die Masse wird im Sharingmodell autonom unterwegs sein.
Derzeit planen einige Autohersteller, diese Flotten selbst zu betreiben – schon aus Versicherungsfragen.
Man wird sehen, ob es die Hersteller selber machen oder ob es auch andere Betreiber geben wird. Noch ist das ja weit weg, obwohl wir schon konkrete Erfahrungen mit einem selbstfahrenden Shuttle in Zug gesammelt haben. Das lief noch nicht perfekt, aber die Technologie wird kommen. Die Frage ist nur: Wann?
Was wird von Corona im Bereich der Mobilität bleiben?
Unser Geschäft mit den Firmenkunden ist geschrumpft und wird herausfordernd bleiben – weil das Homeoffice dauerhaft an Bedeutung gewinnen wird. Das Klimabewusstsein wird noch wichtiger werden. Und unser Mobilitätsverhalten wird bewusster werden, weil wir im Lockdown die Erfahrung gemacht haben, wie positiv sich die Umwelt mit weniger Verkehr entwickeln kann. Darin liegen Chancen für Mobility.