Die Strassen sind mit Autos und Velofahrern verstopft. Auf den Trottoirs drängeln die Fussgänger und stehen sich in den Zügen, Bussen und Trams auf den Füssen herum. So dicht gedrängt war das Leben bis zu Corona in unseren Städten. Zu den Pendelzeiten ändert selbst die Pandemie nicht viel daran.
Das überrascht nicht, denn über die Hälfte der Weltbevölkerung (54 Prozent) lebt in städtischen Gebieten. Bis Ende 2030 sollen gar 70 Prozent aller Menschen in Städten und ihrer Agglomeration leben. Dieses Niveau hat Europa heute schon mit 72 Prozent der Bevölkerung erreicht. Der Zugang zu Bildung und die wirtschaftlichen Möglichkeiten ziehen die Menschen wie Magnete in die Städte.
Wichtiger als ganze Länder
Mit ihrer wirtschaftlichen Macht sind einige Städte gar bedeutender als ganze Nationen. So ist etwa New York City wohlhabender als ganz Kanada. Und wäre Japans Hauptstadt Tokio ein eigenes Land, läge sie auf Platz 15 der grössten Volkswirtschaften der Welt. Zum Vergleich: Die Schweiz schafft Platz 20. Zu unserem Bruttoinlandprodukt trägt alleine die Stadt Zürich über zehn Prozent bei. Rechnet man die gesamte Agglomeration dazu, sind es gar 20 Prozent. Mit anderen Worten: Ein Fünftel der Wirtschaftskraft unseres Landes liegt im Grossraum Zürich.
Um dieses wirtschaftliche Potenzial aber auch zu nutzen, muss die Mobilität funktionieren. Gerät die Verkehrsinfrastruktur unter Druck, verringert sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. So schrumpft zum Beispiel die wirtschaftliche Produktivität von Birmingham, der zweitgrössten Stadt Englands, zu den Hauptverkehrszeiten um zwei Drittel.
Daten machen Verkehr flüssiger
Der US-Computer-Riese Microsoft ist überzeugt, dass sich Verkehrsfluss, Mobilität und damit auch die Lebensqualität in Städten mit mehr Daten und vor allem offenem Zugang zu diesen Daten verbessern lässt. Auf lange Sicht nicht nur im Personenverkehr oder in einzelnen Städten, sondern auch im innerstädtischen und Warenverkehr. Die Menschen bewegen sich nicht nur in Paris oder Basel, sondern wollen auch von Paris nach Basel reisen – und zwar am liebsten genauso einfach wie zwischen den Zürcher Quartieren Oerlikon und Wollishofen.
Das soll mit Cloud-Lösungen und neuen Software-Plattformen möglich werden. Davon will natürlich Microsoft profitieren. Deshalb geht der Computer-Riese Partnerschaften mit Autoherstellern wie VW, Zulieferern wie Bosch oder ÖV-Anbietern wie der Londoner Transport-Behörde ein. Gerade letztere erzielte dank Datenanalyse und Digitalisierung Fortschritte. Nur durch eine digitale Signalsteuerung konnte die Londoner U-Bahn die Kapazität auf der Victoria-Linie zwischen Tottenham und Brixton um fast 40 Prozent erhöhen. Den gleichen Effekt hätte der Bau einer zweiten Linie gehabt – aber zum x-fachen Preis.
VW-Tochter will weniger Autos
Bei VW hat Microsoft der Tochterfirma WeShare zu einem gelungenen Start verholfen. Der Sharing-Dienst konnte innerhalb eines Jahres eine Flotte von 100'000 Elektroautos aufbauen und 10'000 Fahrten pro Monat in Berlin und Hamburg (D) handeln. Der Vorteil: die Kunden können das Auto überall im Stadtgebiet abstellen und nicht nur an bestimmten Stationen wie beispielsweise in der Schweiz bei Mobility.
Im Moment dienen Cloud-Lösungen vor allem dazu, Betriebskosten zu senken. Doch durch Analyse des Kundenverhaltens und Abgleich mit anderen Daten sollen Trends vorhergesagt und die Laufwege zu den Autos verkürzt werden. Damit will die VW-Tochter WeShare auf lange Sicht genau das erreichen, was ein Autobauer eigentlich nicht will: Die Anzahl Fahrzeuge in den Städten reduzieren und dafür die wenigen Fahrzeuge besser nutzen.
Die Vision
Denn in der Stadt dürfte der Besitz eines eigenen Autos bald keine Zukunft mehr haben. Grund: Die Parkplatzkosten dürften wegen des knappen Platzangebotes mittelfristig exponentiell steigen. Das heisst aber nicht, dass das Auto an Bedeutung für die Mobilität verliert. Aber es wird als Service genutzt, dessen Preis sich aus einer Kombination aus zurückgelegter Distanz und Nutzungsdauer zusammensetzt. Dabei sollen intelligente Städte durch offenen Zugang zu allen Daten jeglichen Verkehr von Fussgänger bis ÖV so lenken, dass es immer genug Kapazitäten und keine Wartezeiten gibt – sei es an Ampeln oder Haltestellen.