Gleich am Eingang schaut Remo Gerber (41) überrascht: «So eine P-51 Mustang hat mein Grossvater einst hier notgelandet – gelandet, nicht gecrasht.» Im Hangar des Air Force Centers in Dübendorf ZH erklärt der Chief Commercial Officer des Münchner Unternehmens Lilium, wie er die regionale Mobilität revolutionieren will.
Von wem steckt mehr in Lilium – von den Flugpionieren Gebrüder Wright, Lufthansa-Chef Carsten Spohr oder vom fliegenden US-Milliardär Howard Hughes?
Remo Gerber: Vielleicht eine Mischung aus den Gebrüdern Wright und Carsten Spohr. Wir haben Pioniergeist und stellen auch den Anspruch, profitabel zu sein.
Wenn Sie die Flugzeuge hier im Museum sehen – steht Lilium in dieser Tradition?
Jein. Ohne die Pioniere der Luftfahrt kein Lilium-Jet. Aber wir sehen uns nicht nur als Flugzeugbauer oder Airline. Wir entwickeln ein neues Konzept der Elektromobilität. Die hat neben dem Auto viele Dimensionen – wir erschliessen eine neue. Fliegen wird wie Zugfahren.
Die Schweiz hat schon eine dichte Verkehrsinfrastruktur – wozu ein weiteres System?
Die Verkehrsinfrastruktur der Schweiz ist sehr gut, erreicht aber teils die Kapazitätsgrenze und hat mit der Topografie zu kämpfen. Unser Flieger mit heute vier Passagierplätzen bringt eine Ergänzung in einem Geschwindigkeitsbereich, der sich sonst nicht realisieren liesse.
Was ist das Besondere?
Er ist voll elektrisch. Das ist ein Muss, schon der Emissionen wegen. Wir starten und landen vertikal – nur so lässt sich ein Landeplatz – wir nennen das Vertiport – nahe an den Stadtzentren bauen. Wir schaffen dank unserer Technik bis zu 300 Kilometer Reichweite. Mit bis zu 300 km/h sind wir so schnell wie Hochgeschwindigkeitszüge auf dem Boden, deren Strecken aber bis zu 20 Millionen Franken je Kilometer kosten können. Und die elektrischen Flugmotoren sind sehr leise.
Wird das System dann eine Art Lufttaxi-Service für Reiche?
Es geht nicht ums Hüpfen von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer – der Begriff Lufttaxi ist irreführend. Wir wollen regionale Mobilität für alle schaffen – zum Preis eines ÖV-Tickets erster Klasse. Wenn wir beispielsweise Zürich–Genf in 45 Minuten anbieten können, werden wir so hohe Passagierzahlen haben, dass die Flieger gut ausgelastet im verdichteten Takt fliegen und die Preise attraktiv sein können. Hohe Auslastung ist der Schlüssel für Profitabilität.
Seit 2015 ist das Münchner Unternehmen Lilium am Start und längst mehr als nur ein Start-up. Die Idee der vier Gründer: Die Entwicklung eines senkrecht starteten Elektro-Flugzeugs mit Tragflächen, das ohne CO2-Emissionen leise Mobilität für jedermann bietet. Finanziert wird Lilium durch Investoren; rund 400 Mio. Franken konnten in fünf Jahren eingesammelt werden. Schon 2017 startete ein zweisitziger Demonstrator; im gleichen Jahr fällt auch die Entscheidung, mit dem Flugzeug künftig einen Mobilitätsservice anzubieten. Im letzten Jahr hob ein fünfsitziger Demonstrator erstmals ab. Aktuell wird der Lilium-Jet für vier Passagiere plus Pilot (Bild) entwickelt. Heute beschäftigt Lilium 450 Mitarbeitende, davon 80 Prozent Ingenieure, die oft aus der konventionellen Luftfahrtindustrie kommen. Ab 2025 soll ein erstes Netz stehen.
