Frank hat Hunger. Eddie auch. Für Fotoassistent Frank lässt sich das einfach lösen – im Restaurant der Autobahnraststätte. Bei Eddie wirds etwas schwieriger. Wegen seiner Gefrässigkeit, und weil er sich oft mit Slow Food zufriedengeben muss.
Eddie heisst offiziell EV6 und ist der allerletzte fahrbare Prototyp des gleichnamigen Kia-Stromers, der in diesem Herbst in der Schweiz starten wird. Sonst rollen solche Autos nach den Testphasen ins Museum oder auf den Schrottplatz, damit niemand auf die Idee kommt, sie womöglich an Kunden zu verkaufen. Eddie darf aber noch weitermachen, obwohl nicht ganz auf Serienstand; nur zu 99 Prozent, weil ein paar Ablagen noch aus Einfach-Plastik geformt sind. Aber völlig ausreichend, um auf einer Testrunde zu erleben, was der Fünfplätzer drauf hat.
Gelten noch die Vorurteile?
Kias EV6 gehört zur dritten Welle der Elektroautos. Die ersten schafften auf dem Papier rund 150 Kilometer, Generation zwei kam mit Glück und Rückenwind knapp auf 300. Mit den neuen Plattformen mit XXL-Batterien im Unterboden zwischen weit auseinander gerückten Rädern kratzen Stromer jetzt an der 500er-Marke. Aber die Vorurteile bleiben: E-Autos sind zu teuer, haben zu wenig Reichweite, brauchen ewig beim Laden und sind unemotional und technoid beim Fahren. Und was macht die Industrie dagegen? Hat sie daraus was gelernt, die Autos weiterentwickelt? Gucken wir mal beim Kia.
Start am Kia-Hauptquartier im deutschen Frankfurt am Main. Wie probiert man aus, ob ein E-Auto die versprochene Reichweite schafft? Indem man es leerfährt. Unsinn, das würde ja auch niemand mit einem Benziner oder Diesel machen. Rund 40 Prozent Füllung zeigt die Batterie an und 148 Kilometer Restreichweite. Also Kurs nächster Schnelllader an der Autobahnraststätte Bad Camberg.
Antrieb Elektromotor vorn 100 PS (74 kW), hinten 225 PS (165 kW), Systemleistung 325 PS (239 kW), max. Drehmoment 605 Nm@1/min, Eingang-Getriebe, Allradantrieb, Batterie 77,4 Kilowattstunden (kWh) Netto-Kapazität, Reichweite WLTP 455 km.
Fahrleistungen 0 bis 100 km/h in 5,2 s, Spitze 185 km/h (abgeregelt).
Masse L/B/H Limousine 4,70/1,89/1,55 m, Leergewicht 2015 kg, Laderaum 480 bis 1300 l.
Umwelt WLTP 17,9 kWh/100 km (entspricht ca. 2,1 l/100 km Benzin), 0 g/km CO2 lokal.
Preise ab 66'950 Franken, Basis EV6 (170 PS, Hinterradantrieb) ab 49'950 Franken.
Antrieb Elektromotor vorn 100 PS (74 kW), hinten 225 PS (165 kW), Systemleistung 325 PS (239 kW), max. Drehmoment 605 Nm@1/min, Eingang-Getriebe, Allradantrieb, Batterie 77,4 Kilowattstunden (kWh) Netto-Kapazität, Reichweite WLTP 455 km.
Fahrleistungen 0 bis 100 km/h in 5,2 s, Spitze 185 km/h (abgeregelt).
Masse L/B/H Limousine 4,70/1,89/1,55 m, Leergewicht 2015 kg, Laderaum 480 bis 1300 l.
Umwelt WLTP 17,9 kWh/100 km (entspricht ca. 2,1 l/100 km Benzin), 0 g/km CO2 lokal.
Preise ab 66'950 Franken, Basis EV6 (170 PS, Hinterradantrieb) ab 49'950 Franken.
Laden dauert lang?
Auf der freien Autobahn lassen wirs fliegen; mit 185 km/h schafft der Kia mehr als zum Beispiel Stromer von Volvo oder aus dem VW-Konzern. Ups – der Schnellader ist wegen Umbau ausser Betrieb. Ab zur nächsten Abfahrt und zurück auf die Autobahn zur anderen Raststättenseite, wo gerade eine Ionity-Ladebucht frei wird. Höchste Zeit – noch 16 Prozent in der Batterie. Anhängen, per Ladekarte identifizieren und los gehts: Wer ist schneller? Frank spurtet zum Lunchholen, Eddie saugt Strom.
