Laemmle Chemicals: Der kleine Weltmarktführer im Ölgeschäft
Diese Familie schmiert die Welt

Fast 75 Jahre hatte die Familie Lämmle aus dem Zürcher Oberland bei Schmier- und Hydrauliköl die Nase vorn. Bis im letzten Jahr ein globaler Öl-Gigant dieses Standbein wegkaufte – und das Familienunternehmen plötzlich zum Start-up machte.
Publiziert: 23.09.2023 um 11:04 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2023 um 16:01 Uhr
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Aus dem Dorf in die Welt: In Madetswil im Zürcher Oberland hat Laemmle Chemicals seinen Sitz.
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

Wer durch Madetswil im Zürcher Oberland fährt, sieht Rot – rote Fässer bis unters Dach, jedes mit 208 Litern Fassungsvermögen. Drei Reihen hoch gestapelt, harren sie des Versands per Lastwagen nach Bern, Köln (D), Australien – in die ganze Welt. «Aber die Logistikbranche ist ziemlich überlastet», sagt Sarah Mohr-Lämmle (49). «Manchmal warten wir zwei Wochen auf die Abholung.»

Die knallroten Blechtrommeln sind längst das Markenzeichen des Familienunternehmens, das Mohr-Lämmle gemeinsam mit Bruder Silvan Lämmle (44) in dritter Generation führt. Manche Kunden kaufen sogar leere als Hingucker für die nächste Grillparty. Früher stand in Weiss «Panolin» drauf: Unter diesem Namen lässt Bernhard Lämmle (1910–1986), Grossvater der heutigen Chefs, im Jahr 1949 sein Schmierstoffgeschäft ins Handelsregister eintragen; 17 Jahre später zügelt er es aufs heutige Gelände in Madetswil.

Dort entwickelt die Firma eigene Motoren- und Hydrauliköle für Autos, Nutzfahrzeuge oder Baumaschinen, Schmierstoffe für den Maschinenbau und Spezialöle zum Beispiel für die Elektroindustrie. Und avanciert so zu einem typischen Schweizer Zulieferer auch für die Autobranche: klein, aber hoch spezialisiert. Aus der Provinz, aber global aktiv. Und in Familienbesitz und damit immun gegen gierige Aktionäre. Vor allem mit umweltfreundlichem Hydrauliköl auf Bio-Basis macht das Unternehmen Furore – bis es sich Ende 2022 neu erfinden muss. «Shell wollte unsere Panolin-Bio-Öle übernehmen», sagt Silvan Lämmle. Der Öl-Gigant kauft dem kleinen Schweizer Konkurrenten das Standbein ab – warum? Er vermutet, dass es einfacher war, als selbst solche umweltfreundlichen Öle zu entwickeln. «Aber für uns war es hart, den Firmennamen aufzugeben, mit dem wir und unsere Kinder aufgewachsen sind», ergänzt Mohr-Lämmle.

Binnen sechs Monaten krempeln die beiden das Unternehmen komplett um: Neu heissts jetzt Laemmle Chemicals. Die Ölprodukte laufen nun unter der Marke Roxor, immerhin weiter in Weiss auf roten Fässern. Die Geschwister können als Inhaber-Duo alles neu aufgleisen. «Das hat richtig Spass gemacht», sagt Lämmle. Aber ohne die Leistung der Mitarbeitenden, die nach erstem Herzschmerz voll mitzogen, wäre der Umbau nicht möglich gewesen.

Produktion mit 700 Zutaten

Blick ins Produktionsgebäude. Wer bei Öl an dreckige Grosschemie denkt, wird überrascht: Leichter Ölgeruch liegt in der Luft, aber überall ists blitzsauber. Im dritten Stock werden in drei Mischkesseln die Produkte zusammengerührt. Rund 700 Grundstoffe lagern dazu bei Laemmle Chemicals – von synthetischem Öl oder Mineralöl als Basis bis hin zu den oft nur in Spuren enthaltenen Additiven, die die Produkteigenschaften ausmachen. Manche Zutaten müssen vorab erhitzt werden, damit sie überhaupt zur Mischung zusammenfinden. Wird ein anderes Produkt angesetzt, müssen die Kessel komplett gereinigt werden – Motorölreste haben in einem Schmieröl für die Nahrungsverarbeitung nichts zu suchen. «Diese Öle haben wir behalten», sagt Lämmle. «So können wir weiterhin spezielle Projekte wie Schmiermittel für die Schokoladenindustrie umsetzen.»

