Der Ministerpräsident, Bundes-Staatssekretär, Landrat, Bürgermeister – und, logisch, Daimler-Boss Ola Källenius (51): Wenn «beim Daimler» in Stuttgart-Sindelfingen (D) investiert wird, sind alle da. Es geht hier um die Zukunft des etablierten deutschen Autoriesen, während Newcomer Tesla nur ein paar hundert Kilometer entfernt in der Nähe von Berlin seine Gigafactory baut.
Jetzt hat auch Mercedes seine Gigafactory. Dort heisst sie bescheidener Factory 56, dürfte aber das modernste Autowerk der Welt sein.
Das Herz bleibt deutsch
Das in zweieinhalb Jahren errichtete Werk hat 800 Millionen Franken gekostet, ist 800 Meter lang, 220'000 Quadratmeter (gut 30 Fussballfelder) gross, voll öko, voll digital und voll flexibel. Weitere 1,5 Milliarden Franken steckt Daimler sonst noch in den seit über 100 Jahren genutzten Standort Sindelfingen. Das Herz der Marke bleibt also trotz Dutzenden Fabriken weltweit echt deutsch.
Bei der Einweihung im coronabedingt kleinen Kreis ist BLICK exklusiv dabei. Wir flanieren durch die Halle, in der seit drei Wochen die neue S-Klasse gebaut wird und ab 2021 auch der elektrische Luxusliner EQS. Alles hell, angenehm temperiert. Und wer mal in einem Autowerk war, staunt, wie leise es hier ist.
Autonome E-Hilfsarbeiter
So leise, dass man das Warnsummen der 400 autonomen Roboterwägelchen hört, die wie elektrische Hilfsarbeiter Teile bringen. Wozu das alles? «Um weiter am Hochlohn-Standort Sindelfingen produzieren zu können», betont Produktionschef Michael Bauer bei der Tour. «Und es ist auch eine Anerkennung unserer Arbeit, dass wir die S-Klasse weiter hier bauen dürfen: Qualität hat Priorität!» Nur, dass die ohne Einsparungen unbezahlbar wäre.
Die Factory 56 ist 25 Prozent effizienter. Also auch ein Viertel weniger Jobs als die 1500 des vorherigen S-Klasse-Werks? «Nein», betont Bauer, «denn wir gehen eher wieder von der Automation weg zurück zum Mensch: Der Mensch ist flexibler!» So effizient Roboter sind, so stoisch sind sie: Umrüsten dauert Wochen, ja Monate. Mit Menschen nur Tage. Je nach Nachfrage kann zwischen hundert Prozent S-Klasse und hundert Prozent EQS variiert werden. Und wenn die Nachfrage nach der A-Klasse steigt? Stellt man übers Weekend darauf um.
Adieu, Auto-Fliessband
Das geht nur, weil die Produktion keine Fixpunkte mehr hat. Sondern statt des klassischen Fliessbands sogenannte TecLines: Da wird nicht fix an einer Stelle die Frontschürze eingebaut, sondern Roboterkarren liefern genau die richtige Frontschürze ans Auto und bewegen auch die Autos hin und her. Selbst die traditionelle «Hochzeit» – Karosserie aufs Chassis gesetzt – gibts nicht mehr, sondern modulare Stationen: So muss man nicht alles aufwendig umbauen.
Damit das klappt, gibts Rundum-Digitalisierung: Statt zehn Tonnen Papier im Jahr für Begleitzettel gibt es einen Monitor über dem Wagen, der alles Wichtige enthält (da steht dann etwa neben allerlei Codes «V223 Benzin China 6-Zyl. 48-Volt Allrad» – eine lange Mildhybrid-S-Klasse). Und Sensoren, die jedes Auto in der Halle aufspüren können. Alle Daten laufen in Echtzeit, mit anderen Werken vernetzt. Deshalb steckt in der Halle neben Wifi auch das 5G-Netz.
Angenehmer und grüner
Logisch, ist das Werk ökologisch auf dem neuesten Stand, denn bis 2039 will Daimler CO2-neutral sein. So wie dieses Werk: Photovoltaik (der Strom wird in Autoakkus gespeichert) für 30 Prozent des Strombedarfs, Regenwasser wird genutzt, das Dach begrünt, und, und, und. Auch arbeitstechnisch tut sich viel. Dank Digitalisierung kann man sich etwa mit Wunschkollegen an eine Station einteilen lassen. Über-Kopf-Arbeit adieu, stattdessen drehen sich die Autos.
All das soll in Zukunft in allen Daimler-Werken so werden. Ach so, ja: Wieso Factory 56? Tönt irgendwie cool nach Route 66 – sicher so ein Marketinggag? Nein: Die Schwaben sind für so was wohl schlicht zu sehr auf Sein statt Schein geeicht: Die Factory 56 ist schlicht das global 56. gebaute Daimler-Werk.