Seit 2015 ist das Münchner Unternehmen Lilium am Start und längst mehr als nur ein Start-up. Die Idee der vier Gründer: Die Entwicklung eines senkrecht starteten Elektro-Flugzeugs mit Tragflächen, das ohne CO2-Emissionen leise Mobilität für jedermann bietet. Finanziert wird Lilium durch Investoren; rund 400 Mio. Franken konnten in fünf Jahren eingesammelt werden. Schon 2017 startete ein zweisitziger Demonstrator; im gleichen Jahr fällt auch die Entscheidung, mit dem Flugzeug künftig einen Mobilitätsservice anzubieten. Im letzten Jahr hob ein fünfsitziger Demonstrator erstmals ab. Aktuell wird der Lilium-Jet für vier Passagiere plus Pilot (Bild) entwickelt. Heute beschäftigt Lilium 450 Mitarbeitende, davon 80 Prozent Ingenieure, die oft aus der konventionellen Luftfahrtindustrie kommen. Ab 2025 soll ein erstes Netz stehen.
Wie werden Buchung und Boarding funktionieren?
Sie buchen kurzfristig für morgen oder später per App oder online, suchen die passende Abflugzeit, wählen den Sitzplatz, gehen zum Vertiport und heben ab. Wenn es freie Sitze gibt, kann man sogar noch eine Stunde vor Start buchen.
Das heisst: Es gibt einen festen Flugplan?
Genau, etwas Vorausplanung brauchen wir ja. Wenige Kunden werden spontan in den nächsten zehn Minuten 100 Kilometer reisen wollen. Aber da wir über Staus und Engpässe in der Infrastruktur hinwegfliegen können, werden wir auf gefragten Verbindungen flexibel mehr Plätze, also Flieger, anbieten können.
Werden Sie eigene Flugplätze bauen?
Gerade in der Schweiz ist beides denkbar: Vertiports in den Zentren ebenso wie die Anbindung von Regionalflughäfen mit geringen Investitionen. Letztere könnten so deutlich an Bedeutung gewinnen und wir hätten schnell ein Netzwerk. Zusätzlich wäre nur Ladeinfrastruktur nötig.
Sind lange Ladezeiten nicht ein grosses Problem?
Das kommt auf die Strecke an: Nach einem 100-Kilometer-Flug reicht die Zeit des Ein- und Aussteigens der Passagiere zum Vollladen der Batterien.
Wie viel Platz braucht solch ein Landeplatz?
Wir starten und landen wie ein Helikopter, brauchen keine quadratkilometergrossen Pisten. Ein Heli-Startplatz genügt uns, plus einige Parkpositionen drumherum. Mit allen nötigen Einrichtungen würden 5000 m² für einen Vertiport mit einer Jahreskapazität von einer bis 1,5 Millionen Passagieren ausreichen.
Dennoch nutzen Sie so teure Innenstadtflächen ...
Wir könnten das auf dem Dach eines Hauptbahnhofs einrichten und hätten so gleich die Verknüpfung mit dem Bahnnetz. Oder auf Parkhäusern. In kleineren Städten mit kurzen Transferzeiten ins Zentrum kann man auch am Stadtrand bauen.
Wird für Sie auch dann Platz in der Luft sein, wenn der Luftverkehr wieder aufs Vor-Corona-Niveau anzieht?
Der Luftraum ist riesig. Hohe Dichte gibts im Umkreis der Pisten, aber durch die Dreidimensionalität bleiben auch zukünftig noch sehr grosse Kapazitäten. Wir haben einen Vorteil: Mit Tragflächen statt Rotoren müssen wir keinen Strömungsabriss befürchten. Wir können langsamer fliegen und auf engerem Raum manövrieren. Weil wir so leise sind, schränken uns auch Lärmschutzzonen nicht ein. Zudem wird derzeit der Schweizer Luftraum digitalisiert; getrieben von den Drohnen, bei denen man sich ja nicht auf menschliche Piloten verlassen kann. Das schafft weitere Kapazitäten.