Autoindustrie ohne Autofabrik

Auch wenn in der Schweiz seit dem Ende von Monteverdi keine Autos mehr gefertigt werden: Fehlte die Autobranche, wäre unsere Volkswirtschaft um rund 255'000 Arbeitsplätze ärmer. Etwa 34'000 bieten dabei die rund 570 Schweizer Auto-Zulieferern. Dazu gehören Familienbetriebe mit speziellen Fähigkeiten, mittelgrosse wie Alugiessereien oder globale Giganten wie Feintool oder Rieter, die Teile und Komponenten für alle Bereiche der Autoproduktion entwickeln. Ohne die Schweiz geht nichts für grosse und kleine Autohersteller.

Auch wenn in der Schweiz seit dem Ende von Monteverdi keine Autos mehr gefertigt werden: Fehlte die Autobranche, wäre unsere Volkswirtschaft um rund 255'000 Arbeitsplätze ärmer. Etwa 34'000 bieten dabei die rund 570 Schweizer Auto-Zulieferern. Dazu gehören Familienbetriebe mit speziellen Fähigkeiten, mittelgrosse wie Alugiessereien oder globale Giganten wie Feintool oder Rieter, die Teile und Komponenten für alle Bereiche der Autoproduktion entwickeln. Ohne die Schweiz geht nichts für grosse und kleine Autohersteller.

In den unteren Stockwerken wird in rote Fässer oder silbrige Flaschen abgefüllt, gelagert und verpackt. Seit Juni laufen Produktion und Versand CO₂-neutral, geheizt wird mit Erdwärme und viele Fässer werden gebraucht wiederaufgearbeitet bezogen. Rund 600 unterschiedliche Schmier- und Hydrauliköle, Reinigungsmittel und Chemikalien auf Alkohol- oder Wasserbasis hat Laemmle Chemicals heute im Angebot. Nimmt man die Gebindegrösse dazu, sinds gar 1000, sagt Mohr-Lämmle. «Beim Scheibenklar von der Tankstelle sind wir Marktführer», ergänzt Silvan Lämmle. Auch ein neues Hydrauliköl ist im Programm – nicht auf biologischer Basis, sondern aus der Kreislaufwirtschaft. Grundlage ist aufbereitetes Gebrauchtöl, das mit zehn Prozent selbst entwickelten Additiven zu neuem Öl gemischt wird. Das reduziere den Ressourceneinsatz auf ein Siebtel, spare 45 Prozent CO₂ und bringe längere Standzeiten zum herkömmlichen Öl – es muss seltener oder je nach Einsatz sogar nie gewechselt werden.

Nächste Generation schon parat?

Im Verwaltungsgebäude steht ein Motorrad der US-Marke Arch – Hollywood-Star und Arch-Gründer Keanu Reeves (59) hat es 2019 eigenhändig den Lämmles überbracht. Silvan Lämmle, leidenschaftlicher Töfffahrer, hatte ihn durch Zufall an einer Rennstrecke in Barcelona kennengelernt. Dahinter gehts ins Labor, wo Kunden Ölproben untersuchen lassen können: Hat es Wasser gezogen, enthält es Metallspäne oder andere Partikel und ist es also fällig zum Wechseln. Vier Mitarbeitende tüfteln nebenan an neuen Produkten. Familienunternehmen gelten als konservativ – macht das Innovationen schwierig? «Genau umgekehrt», sagt Lämmle. Nur in einem Familienunternehmen sei solche ein Umbruch so schnell zu stemmen und bringe dann eine frische Unternehmenskultur und neue Denkweisen.

Die Gebäude für Produktion und Logistik wuchsen bisher schrittweise mit den Businessplänen. Aber nun wäre mehr Platz überfällig – am besten in einem für die neuen Produkte konzipierten Neubau. Und wenns geht in Madetswil. «Meine Schwester und ich sind hier aufgewachsen und unsere Mitarbeitenden kommen aus der Region, sind hier verwurzelt – das wollen wir nicht aufgeben», sagt Lämmle. Deshalb sei auch nie ein Verkauf der kompletten Firma infrage gekommen. Stattdessen hätten er und seine Schwester jetzt die Grundlage für die nächsten 20 bis 30 Jahre geschaffen. Und die vierte Lämmle-Generation könnte schon bald im Unternehmen auftauchen.

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