Akkus werden zu Mega-Speichern von grüner Energie
Wie E-Autos unser Stromnetz revolutionieren

Aktuell dienen Batterien in Elektroautos meist nur der Fortbewegung. Doch in Zukunft könnten die Mega-Akkus zum Zwischenspeicher überschüssig erzeugter Wind- und Solarenergie werden – bidirektionales Laden machts möglich. Doch noch fehlen Infrastruktur und Gesetze.
Publiziert: 21.07.2024 um 16:52 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2024 um 14:55 Uhr
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Im Schnitt steht jeder Schweizer PW fast 23 Stunden am Tag ungenutzt herum. Genau deshalb könnten Autos in Zukunft zum entscheidenden Faktor der Energiewende werden – wenn sie mit Strom aus einer Batterie fahren.
Foto: Keystone
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Andreas EngelRedaktor Auto & Mobilität

Objektiv betrachtet, sind unsere Autos keine Fahr-, sondern Stehzeuge. Im Schnitt verbringen Schweizer Personenwagen rund 95 Prozent ihrer Zeit auf Parkplätzen – fast 23 Stunden am Tag, wie Studien des Bundesamts für Statistik (BFS) belegen. Genau deshalb könnten sie in Zukunft zu einem entscheidenden Faktor der dringend nötigen Energiewende werden. Voraussetzung: Die Autos fahren mit Strom aus einer Batterie.

Gigantische Mengen Strom – ungenutzt

Lithium-Ionen-Akkus aktueller Oberklasse-Modelle können heute oft schon mehr als 100 Kilowattstunden (kWh) elektrische Energie speichern – so viel, wie ein Schweizer Einfamilienhaus in fünf Tagen verbraucht. Selbst kleine, deutlich günstigere E-Modelle verfügen über Akkus mit einer Kapazität von oft mehr als 50 kWh (auch interessant: Jetzt kommen die Günstig-Stromer). Bis zu 600 Kilometer oder mehr sollen mit den grossen Batterien möglich sein – mindestens 300 sind es selbst bei den Kleinwagen. Doch wer fährt überhaupt so weit? Nur etwa 30 Kilometer legt ein Schweizer Autofahrer laut BFS pro Tag im Schnitt zurück. Selbst der Speicher eines kleinen E-Autos reicht so für mehr als eine Woche.

Statt eine gigantische Menge Strom ungenutzt in den fetten Akkupaketen der fast 200'000 Schweizer Elektroautos ruhen zu lassen, könnte diese Energie flexibel eingesetzt werden – bei besonders hoher Nachfrage oder nachts, wenn Solaranlagen keinen Strom liefern können. Auch starke Schwankungen im Stromnetz durch je nach Wetter mehr oder weniger produzierte regenerative Energie könnten so ausgeglichen werden. Das erhöht die Netzstabilität. Doch damit Elektroautos zum Stromspeicher der Zukunft werden, müssen sie eine Technologie beherrschen: das bidirektionale Laden.

Technologie noch zu teuer

Damit können Elektroautos Strom nicht nur speichern, sondern ihn bei Bedarf über die Ladebuchse an den einzelnen Haushalt oder direkt ins öffentliche Netz auch wieder abgeben. Der Strom fliesst also in zwei Richtungen – bidirektional. Allerdings benötigen Elektroautos Gleichstrom (DC), während in Haushalten und im öffentlichen Stromnetz Wechselstrom (AC) fliesst. Damit der Strom also von der E-Auto-Batterie im Netz genutzt werden kann – oder umgekehrt–, muss er in einem sogenannten Wechselrichter zuerst umgewandelt werden.

Zwar gibt es heute schon vereinzelt bidirektionale Ladestationen, die eine Umwandlung von DC zu AC beherrschen. Doch diese sind noch horrend teuer: Die günstigste Station des Schweizer Anbieters sun2wheel etwa kostet 12'995 Franken. Laut Experten ist es aber genauso denkbar, dass die benötigten Wechselrichter künftig direkt ins Bordladegerät der E-Autos integriert werden. Damit liessen sich auch gewöhnliche AC-Stationen bidirektional nutzen.

Bis 2500 Franken im Jahr sparen

Aktuell sind noch kaum Fahrzeuge auf dem Markt, die für das bidirektionale Laden freigeschaltet sind (siehe Tabelle). Doch diese dürften mit der neuen ISO-Norm 15118-2020, die auch Ladekarten und Co. überflüssig macht – Stichwort Plug&Charge –, bald folgen: So unterstützen beispielsweise alle neuen Hyundai- und VW-Stromer bidirektionales Laden.

