Klassiker rasen über Piste
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Am I.C.E. St. Moritz:Klassiker rasen über Piste

Edel-Oldtimer auf dem St. Moritzersee
Eis wird heiss

Schaulaufen statt Pferderennen: Am vergangenen Wochenende gehörte die Eispiste von St. Moritz historischen Automobilen mit coolen Geschichten.
Publiziert: 06.03.2022 um 04:52 Uhr
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Aktualisiert: 09.03.2022 um 09:47 Uhr
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Eis wird heiss: Am I.C.E. auf dem zugefrorenen St. Moritzersee im Engadin kommt man ganz nah heran an legendäre Autoklassiker (vorn: Ferrari 275 GTB Alluminio).
Foto: fotoswiss.com/cattaneo
Andreas Faust

Ein Blick nach links und rechts, und dann geht alles ganz schnell. Patsch – liegt die Kinderhand auf dem Kofferraumbürzel des schwarzen Cabrios. «Luca, kommst du?», rufts, und schon verschwindet der Kleine in der Menge. Glück gehabt, Papa hats nicht gesehen.

Man muss sie ja nicht immer gleich anfassen. Aber am I.C.E. auf dem zugefrorenen St. Moritzersee im Engadin kommt man eben ganz nah heran an legendäre Autoklassiker. Das Kürzel ist nicht bloss ein offensichtlicher Marketing-Gag, sondern steht für International Concours of Elegance – eine Schönheitskonkurrenz für alte Automobile. Doch statt sie nur stumm und still zu präsentieren, geben deren Eigner ihnen sogar die Sporen. Wo sonst am White Turf die Rösser galoppieren, fegen jetzt die Pferdestärken über den Rundkurs. Oben heiss, unten Eis, und darunter gehts bis zu 44 Meter in die Tiefe.

Solche Wettbewerbe haben Tradition

Die Idee hatte Macro Makaus schon in den 1980ern – warum nicht mal mit Oldtimern auf 1800 Metern über dem Meer aufs Eis gehen? Aber es dauerte bis 2019, ehe der Ex-CEO des italienischen Oldtimer-Rennens Mille Miglia sich auf den See traute – zuerst noch im kleinen Kreis, als Versuchsballon ohne grosse Publicity. Das Konzept kam an. Aber dann folgte die Corona-Pandemie. Absage 2020, im Folgejahr eine statische Ausstellung in St. Moritzer Hotels. Der I.C.E. 2022 zählt daher offiziell als erste Austragung.

In fünf Kategorien kürt eine internationale Jury die schönsten Autos, dazu noch das grandioseste des ganzen Events. Solche Concours haben Tradition: In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts fuhr man entweder Fliessbandproduziertes von der Stange – oder man liess sich sein Auto auf Mass dengeln. Carrossiers wie H. J. Mulliner (UK), Hebmüller (D) oder der Schweizer Graber kleideten angelieferte Chassis samt Motor in eigene Karosserie-Kreationen. Regelmässig zeigte man an gemeinsamen Concours die neusten Modelle, auf dass die Kunden das Scheckbuch zückten.

Das Auto zur Uhr

Klassische Autos und Uhren gehören zusammen: Wer für das eine ein Faible hat, gönnt sich oft auch das andere. Die Uhrenmarke IWC aus Schaffhausen machte es andersherum und leistete sich 2018 einen Oldtimer: einen Mercedes 300 SL, einen der legendären Flügeltürer von 1955 – genau so alt wie IWC. An Motorsport-Events für Klassiker wie in Arosa GR oder Goodwood (GB) wird er von Rennstars wie David Coulthard, Lewis Hamilton, Bernd Schneider oder Karl Wendlinger pilotiert. Am I.C.E. St. Moritz sass die österreichische KTM-Werksfahrerin Laura Kraihamer (32) hinter dem Steuer. Keine Bange um den Benz, der zu siebenstelligen Preisen gehandelt wird? «Es ist richtig Arbeit, den SL zu fahren – aber auch ein Riesenspass.»

fotoswiss.com/cattaneo

Klassische Autos und Uhren gehören zusammen: Wer für das eine ein Faible hat, gönnt sich oft auch das andere. Die Uhrenmarke IWC aus Schaffhausen machte es andersherum und leistete sich 2018 einen Oldtimer: einen Mercedes 300 SL, einen der legendären Flügeltürer von 1955 – genau so alt wie IWC. An Motorsport-Events für Klassiker wie in Arosa GR oder Goodwood (GB) wird er von Rennstars wie David Coulthard, Lewis Hamilton, Bernd Schneider oder Karl Wendlinger pilotiert. Am I.C.E. St. Moritz sass die österreichische KTM-Werksfahrerin Laura Kraihamer (32) hinter dem Steuer. Keine Bange um den Benz, der zu siebenstelligen Preisen gehandelt wird? «Es ist richtig Arbeit, den SL zu fahren – aber auch ein Riesenspass.»

