Der Mercedes-Vorstand beurteilt ein Sondermodell als hässlich? Ziel erreicht! Zumindest aus Sicht von Marketingchefin Bettina Fetzer. Die 42-Jährige ist die Markenhüterin im Mercedes-Konzern und bestimmt die Regeln, was mit der Marke erlaubt ist und was nicht. Dazu gehört etwa die Vorgabe, dass der Mercedes-Stern nur auf schwarzem Grund stehen darf. Nur: Wie passen da «hässliche» Sondermodelle ins Bild?
Wir blenden zurück: Der ehemalige Chef-Designer von Louis Vuitton, Virgil Abloh (1980-2021), hatte vor zwei Jahren gemeinsam mit Mercedes-Chefdesigner Gorden Wagener (58) eine G-Klasse entworfen. «Neben einem knallblauen Überrollbügel, einem Schleudersitz-Knopf oder grossen Offroadreifen hatte diese G-Klasse auch eine spezielle Lackierung. Sie sah aus, als wäre sie teilweise heruntergekratzt worden», erzählt Fetzer. Genau dies kam beim Vorstand gar nicht gut an.
Doch dieses Sondermodell sollte auch nicht den obersten Mercedes-Entscheidungsträgern gefallen. Vielmehr sollte die G-Klasse von Virgil Abloh Leute ansprechen, die nicht viel mit Autos anfangen können. «Das ist gelungen», erinnert sich Bettina Fetzer. «Über diese G-Klasse haben die ‹Vogue› oder die ‹Esquire› geschrieben.» Diese Magazine berichten sonst kaum über Autos. «Sogar Kylie Jenner hat das Auto gepostet.» Der US-Reality-TV-Star ist als Influencer praktisch unbezahlbar. Mit solchen Aktionen bringt sich Mercedes bei neuen sozialen Schichten und Subkulturen ins Gespräch.
Der aufsteigende Stern
Mercedes will mit seiner neuen Luxusstrategie dahin aufsteigen, wo Geld keine Rolle spielt. Das bringt nicht nur neue Kunden und mehr Gewinnmarge, sondern auch Sicherheit. Kaum ein Segment ist so krisensicher wie die Luxusbranche. Bentley, Bugatti, Lamborghini oder Rolls-Royce verzeichneten in den letzten Jahren Verkaufsrekorde – trotz Corona-Pandemie und Chipmangel. Bei Mercedes lautet das Ziel jedoch eher Umsatz- statt Verkaufsrekord. Denn mit der neuen Strategie werden die Deutschen in Zukunft zwar weniger Autos verkaufen, diese sollen aber mehr Geld in die Kassen spülen.
Künftig wird es bei Mercedes drei Luxus-Level geben. Unter der «Top-End Luxury» genannten Speerspitze sind die Sportversionen von AMG, die Luxusmodelle von Maybach sowie die G-Klasse, die S-Klasse und der elektrische EQS zu finden. Dann folgt die Stufe «Core Luxury», sprich der Kern von Mercedes. Entsprechend sind da die E- und C-Klasse sowie deren SUV- und Elektro-Ableger vertreten. Ganz kann sich Mercedes jedoch nicht vom Massenmarkt abwenden und bietet mit «Entry Luxury» quasi den Einstieg in die Luxuswelt an. Obwohl Mercedes damit in der Kompaktklasse bleibt, sollen A- und B-Klasse aussortiert werden. Man munkelt, dass nur CLA, CLA Shooting Brake, GLA und GLB sowie deren Elektroversionen EQA und EQB einen Nachfolger erhalten.
Allerdings sollen diese Einstiegsversionen durch aufwendigere Technik höher positioniert werden. Dabei ist zu hoffen, dass Mercedes auch bei der Verarbeitung nachlegen wird. Heute sind die A-Klasse und ihre Schwestermodelle Dutzendware, mit entsprechender Materialanmutung. Die neue Strategie macht Mercedes-Modelle teurer und soll beim Publikum Begierde wecken. Das nennt Konzernchef Ola Källenius dann «Ökonomie der Sehnsucht».
Ein Maybach für den Wald
Jetzt müssen nur noch die richtigen Kunden vom neuen Luxusprodukt erfahren. Hier kommt Bettina Fetzer ins Spiel, welche die Partnerschaft mit Virgil Abloh nach der G-Klasse weiterführte. Bevor der Star-Designer im letzten Jahr verstarb, realisierte er das Projekt Maybach mit Mercedes. Dabei handelt es sich um eine Offroad-Studie, die erneut Kunden finden soll, die noch nicht mit Mercedes oder Maybach vertraut sind. So hat die Studie mit den heutigen Luxus-Limousinen und -SUVs von Maybach kaum etwas gemeinsam.
Die rein elektrische Studie ist fast sechs Meter lang. Davon macht die Fronthaube mit ihren integrierten Solarpanels beinahe die Hälfte aus. Dahinter befindet sich eine Glaskuppel, die von einem Überrollkäfig geschützt wird. Ein Unterfahrschutz, acht Scheinwerfer und mächtige Offroadreifen runden den kolossalen Auftritt des Projekts Maybach ab.
Den Innenraum hat Virgil Abloh so gestaltet, dass man auch darin schlafen kann. Die Sitze lassen sich zur Liege umfunktionieren. In den extrem massiven Türrahmen gibts Platz für zwei Äxte (eine pro Seite), damit man in der Wildnis Holz schlagen kann ...
Die Sicht von Virgil Abloh
Eine wilde Studie ohne Chance, je realisiert zu werden. Dafür brachte Virgil Abloh eine neue Perspektive in die Mercedes-Welt, erklärt Bettina Fetzer den Gedanken dahinter. «Unsere Designer wären mit dem Auto nie so weit gegangen, wie Virgil es getan hat. Aber er hat eben nicht dieses Auto-Denken. Er wusste, was die Menschen gerade beschäftigt: Nach zwei Jahren Covid wollen sie wieder raus in die Natur.» So entstand diese Maybach-Studie. Es war ein langwieriger Prozess, bei dem die Mercedes-Designer und Virgil Abloh viele Entwürfe gestalteten und untereinander austauschten. «Wir wollten die Ideen von jemandem in ein Auto übersetzen, der die Kultur prägt. Dabei sagten unsere Designer oft, das habe nichts mit einem Fahrzeug zu tun. Aber genau das macht es so spannend – und genau das wollten wir!»
Dass dabei die aktuellen und klassischen Mercedes-Kunden weniger angesprochen werden, ist gewollt. Allerdings geht dabei das Kerngeschäft von Mercedes-Maybach nicht ganz vergessen. So gibts eine auf 150 Stück limitierte Sonderedition des Maybach S 680, die von der Studie inspiriert ist. «Die Strategie funktioniert», freut sich Bettina Fetzer. «Die Sonderserien mit Virgil Abloh waren in kürzester Zeit ausverkauft.» Da nimmt es Mercedes auch in Kauf, wenn einige Kunden von solchen Projekten nicht angetan sind. Fetzer: «Luxus muss gar nicht immer erklärt werden, sondern soll auch mal überraschen!»