Das stromlinienförmige Design lässt den neuen Hyundai Ioniq 6 fast wie ein UFO aussehen. Doch als Raumschiff wirkt der Stromer nicht nur futuristisch, sondern bietet auch mehr Langstrecken-Potential. Denn dank optimierter Aerodynamik lassen sich mit überschaubarem Aufwand ein geringerer Verbrauch und somit wertvolle Reichweiten-Kilometer generieren.
Grössten Anteil hat das tropfenförmige Design, dem auch die Mercedes-Stromer EQS und EQE folgen. Der neue Ioniq 6 reiht sich mit einem Luftwiderstandswert von 0,21 genau zwischen den beiden Sternenstromern (EQS 0,20, EQE 0,22) ein. Dafür ergreifen die Koreaner praktisch die gleichen Massnahmen, um den Luftwiderstand zu reduzieren: speziellen Felgen, eine strömungsgünstige Führung der Luft durch die Radkästen (Air Curtain) kombiniert mit Blenden an den Radläufen, die die Lücke zwischen Reifen und Karosserie verringern. Und die Karosserie-Silhouette à la Delphin.
Süsse Notlösung
Designer Simon Loasby sorgte dafür, dass diese aerodynamischen Massnahmen gut aussehen. Alle seine Wünsche liessen sich aber nicht verwirklichen. «Ich hätte den grossen Spoiler am Heck gerne versenkbar gestaltet, aber die Kosten waren zu hoch.» Deshalb haben die Designer die Lichtsignatur in den für die Aerodynamik wichtigen Spoiler integriert. Diese Notlösung macht das Heck vor allem bei Dunkelheit zur Schokoladenseite des Ioniq 6.
Aber: Die optionalen Seitenspiegel-Kameras gegenüber den konventionellen Spiegeln bringen nur drei Kilometer Mehr-Reichweite. Ob das den noch nicht bekannten Aufpreis wert ist, muss der Kunde selbst entscheiden. Immerhin gewöhnen wir uns bei der ersten Testfahrt ziemlich schnell an die Spiegelbild-Monitore unterhalb der A-Säulen. Und standardmässig passt auch der Totwinkel-Warner auf.
Über 600 Kilometer Reichweite
Die Aerodynamik-Kniffe zeigen Wirkung. Die Reichweiten-Version des Ioniq 6 schafft laut WLTP-Messzyklus 614 Kilometer mit einer Akku-Ladung. In diesem Fall verfügt die Elektrolimousine über Hinterradantrieb, 229 PS (168 kW) und eine Batterie mit 77,4 Kilowattstunden (kWh) Kapazität. Wie viel die Aerodynamik bringt, zeigt der Vergleich mit dem technisch verwandten Ioniq 5, dessen Reichweite bei gleichem Antrieb 107 Kilometer geringer ist.
Den Ioniq 6 gibts zudem mit kleinerem 53-kWh-Akku und 151 PS (111 kW). Dieser Antrieb soll den Verbrauch auf unter 14 kWh/100 Kilometer drücken, womit die Reichweite um die 400 Kilometer liegen dürfte. Topmodell ist die Allrad-Version mit zwei E-Motoren, die in Kombination mit der grossen Batterie eine Systemleistung von 325 PS (239 kW) erreichen. Mit einem maximalen Drehmoment von 605 Nm sprintet der Ioniq in 6,1 Sekunden auf Tempo 100 und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h.
Leise – aber holperig
Für unsere Testfahrt wählen wir den Allradler. Er schaltet die Vorderachse nur bei Bedarf zu und fährt meist mit sparsamem Heckantrieb. Auffällig ist die Ruhe im Innenraum dank glattem Unterboden, Akustikglas und besonders sorgfältig abgedichteten Türen. Dafür könnte das Fahrwerk komfortabler abgestimmt sein und die Strassenoberfläche weniger direkt an die Passagierrücken weitergeben.
Beim Start zeigte der Bordcomputer bei vollen Akkus eine Reichweite von 453 Kilometern an. Wir kamen bei unserer Testfahrt, die uns über Landstrassen und Autobahnen führte, auf einen sehr akzeptablen Durchschnittsverbrauch von 17,5 kWh/100 km. Das entspricht ohne Rekuperation 441 Kilometern Reichweite. Wie alle Elektro-Hyundais verfügt auch der Ioniq 6 über 800-Volt-Bordtechnik mit 240 kW Ladeleistung. Damit erstarken die Akkus am Schnelllader in 18 Minuten von 5 auf 80 Prozent. Zudem lassen sich der Elektrogrill oder andere Geräte mit Strom aus der Antriebsbatterie versorgen.
Eng kalkuliert
Der 4,85 Meter lange Ioniq 6 bietet mehr als genug Platz. Allerdings drückt die aerodynamische Silhouette: Auf den Rücksitzen wirds im Kopfbereich für grossgewachsene Erwachsene schnell eng. Zudem ist der Zugang zum Kofferraum knapp und die Ladekante etwas hoch. Dass die Mechanik der Kofferraumklappe nicht verkleidet ist, lässt sich mit Kosten- und Gewichtseinsparungen erklären. Die knappe Kalkulation zeigt sich auch beim hohen Plastikanteil im Innenraum. Aber Hyundai verspricht auch keinen Luxus-Innenraum – das Preis-Leistungs-Verhältnis ist der Marke wichtiger.
Was also kostet der Ioniq 6? Zu Beginn wird es nur eine besonders gut ausgestattete «Swiss Launch Edition» ab 64'900 Franken geben. Sie hat den grossen Akku an Bord und ist mit Heck- oder Allradantrieb ab nächstem Frühling erhältlich. Günstigere Einstiegsmodelle mit dem kleineren Akku sollen später folgen.