Zum I.C.E. kommt man nicht einfach – man wird auf Bewerbung hin eingeladen. Wer «bloss» einen alten Porsche 911 oder Jaguar E-Type fährt, der hat kaum Chancen, aufs Eis gelassen zu werden: Wirklich rar muss der Klassiker sein und dazu am besten noch eine spektakuläre Historie mitbringen. Gleich eine ganze Kategorie ist Filmautos gewidmet. Der orange 1968er-Lamborghini Miura schaut nicht bloss so aus – die Fahrgestellnummer 3586 ist der Lambo aus dem Filmklassiker «The Italian Job». Und den Meyers Manx Wüstenbuggy aus «The Thomas Crown Affair» von 1968 liess Hauptdarsteller Steve McQueen (1930–1980) extra auf einen Chevi-V8 umbauen, weil der originale VW-Käfer-Motor unter seiner Würde war.

Italianità beherrscht die Eisfläche. Gut ein Drittel der Autos trägt das Ferrari-Logo, dazu gibts Boliden von Lamborghini, Maserati und Alfa Romeo. Und ein paar skurrile Exoten wie den Fiat 130 Introzzi: In den 1970er-Jahren galten Kombis noch als Handwerker-Autos – doch Fiat-Boss Gianni Agnelli (1921–2003) liess sich einen als Einzelanfertigung im Werk bauen, um mit Kind und Kegel in die Skiferien fahren zu können. Mit dem Rolls-Royce Corniche namens Jules ging ein französisches Team 1981 bei der Rallye Paris–Dakar an den Start. Mit einem Toyota-Allradantrieb und einem 350-PS-Motor von Chevrolet fuhr er zwischenzeitlich gar bis auf Platz 13 vor. Rolls-Royce war dennoch nicht «amused» über den Rallye-Rolls. Und der Eigner des Fiat 500 Jolly Ghia mit Stoffdach und ohne Türen hätte sich einen Sonderpreis für jede Runde auf der eiskalten Bahn verdient.

Drifts enden auch mal im Schneewall

Denn wirklich speziell macht den Event die Eispiste. Andere Klassiker wie in Pebble Beach (USA) oder an der Villa d'Este am Comer See (I) leben von Makellosigkeit, von stündlich staubgewedelten und glanzpolierten Autos, deren Motoren schon deshalb nie gestartet werden, weil Ersatzteile von Hand gefertigt werden müssten. In St. Moritz dagegen wird auch gefahren. Vielleicht nicht mit Vollgas, weil die Eisfläche eben nicht spiegelglatt ist, sondern bucklig vor lauter angetautem und wieder gefrorenem Schnee. Für viele Klassiker sind schon normale Reifen kaum zu kriegen – manche leisten sich gar Pneus mit Spikes. Dennoch enden einige elegante Drifts in der Kurve im Schneewall – und am Haken des Abschlepp-SUVs. Aber dann wird rausgezogen – und weiter gehts.

Ein Exemplar des Autos wurde schon für 42,5 Millionen Franken versteigert? Egal, findet der Eigner des nur 36-mal gebauten Ferrari 250 GTO und fetzt mit dem italienischen Coupé genauso übers Eis wie mit seinem ebenfalls mitgebrachten Rallye-Mini. Immerhin: Untergebracht sind die Oldies nachts im nächstgelegenen Parkhaus, damit möglichst wenig Streusalz in die Karosseriefugen dringt. Und weil Eis bei Kaiserwetter auch antauen kann, geht zwischendurch Alexander Boller als Eis-Kontrolleur auf die Strecke – in einem mattgrauen VW Käfer, bei dem schon die Porsche-Felgen verraten, dass er mehr als die einst üblichen 34 PS hat.

Die nächste I.C.E.-Ausgabe ist für 2023 schon fest eingeplant. Und wenns nach dem Tourismus-Team der Gemeinde St. Moritz geht, soll sich der Event künftig unter den Top 5 der Oldtimer-Anlässe weltweit etablieren. Gut möglich, dass es klappt, wenn man das Niveau der Autos halten kann. Und die Kulisse ist sowieso konkurrenzlos.

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