Dennoch werden Sie an Flughäfen den grossen Passagiermaschinen ins Gehege kommen.
Die grossen Flughäfen, um die herum es eng zugeht, werden wir auf der Landseite anbinden, also dort, wo Trams und Busse halten.
Wie weit ist die Entwicklung des Fliegers?
Wir fokussieren uns derzeit auf den Serien-Flieger und seine Zulassung entsprechend den internationalen Regularien – wir sind also in der entscheidenden Phase. Ab 2025 wollen wir ein erstes Netz anbieten, also bereits mehr als einen Flieger in der Luft haben. Vorher muss der Flieger durchs Testprogramm, und es wird einen ersten Kundenflug geben. Der Zeitplan ist eng.
Wie teuer wird der Flieger sein?
Er hat tausendmal weniger Teile als ein Airbus A320. Da sprechen wir von anderen Zahlen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Wir wollen den Jet ja auch nicht verkaufen, sondern selbst betreiben.
Was ist für Sie die wichtigste Innovation am Lilium-Flieger?
Ganz klar die Flugsoftware – vor allem beim Wechsel vom vertikalen auf horizontalen Flug. Wir müssen hohe Power zum Abheben und wenig Luftwiderstand in der Horizontalen zusammenbringen. Das ist aerodynamisch spannend.
Welche Regularien müssen Sie erfüllen?
Die EU-Zulassungsbehörde EASA hat 2019 Sicherheitsstandards formuliert und vor einem Monat definiert, wie diese eingehalten werden müssen. Wir haben zwei Vorteile: Die weltweiten Regularien nähern sich immer mehr an. Und die Behörden sprechen im Vorfeld der Entscheidungen mit den Unternehmen. Klar ist schon heute: Ein Lilium-Jet wird die gleichen Sicherheitsstandards erfüllen wie ein kommerzielles Passagierflugzeug.
Denken Sie auch über autonome Flieger nach – zum Beispiel aus Kostengründen?
Zu Anfang setzen wir auf menschliche Piloten. Das gibt Flexibilität und fördert die Akzeptanz für ein ganz neues Produkt. Im Vergleich zu einem Heli sind unsere Betriebskosten sowieso rund eineinhalb mal tiefer: Ein Elektromotor braucht kein Flugbenzin und wenig Wartung; er hat nur ein bewegliches Teil. Wir werden auch mit Piloten profitabel sein können.
Und langfristig?
Vollautomatisches Fliegen wird kommen. Ein Grossteil der Flüge läuft ja bereits automatisiert ab. Autonomie in der Luft ist interessant, weil es anders als am Boden – beim Auto zum Beispiel – viel weniger störende Einflüsse gibt. Start- und Landeplätze sind ebenso definiert wie die Flugstrassen. Und es existiert mit der bestehenden Flugsicherung bereits ein Kontrollsystem.
Wie wird das technisch ablaufen – über Algorithmen und künstliche Intelligenz wie beim Auto?
Eher nicht. Die Luftfahrtbehörden wollen verstehen können, wie ein System entscheidet. Es wird daher eher ein logisches System geben, in dem alle möglichen Events in der Luft mitbedacht werden. Noch ist das Zukunftsmusik, wir bedenken es aber jetzt schon: Je einfacher wir unser Flugzeug jetzt konstruieren, desto leichter lässt es sich später in einem solchen System betreiben. Am Ende ist Autonomie aber weniger eine technische als eine gesetzgeberische Frage.
Haben Sie auch andere Antriebe erwogen?
Wir wollen keine Emissionen, also muss es Strom sein. Wasserstoff als eine Alternative wäre vom Gesamtsystem her mit Produktion und Betankung deutlich komplexer.
Ist die Schweiz ein Testmarkt?
