Auto-Entwicklung in der virtuellen Realität
Der BMW aus der Cloud

Auto-Designer arbeiten schon länger mit Computern und digitalen 3D-Modellen. Dieser Prozess verschiebt sich immer mehr in den virtuellen Raum. Dank Game-Engine lässt sich dort Realität und Schnelligkeit kombinieren.
Publiziert: 02.02.2023 um 05:17 Uhr
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Willkommen in der virtuellen Welt von BMW.
Foto: BMW
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Martin A. BartholdiRedaktor Auto & Mobilität

So nah dran an Rennsport war ich selten: Ich stehe in der Box des BMW-Formel-E-Teams, beuge mich über den Sicherheitsbügel des Elektro-Boliden und erhasche Einblicke ins Cockpit. Doch Moment: Wenn ich aus der Box schaue, sehe ich nicht etwa die Boxenmauer mit Kommandostand an der Start-Ziel-Geraden, sondern einen BMW iX vor einer weissen Gebäudefassade. Wie ist das möglich? Ganz einfach: Dies ist die virtuelle Welt von BMW!

Real stehe ich weder an einer Rennstrecke noch in einer Stadt, sondern sitze in einem Konferenzsaal in einem Hotel in Silvaplana GR. Eine schwere VR-Brille auf meinem Kopf verschafft mir Zutritt in diese virtuelle Welt. Zusammen mit zwei Controllern in meinen Händen übermittelt sie meine Bewegungen an den für mich erstellten Avatar. Dieser trägt eine Smartwatch am linken Handgelenk und kann aus dem Nichts ein Tablet hervorzaubern, wie es die Figuren in einem Computerspiel sonst mit Werkzeugen oder Waffen tun.

Virtuelle Entwicklungsarbeit

Aber BMW hat uns nicht zu einer Gaming-Session eingeladen. Der Münchner Autobauer zeigt uns, wo er seine künftigen Modelle entwirft. In eben dieser virtuellen Welt treffen sich die BMW-Ingenieure online aus der ganzen Welt und skizzieren die Autos von morgen. Erste Erfahrungen hätten sie schon gesammelt, erklärt der virtuelle Produktentwickler Matthias Oberhauser: «Das vor zwei Jahren lancierte Elektro-Flaggschiff iX haben wir teilweise in der virtuellen Realität entworfen.»

Ich höre die Worte aus München (D) in meinen Kopfhörern und schaue verwundert auf den computergenerierten iX vor mir. Ja, ich erkenne den Elektro-SUV – er sieht echter aus als die Umgebung. Auch der Innenraum ist mit Bildschirmen, Lenkrad und kristallenem Drehdrückschalter klar als iX-Cockpit zu erkennen. Aber es sieht immer noch wie ein Auto aus einem Computerspiel aus. Oberhauser beruhigt uns: «Das ist nur eine Testumgebung für Gäste. Unsere Designer arbeiten mit einer leistungsfähigeren Engine, die deutlich realitätsnähere Modelle darstellt.» Dabei handelt es sich um die Unreal-Engine von Spieleentwickler Epic Games.

Unzählige Möglichkeiten

Der virtuelle Raum wird zu einer Spielwiese mit unendlichen Möglichkeiten: Die Designer können unterschiedliche Formen ausprobieren, die Umgebung ändern und das Licht simulieren, um dessen Effekt und Reflexionen zu sehen. Das gilt für verschiedene Lackfarben und Materialien. Deren Verhalten muss dazu allerdings zuvor digital erfasst werden. Indem die Designer im virtuellen Raum arbeiten, entwerfen sie künftige Modelle schneller und kostengünstiger. «Wir müssen weniger Tonmodelle formen», nennt Oberhauser ein Beispiel. «Und diese wenigen werden von Maschinen schneller und präziser gefräst.»

In der digitalen Welt können auch mehrere Designer gleichzeitig auf dem Fahrersitz Platz nehmen. So wissen gleich alle, worüber gesprochen wird, wenn die A-Säule, ein Bildschirm oder auch nur ein Schalter platziert werden soll. Keiner hat eine andere Perspektive, weil er von aussen oder den Rücksitzen schaut. «Da wir die Daten in der Cloud speichern, können sich unsere Entwickler von überall auf der Welt einschalten.» Voraussetzung: Es braucht eine leistungsstarke Internetverbindung.

Noch geht nicht alles virtuell

Die Werkzeuge, um die verschiedenen Elemente des Autos zu produzieren, lässt BMW anhand des virtuellen Designs passgenau anfertigen. «Geometrie ist Mathematik und lässt sich berechnen», erklärt Oberhauser. «Das stimmt immer zu 100 Prozent.» Die grösste Herausforderung sei es, die Fahreigenschaften in der virtuellen Welt realitätsnah abzubilden. Entsprechend muss die Fahrdynamik immer noch mit Prototypen erprobt und abgestimmt werden.

In Games auf dem PC reagieren Autos entweder hypersensibel oder extrem träge auf Befehle des Spielers – beides schwierig zu kontrollieren. Eines der Hauptprobleme sind die nicht spürbaren Rückmeldungen des Autos. Moderne und teure Rennsimulatoren versuchen, dieses Handicap auszugleichen. Doch auch sie geben das Feedback minimal verzögert weiter, was wiederum unseren Körper irritiert. BMW versucht deshalb, dieses Defizit zu kompensieren: In einer halb analogen, halb virtuellen Realität fahren die Ingenieure ein echtes Auto auf einem abgesperrten Areal, während sie über eine VR-Brille eine digitale Welt sehen. So könnten die Autotests von Morgen aussehen.

Langsam kommt in mir ein Gefühl von Seekrankheit auf. Das sei normal, versichert uns Matthias Oberhauser: «Viel länger als dreissig Minuten halten es nur wenige ohne Pause aus.» Deshalb endet unser Besuch in der virtuellen BMW-Welt und wir kehren ins Engadin zurück.

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