Rund 18 Minuten gibt Kia für die Schnellladung von zehn auf 80 Prozent an, wenn die Säule bis zu 350 Kilowatt (kW) Ladeleistung bringt. Warum nicht voll, beim Verbrenner tanken wir ja auch voll? Weil für die restlichen 20 Prozent die Ladeleistung massiv gesenkt wird, um die Batterie nicht zu überlasten – sie brauchen mindestens nochmals 18 Minuten.
Laden ist langweilig?
Ganz ehrlich: Bisher haben wir bei kaum einem E-Auto mehr als 150 kW gesehen. Slow Food, sozusagen. Beim EV6 machen wir grosse Augen: Er lädt wie die Feuerwehr, zieht nach einer Anlaufphase bei 22 Prozent Kapazität 225 kW und steigt gar bis auf 265 kW. Für Frank wirds knapp, wir entspannen: Per Ruhetaste, die den Fahrersitz flachlegt und sich die vorherige Sitzeinstellung merkt. Infotainment auf Meeresrauschen und schon dämmert man die Ladedauer einfach weg.
Als der Kia die 80-Prozent-Marke erreicht, sprintet Frank aus der Raststätte; zurück beim Auto steht die Uhr auf 20:47 Minuten. Geht doch. Bis der Lunch verdrückt ist, kommt der EV6 gar auf 100 Prozent. Die normale Mittagspause reicht also.
Schafft die Reichweite nicht?
Jetzt stehen 321 Kilometer auf der Reichweitenanzeige. Theoretisch sollten es 455 bei unserem GT-Line mit 4x4 und 325 PS Systemleistung sein, aber Eddie weiss noch, dass wir eben flott und stromfressend unterwegs waren. Weshalb die Testrunde auch noch keinen wirklichen Testverbrauch liefern kann.
Runter von der Autobahn auf die Landstrasse. Mit jedem Kilometer rechnet sich mehr Reichweite aus, nach 40 Kilometern steht sie bei 390. Über die Hügel des Taunus rekuperiert der EV6 fleissig – und zwar automatisch, wenn man ihm die Regelung überlässt. Dann schaut er ins Navi und nimmt die Routeninfos auf in die Betriebsstrategie. Per Ein-Pedal-Fahren braucht man kaum noch die mechanische Bremse. Klar, wenn man immer voll auf dem Pedal steht, wirds nichts mit 455 Kilometern Reichweite. Aber das macht man ja auch nicht bei Verbrennern.
Kein Gefühl beim Fahren?
Ampelstarts mit Grinsegarantie kann der EV6 natürlich auch, wie jeder Stromer. Abbiegen Richtung Grosser Feldberg. Berg? Na ja, ein 880-Meter-Hügel. Wir wedeln hinauf durch die Serpentinen – trotz zwei Tonnen Leergewicht. Während manche Stromer wie das sprichwörtliche Brett auf der Strasse liegen mit ihrer schweren Batterie, bleibt der Kia erstaunlich geschmeidig in den Kurven. Grund sind spezielle Dämpfer, deren obere Anschlagpunkte sich abhängig zum Federweg nachjustieren – BMW baut ähnliches im 3er ein.
Das bringt gefühlsechte Fahrdynamik – obwohl in vielem technisch baugleich, hat das der Ioniq 5 von Schwestermarke Hyundai so nicht. Bergab schieben die zwei Tonnen natürlich ordentlich – die Physik lässt sich nicht überlisten. Dafür holt der EV6 jetzt massiv Strom zurück für fast zehn Kilometer.
Stromer sind zu teuer?
Vorurteilen fehlt vor allem eines: Tatsächliche Erfahrung, weil man vorher urteilt. Im Stromer der dritten Generation gelten viele nicht mehr, obwohl sie Elektro-Muffeln lieb sind. Laden dauert eine Raststättenpause, Fahren ist nicht langweilig und wer normal fährt, kommt auch der theoretischen Reichweite nahe. Bloss für die Laternenparker bleibt es noch immer schwierig mit dem heimischen Laden – keine Schuld des Autos.
Und der Preis? Mit Eddies Antrieb und Ausstattung stehen ab 66'950 Franken in der Preisliste (Basis 170 PS, Hinterradantrieb, ab 49'950 Franken). Nicht wenig, aber dafür gibts auch ein grosses Auto. Und mancher versenkt deutlich mehr in einen Verbrenner.