Die Erleichterung bei den Engadiner Brüdern Patrik (29) und David Koller (31) und ihrem Unterländer-Kollegen David Pröschel (32) ist gross, die Anspannung auch. Ihr zum Solar-Elektromobil umgebautes Aebi-Expeditionsfahrzeug Terren (rätoromanisch für Erde) ist verschifft und unterwegs nach Chile. Damit ist die erste Etappe des Projekts Peak Evolution erfolgreich abgeschlossen – und die Jagd nach dem Höhenweltrekord erreicht für das Abenteurer-Trio nach über vier Jahren Vorbereitungszeit ihre finale Phase.
Der in kompletter Eigenregie durchgeführte Umbau des Diesel-Basisfahrzeugs Aebi VT450 zum Elektrofahrzeug mit zwei total 380 PS starken E-Motoren und einem mobilen Solarkraftwerk war viel aufwendiger als erwartet, gibt das Trio zu. Doch trotz einiger Rückschläge haben es die jungen Gipfelstürmer schliesslich dank grosser Beharrlichkeit und auch dank der Unterstützung vieler Sponsoren und Gönner geschafft. Mittels enormen Drehmoments und extragross dimensionierter 42-Zoll-Räder erklimmt ihr allradgetriebener und allradgelenkter Terren Steigungen von bis zu 100 Prozent. Und mit einem Gesamtgewicht von zehn Tonnen (Leergewicht 4 t, Zuladung 6 t) hat das Solar-Elektrofahrzeug mehr Zugkraft als ein durchschnittlicher 40-Tonnen-Sattelschlepper.
Fahrzeug ist jetzt nach Chile unterwegs
«Wir wurden laufend mit neuen Problemen konfrontiert», blickt Patrik Koller auf die intensive Entwicklungszeit des Expeditionsfahrzeugs zurück. «Alleine bis wir diesen Frühling endlich zu unserer Strassenzulassung für den Terren kamen, war eine unglaublich nervenaufreibende Bürokratie-Odyssee durch viele Behörden-Instanzen nötig.» Und auch technisch mussten immer wieder Dinge angepasst, verbessert und optimiert werden. Sei es am komplexen Fahrzeugantrieb, dem Solarladesystem oder bei profaneren Komponenten wie der Seilwinde. «Ein zuverlässiges Fahrzeug braucht extrem viel Aufwand, das hatten wir massiv unterschätzt», fasst er zusammen. «Doch jetzt sind wir sehr zufrieden.» Dank der grossen Unterstützung des internationalen Logistikpartners Gebrüder Weiss aus Altenrhein SG ist das Expeditionsfahrzeug jetzt sicher unterwegs nach Chile, dem Ausgangspunkt der Kletterpartie auf den höchsten aktiven Vulkan der Welt.
Mehr zum Rekordversuch
Das Fahrzeug ist startklar – das Abenteurer-Trio auch? «Mit der aufwendigen Fahrzeugentwicklung blieb uns leider nicht mehr so viel Zeit wie erhofft, um an unseren eigenen Offroad-Skills zu arbeiten», sagt David Koller. «Wir und die drei uns begleitenden Kameraleute trainieren jetzt intensiv an unserer Fitness und reisen in gut zwei Wochen nach Chile. Bei der 4700 Meter über Meer gelegenen Laguna Verde am Fusse des Ojos del Salado werden wir uns während rund vier Wochen mit verschiedenen Erkundungstouren an die für uns ungewohnte Höhe akklimatisieren», verraten die erfahrenen Schweizer Berggänger. «Und dann fühlen wir uns für den Berg und unser Abenteuer bereit», sagt David Pröschel. Er weiss, sein selbst entwickeltes, mobiles Solarladesystem funktioniert jetzt wie erhofft und lädt die Fahrzeugbatterie mit über 10 Kilowatt. Pröschel: «An einem perfekt sonnigen Tag in der Atacamawüste können wir so den Antriebsakku fast wieder komplett aufladen.»
In rund fünf Tagen bis zum Kraterrand
Stichwort sonniger Tag: Natürlich muss bei einem erfolgreichen Rekordversuch neben der zuverlässigen Fahrzeugtechnik und der guten körperlichen Fitness der Gipfelstürmer auch das Wetter mitspielen. Das Zeitfenster ist relativ schmal. Ein erfolgreiches Erklimmen des Vulkans Ojos del Salado ist nur von November bis Januar möglich. Stimmen im Dezember die Witterungsbedingungen und Aussichten im Basislager Camp Atacama auf 5200 Meter über Meer, startet der Rekordversuch. Langsam, in rund fünf Tagen, soll der mit Energie aus den mitgeführten Solarpanels gespeiste Terren bis zum 6893 Meter hohen Kraterrand hochkraxeln – und so einen neuen Höhenweltrekord für Fahrzeuge aller Art schaffen. Bislang steht dieser bei 6688 Metern.
Natürlich versteckt sich hinter dem Abenteuer auch eine wirtschaftliche Idee. Die drei innovativen Schweizer Tüftler möchten von ihren gemachten Erfahrungen beim Umbau ihres Terren profitieren, und die Umbauidee von Diesel- auf umweltfreundlichen Solar-Elektrobetrieb für schwere Landmaschinen in Bergbauerngebieten kommerzialisieren. «Konkret prüfen wir nach unserer Expedition einerseits eine mögliche Kleinserie von umgerüsteten Fahrzeugen», so Patrik Koller. «Andererseits planen wir, längerfristig eine Fahrzeugplattform zu entwickeln, die wir unter unserem Brand Terren Electric Drive System verschiedenen Herstellern im Off-Highway-Bereich anbieten möchten, damit diese ihre neuen vom Markt geforderten Elektrofahrzeuge zeitnah und zuverlässig entwickeln und produzieren können.» Doch erst einmal gilt es jetzt in gut zwei Monaten, mit dem Terren erfolgreich zum höchst gelegenen Vulkan Chiles hochzuklettern.