Früher waren es die Chinesen, die oft dreist Modelle und ganze Unternehmenskonzepte von westlichen Industriekonzernen kopierten. Umso erstaunter waren wir, als wir diese Woche bei Volkswagens virtuellem «Power Day» reinklickten: «Das wird keine Auto-Präsentation», verkündet VW-Konzernboss Herbert Diess (62) am Anfang der zweistündigen Show in bester Elon-Musk-Manier – und man fühlte sich glatt an Teslas letztjährigen «Battery Day» erinnert.
Die Marschrichtung des VW-Konzerns ist klar: Mit aller Macht den Rückstand zum US-E-Auto-Pionier Tesla verringern und dann an ihm vorbeiziehen. «Wir wollen bei der E-Mobilität die Poleposition», sagt Diess selbstbewusst. Und wie das funktionieren soll, verrät er auch gleich: Bis 2030 sollen über ganz Europa verteilt sechs grosse Batteriewerke aus dem Boden gestampft werden, um unabhängig von den meist asiatischen Zulieferern zu werden, durch die es jetzt bereits immer wieder zu Lieferverzögerungen kommt.
VW setzt auf günstige Akkus
Bis 2030 will VW den Anteil reiner E-Autos am Gesamtabsatz in Europa auf über 70 Prozent steigern – doppelt so viele wie bisher geplant. Um die Kosten möglichst gering zu halten, kündigt Technikvorstand Thomas Schmall (56) die Produktion von Einheitszellen an, die ab 2023 in rund 80 Prozent aller elektrischen Konzernmodelle eingebaut werden. So sinken die Akku-Preise bei Einstiegsmodellen um die Hälfte und E-Autos werden nochmals deutlich günstiger. «Künftig», so Schmall, «werden unsere Autos um die Batterien herum entwickelt.» Zudem setzt VW bald auf Festkörperbatterien, die sich in der Hälfte der bisherigen Zeit laden lassen und dank weniger Gewicht bis zu 30 Prozent mehr Reichweite liefern.
Zudem will VW ein eigenes Ladenetz nach dem Vorbild Teslas in Europa aufbauen: In England und Deutschland soll es in Kooperation mit Aral und dessen Mutterkonzern BP entstehen. Bis 2025 sind 18'000 Ladestationen in Städten und entlang von Autobahnen geplant, 8000 davon an Tankstellen. Ähnliche Netze sind mit Iberdrola in Spanien und Enel in Italien vereinbart. Aber auch in Amerika und Kanada soll es bis Jahresende ein Netz mit 3500, in China bis 2025 eines mit 17'000 Ladepunkten geben.
«VW ist der Hersteller mit der aggressivsten E-Auto-Strategie weltweit», sagen Experten der Grossbank UBS im deutschen Magazin «Spiegel». Die Schweizer Analysten trauen den europäischen Autobauern zu, den einst uneinholbar scheinenden Vorsprung Teslas wieder aufzuholen. Bis vor kurzem klang das noch anders. Da waren sich viele Experten einig, dass Tesla und andere Technologie-Start-ups ihren Vorsprung gegenüber den Traditionsherstellern eher noch ausbauen dürften – Tesla allein war an der Börse zwischenzeitlich wertvoller als die zehn weltweit grössten Autobauer zusammen!
Mercedes mit sattem Gewinn
Doch wie sehr der Wind gedreht hat, zeigt sich am Beispiel von Daimler. Noch vor einem Jahr sah es für den Mercedes-Mutterkonzern mit CEO Ola Källenius (51) düster aus. Kaum E-Autos auf dem Markt, Gewinnwarnungen, rasant fallende Aktienkurse und dann noch Corona.
Doch Daimler nutzte die Pandemie geschickt, um ein milliardenschweres Sparprogramm durchzuboxen und den Umbau hin zum Technologie- und Mobilitätskonzern voranzutreiben. Bei Daimler stand 2020 letztlich ein Gewinn von umgerechnet 7,3 Milliarden Franken in den Büchern, der mittelfristig wieder in die Entwicklung von E-Autos gesteckt werden soll.
BMW startet E-Offensive
Und auch BMW scheint die Kurve Richtung E-Mobilität gerade noch zu kriegen. Nachdem man sich in München lange sträubte, eine eigene Plattform für künftige E-Autos zu entwickeln, riss Oliver Zipse (57), seit zwei Jahren BMW-Boss, das Steuer herum. Laut «Spiegel»-Informationen soll Zipse kürzlich an einer internen Management-Sitzung verkündet haben, im Jahr 2030 weltweit mindestens 50 Prozent rein elektrische Autos absetzen zu wollen. BMW-Tochter Mini wird ab 2030 gar nur noch reine Strom-Modelle anbieten – 2025 kommt letztmals ein Mini mit Verbrenner auf den Markt.
Noch in diesem Jahr lanciert BMW den strombetriebenen SUV iX sowie das Coupé i4, 2022 dürften 7er und noch etwas später der 5er als E-Variante folgen. Mercedes hat Anfang 2021 bereits seinen Kompakt-Stromer EQA enthüllt, ehe im Sommer der etwas grössere EQB und der luxuriöse EQS folgen. Bei VW ist nach dem kompakten ID.3 im letzten Jahr ab sofort der SUV ID.4 erhältlich, bevor ebenfalls noch 2021 das SUV-Coupé ID.5 folgt.
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