Diese Autos können schon bidirektional Laden*:

Marke/Modell Stecker AC / DC Art der Übertragung
Cupra Born 77 kWh CCS DC V2H / V2G (vorbereitet)
Genesis Electrified GV70 / G80 Schuko AC (einphasig) V2L (V2H/V2G bisher nicht möglich)
Mitsubishi Outlander /Eclipse Cross CHAdeMO DC V2H / V2G (vorbereitet)
Nissan Leaf / eNV200 CHAdeMO DC V2H / V2G (vorbereitet)
Honda e CCS DC V2H / V2G (vorbereitet)
Hyundai Ioniq 5 / 6 Schuko AC (einphasig) V2L (V2H/V2G bisher nicht möglich)
Kia EV6 / EV9/ Niro EV Schuko AC (einphasig) V2L (V2H/V2G bisher nicht möglich)
MG 4 / 5 / Marvel Schuko AC (einphasig) V2L (V2H/V2G bisher nicht möglich)
Polestar 3 Schuko / Typ 2 / CCS AC / DC V2L /V2H / V2G (vorbereitet)
Skoda Enyaq 77 kWh CCS DC V2H / V2G (vorbereitet)
Volvo EX90 Schuko / Typ 2 / CCS AC / DC V2L /V2H / V2G (vorbereitet)
VW ID.3 / ID.4 / ID.5 / ID. Buzz (alle 77 kWh) CCS DC V2H / V2G (vorbereitet)

*Quelle: ADAC/Hersteller

Für Privatpersonen macht eine bidirektionale Ladestation aber ohnehin nur mit eigener Solaranlage Sinn. Je nach Grösse der Anlage kostet diese nach Abzug der Fördergelder für ein Einfamilienhaus zwischen 15'000 und 25'000 Franken. Je grösser die Anlage, desto wirtschaftlicher ist sie, weil der Strom auch Warmwasser, die Wärmepumpe oder andere elektronische Verbraucher wie Backofen und Waschmaschine speisen kann. Laut Touring Club Schweiz (TCS) liessen sich so bis zu 2500 Franken pro Jahr sparen. Nach nicht einmal zehn Jahren wäre die Investition in eine grosse Solaranlage amortisiert.

Kommunikation ist alles

Die technischen Hürden liegen indes noch hoch: Um etwa das Stromnetz mittels Vehicle-to-Grid (V2G, dt.: Fahrzeug zu Stromnetz) zu stabilisieren, müssten alle involvierten Komponenten miteinander kommunizieren können – vom E-Autos bis zu Tiefkühler und Wäschetrockner. «In der Praxis ist das alles andere als trivial – schon nur aufgrund der Unterschiede bei Batterie, Bordnetz und Ladegerät der verschiedenen E-Autos. Hinzu kommt, dass die Verteilnetze bisher keine Smart Grids sind, also keine intelligenten, kommunikationsfähigen Netze», erklärt Urs Mathis, vom Bereich Business Development Elektromobilität des Zürcher Versorgers Energie 360.

Eine noch grössere Herausforderung sei aber das Poolen vieler E-Autos – quasi deren Zusammenschluss zu einem virtuellen Kraftwerk –, um mit zusätzlichem Strom das Netz bei hohem Strombedarf zu regeln und so zu stabilisieren. Dazu müsste der Fluss der erforderlichen Energie exakt und nahezu in Echtzeit gesteuert werden. Dass dies technisch möglich ist, hat das im Mai beendete Projekt «V2X Suisse» des Schweizer Carsharing-Unternehmens Mobility und Autobauer Honda gezeigt (siehe Box).

Vorzeigeprojekt V2X Suisse

Die Ära der bidirektionalen E-Autos steht vor der Tür, doch für die breite Anwendung der Technologie braucht es noch ein paar Jahre. Dies ist das stark vereinfachte Resümee aus dem vom Bundesamt für Energie unterstützten Pilotprojekt V2X, bei dem der Schweizer Carsharing-Anbieter Mobility mit Autobauer Honda zusammengespannt hat. Während 18 Monaten wurden 50 vollelektrische Honda e (Bild) nicht nur von den Mobility-Kunden gefahren, sondern angehängt an einer Ladestation auch als Pufferspeicher genutzt, um Lücken in der Stromversorgung zu schliessen.