Absolut! Wir könnten mit bestehender Infrastruktur sehr schnell ein Netz realisieren. Mit unserer aktuellen Reichweite könnten wir von Zürich aus alles anbinden, was näher liegt als Dijon, Verona oder Nürnberg. Und wir hätten erstmals die Möglichkeit, kleinere Schweizer Städte wie Sion in ein 300-km/h-Hochgeschwindigkeitsnetz zu integrieren.
Im Gegensatz zu den Airlines haben Sie die ganze Verwertungskette von der Flugzeugentwicklung bis zum Betrieb. Ist das Vorteil oder Risiko?
Es geht nicht um das Verkaufen von Flugzeugen, es geht um ein neues Mobilitätssystem. Das Potenzial ist riesig. Morgan Stanley sieht laut einer Studie im Jahr 2040 1,5 Billionen US-Dollar Umsatz im Markt der Elektro-Flieger – nur im Passagiertransport. Wir können auch nicht alles alleine machen: Bodenservice, Buchung – da baut sich eine kleine Industrie auf. Auch bei der Technik öffnet sich ein grosses Potenzial für neue Anbieter.
Gibt es Konkurrenten?
Es gibt sehr sehr viele kleine Start-ups, und es werden immer mehr. Und es gibt die grossen Player – selbst Airbus glaubt an unseren Markt und investiert. Viele Konkurrenten haben aber Probleme mit der Kapitalisierung. Es braucht ein Kapitalminimum, um einen neuen Flieger durch eine Luftfahrtzertifizierung zu bringen. Das können nur wenige. Aber wir werden den Markt auch nie alleine abdecken können.
Bremst Sie die Corona-Krise aus?
Die Welt macht eine eine schwierige Zeit durch. Wir konnten in der Krise zusätzliche Investments von 292 Millionen Franken generieren. Das ist schon ein starkes Zeichen, dass man uns etwas zutraut. Und in Krisen gibt es eine neue Offenheit für Kooperationen. Das hilft.
Wie sieht es aus mit der Akzeptanz?
Wir hören immer wieder: Ich will der Erste sein, der es ausprobiert. Aber so sind natürlich nicht alle gepolt. Wichtig sind der menschliche Pilot und dass es wie ein normales Flugzeug aussieht – beides bringt uns in Umfragen Akzeptanz und Verstehen. Auch die sanften senkrechten Starts und Landungen helfen. Es wird verwundern, wie sanft es bei uns zugeht.
Wie kommt man als Schweizer in solch ein Unternehmen? Die Sehnsucht, die verkehrstechnisch lästigen Berge einfach zu überfliegen?
Eine Verkettung glücklicher Umstände! Es hat weniger mit meiner Herkunft zu tun, als damit, dass ich mich sehr stark mit Mobilität auseinandergesetzt habe, digitale Start-ups mit aufgebaut habe. Ich will ja keinen neuen Flieger bauen. Ich will ein neues Mobilitätssystem.
Schon sein Grossvater ging in die Luft: Der 42-jährige Zürcher Remo Gerber treibt seit 2017 den Münchner Elektroflug-Pionier Lilium als Chief Commercial Officer mit Zuständigkeit für Finanzen und Betrieb voran. Der Physiker und ETH-Absolvent promovierte im britischen Oxford in den Fächern Physikalische und Theoretische Chemie. Vor seinem Lilium-Engagement arbeitete er unter anderem beim Uber-Konkurrenten Get Taxi. Gerber lebt in Zürich.
Schon sein Grossvater ging in die Luft: Der 42-jährige Zürcher Remo Gerber treibt seit 2017 den Münchner Elektroflug-Pionier Lilium als Chief Commercial Officer mit Zuständigkeit für Finanzen und Betrieb voran. Der Physiker und ETH-Absolvent promovierte im britischen Oxford in den Fächern Physikalische und Theoretische Chemie. Vor seinem Lilium-Engagement arbeitete er unter anderem beim Uber-Konkurrenten Get Taxi. Gerber lebt in Zürich.