Die Erkenntnisse aus dem weltweit einzigartigen Projekt: Das System hat bewiesen, dass es technisch machbar ist, eine grosse Anzahl E-Autos dank bidirektionaler Ladetechnik zu einem virtuellen Kraftwerk zusammenzuschliessen und den Energiefluss in Echtzeit zu steuern. Geld verdienen lasse sich mit solch einer Autoflotte hingegen noch nicht. Noch seien vor allem die Kosten für die bidirektionalen Ladesäulen sehr hoch und die Auswahl an kompatiblen Fahrzeugen verschwindend klein. «Das Angebot an bidirektional ladenden Autos hat sich weniger schnell entwickelt, als erhofft», stellt V2X-Projektleiter und Branchenkenner Marco Piffaretti ernüchtert fest. Man habe mit dem Projekt aber ein starkes Zeichen an Politik, Autohersteller und Netzbetreiber gesendet. Dennoch werde es nach Meinung der Experten noch Jahre dauern, eine dezentrale E-Autoflotte netzdienlich und vor allem wirtschaftlich betreiben zu können.

Rollende Stromspeicher: Mit 50 Honda e testete Mobility das bidirektionale Laden in der Praxis.
Zvg

Die Ära der bidirektionalen E-Autos steht vor der Tür, doch für die breite Anwendung der Technologie braucht es noch ein paar Jahre. Dies ist das stark vereinfachte Resümee aus dem vom Bundesamt für Energie unterstützten Pilotprojekt V2X, bei dem der Schweizer Carsharing-Anbieter Mobility mit Autobauer Honda zusammengespannt hat. Während 18 Monaten wurden 50 vollelektrische Honda e (Bild) nicht nur von den Mobility-Kunden gefahren, sondern angehängt an einer Ladestation auch als Pufferspeicher genutzt, um Lücken in der Stromversorgung zu schliessen.

Die Erkenntnisse aus dem weltweit einzigartigen Projekt: Das System hat bewiesen, dass es technisch machbar ist, eine grosse Anzahl E-Autos dank bidirektionaler Ladetechnik zu einem virtuellen Kraftwerk zusammenzuschliessen und den Energiefluss in Echtzeit zu steuern. Geld verdienen lasse sich mit solch einer Autoflotte hingegen noch nicht. Noch seien vor allem die Kosten für die bidirektionalen Ladesäulen sehr hoch und die Auswahl an kompatiblen Fahrzeugen verschwindend klein. «Das Angebot an bidirektional ladenden Autos hat sich weniger schnell entwickelt, als erhofft», stellt V2X-Projektleiter und Branchenkenner Marco Piffaretti ernüchtert fest. Man habe mit dem Projekt aber ein starkes Zeichen an Politik, Autohersteller und Netzbetreiber gesendet. Dennoch werde es nach Meinung der Experten noch Jahre dauern, eine dezentrale E-Autoflotte netzdienlich und vor allem wirtschaftlich betreiben zu können.

Strom wird nicht vergütet

Doch es kommen auch regulatorische Hürden dazu: Noch könnten Netzbetreiber beim in der E-Auto-Batterie zwischengespeicherten und über die bidirektionale Ladestation wieder abgerufenem Strom nicht unterscheiden, ob der Strom ursprünglich aus dem Netz oder der eigenen Solaranlage bezogen wurde. Die Folge: Batterien werden wie gewöhnliche Endverbraucher behandelt. Der Kunde zahlt ganz normale Gebühren, auch wenn der Strom später ins Netz zurückfliesst – und entsprechend wieder vergütet wird.

Finanziell spiele das für den Kunden bei der Optimierung des Eigenbedarfs zwar keine Rolle, erklärt Urs Mathis. Dafür aber bei der Netzstabilisierung: «Für netzdienliche Dienstleistungen wird es noch einige Jahre dauern, bis wirtschaftliche, attraktive Bedingungen geschaffen sind. Unter anderem sind Batteriespeicher im Gegensatz zu Pumpspeicherkraftwerken noch nicht vom Netznutzungsentgelt befreit.» Zudem sei der lokale Verteilnetzbetreiber bisher nicht verpflichtet, den von E-Autos ins Netz eingespeisten Strom zu vergüten.

Wie ein Pumpspeicherkraftwerk

Wenn aber künftig viele E-Autos vernetzt und zusammengeschaltet werden könnten, liesse sich mit ihnen Regelenergie und -leistung für die nationale Netzgesellschaft Swissgrid bereitstellen. Sie könnte das virtuelle E-Auto-Kraftwerk innert weniger Sekunden zuschalten, wenn im Stromnetz Energie fehlt. Das Potenzial ist riesig: Steht bei 90’000 Elektroautos je eine Leistung von 10 kW zur Verfügung, liefern sie zusammen eine Regelleistung von 900 MW. Das entspricht der Leistung des 2022 im Wallis eröffneten Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance – eines der leistungsstärksten Europas. An Energie dürfte es in Zukunft mit zunehmender Anzahl E-Autos also nicht mangeln. Vorausgesetzt, die Stromer können in zwei Richtungen laden.

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