Nervös bereiten rund 30 Studierende der ETH Zürich und der Luzerner Hochschule HSLU auf dem stillgelegten Militärflugplatz in Dübendorf ZH den ersten Rekordversuch vor: An diesem herrlichen Spätsommer-Tag soll ihr selbst konstruierter Elektrobolide Mythen bei idealen äusseren Bedingungen bei mehreren Messfahrten einen neuen, offiziellen Beschleunigungsweltrekord realisieren. Und damit den im letzten Herbst an die Studienkollegen aus Stuttgart (D) verlorenen Prestige-Rekord wieder in die Schweiz zurückholen.
Der Ursprung des aktuellen Beschleunigungsrekordversuchs reicht bereits mehr als zehn Jahre zurück. Damals entwickelten knapp drei Dutzend Studentinnen und Studenten des akademischen Motorsportvereins Zürich (AMZ) erstmals aus einem für die Formula Student (siehe Box) gebauten Elektrorenners ein superleichtes Hightechgerät mit exorbitanten Beschleunigungsfähigkeiten weiter. Der Gokart-ähnliche Bolide bestand optisch praktisch nur aus vier Rädern und einem mächtigen Kohlefaser-Heckflügel und wog deshalb nur 168 Kilogramm. Dank seiner vier Radnaben-Elektromotoren leistete der Einsitzer jedoch über 200 PS und ein beeindruckendes Drehmoment von maximal 1630 Newtonmeter.
Die Formula Student ist der weltweit grösste Wettbewerb für Ingenieure. Jedes Jahr finden weltweit Wettbewerbe statt. Gegründet von der Society of Automotive Engineers im Jahr 1981, fand der erste Wettbewerb in Europa 1998 statt. Derzeit treten über 600 Teams von Universitäten aus der ganzen Welt mit ihren selbst konstruierten Rennwagen gegeneinander an. Sieger ist nicht unbedingt das Team mit dem schnellsten Auto, sondern jenes mit dem besten Paket aus Konstruktion, Leistung, Finanzplanung und Verkaufsargumenten.
Alle beim aktuellen Beschleunigungs-Weltrekord-Projekt involvierten Studierenden des AMZ stammen aus der Formula Student; und auch das Rekordfahrzeug basiert auf einem Formula-Student-Boliden von 2019. «Allerdings ist von diesem Basisfahrzeug nicht mehr viel übrig geblieben», verrät Projektleiter Ben Weber.
Die Formula Student ist der weltweit grösste Wettbewerb für Ingenieure. Jedes Jahr finden weltweit Wettbewerbe statt. Gegründet von der Society of Automotive Engineers im Jahr 1981, fand der erste Wettbewerb in Europa 1998 statt. Derzeit treten über 600 Teams von Universitäten aus der ganzen Welt mit ihren selbst konstruierten Rennwagen gegeneinander an. Sieger ist nicht unbedingt das Team mit dem schnellsten Auto, sondern jenes mit dem besten Paket aus Konstruktion, Leistung, Finanzplanung und Verkaufsargumenten.
Alle beim aktuellen Beschleunigungs-Weltrekord-Projekt involvierten Studierenden des AMZ stammen aus der Formula Student; und auch das Rekordfahrzeug basiert auf einem Formula-Student-Boliden von 2019. «Allerdings ist von diesem Basisfahrzeug nicht mehr viel übrig geblieben», verrät Projektleiter Ben Weber.
Erster Schweizer Weltrekord 2014
Bei ihrem ersten Beschleunigungsweltrekordversuch brauchten die Schweizer Studenten 2014 mit ihrem kleinen Elektro-Flügelmonster namens Grimsel nur gerade 1,785 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 km/h – und schafften damit den angestrebten Eintrag ins «Guinnessbuch der Rekorde». Zwei Jahre später drückte das AMZ-Team mit dem weiterentwickelten Rekordfahrzeug den Weltrekord gar auf 1,513 Sekunden. Diese offizielle Marke hatte Bestand bis letzten September. Vor genau einem Jahr gelang den Studierenden des Green-Teams aus Stuttgart mit 1,461 Sekunden von 0 auf 100 km/h eine neue Bestmarke.
Und diese Rekordmarke wollen die Schweizer ETH- und HSLU-Studierenden, vornehmlich der Fachrichtung Maschinenbau und Elektrotechnik, in Zusammenarbeit mit Industriepartnern, wieder unterbieten. Dario Messerli (25), der eben sein Maschinenbaustudium erfolgreich abgeschlossen hat, zeigt sich vor dem ersten Rekordversuch mit offizieller Zeitmessung, Kameras und Vertretern der Guinness World Records Limited aus London zwar angespannt, aber zuversichtlich. «Unsere gestrigen Abschlusstests lassen Gutes erhoffen», verspricht der Team-Aerodynamiker. «Aber es kann natürlich immer etwas schiefgehen. Ein kleiner Softwarefehler oder ein mechanischer Defekt eines Fünf-Rappen-Teilchens reicht – und wir können zusammenpacken.»
Saugnapf statt Heckflügel
Im Vergleich zum Grimsel-Rekordfahrzeug vor zehn Jahren ist der aktuelle ETH-Bolide Mythen nicht mehr wiederzuerkennen. Der mächtige Heckspoiler ist verschwunden. Für den nötigen Grip beim Beschleunigen der total 326 PS (240 kW) starken Radnaben-E-Motoren sorgt stattdessen eine riesige Platte unter dem Fahrzeug. Nach ähnlichem Prinzip wie 1978 in der Formel 1, als ein Ventilator für Unterdruck am Heck der Boliden sorgte, funktioniert auch der von den Studenten entwickelte Unterboden. Kurz vor dem Start wird die Platte abgesenkt und der kleine Bolide saugt sich, ähnlich wie ein Saugnapf, mit bis zu 180 Kilogramm Druck auf die Piste. In der Formel 1 wurde diese sogenannte Schürzentechnik – weil zu effektiv – schon bald wieder verboten. Dario Messerli und der technische Leiter Ben Weber (28), ebenfalls ein früherer ETH-Maschinenbau-Student, sind überzeugt, dass sie dank der neuen «Staubsaugertechnik» sowie den neuen Motoren, Akkus und Wechselrichtern den angepeilten Beschleunigungsweltrekord schaffen.
Auch hier ist Temporausch garantiert
Für die erste Rekordfahrt setzt sich Elektrotechnik-Studentin Chiara Lenz (22) ans Steuer. Sie hat selbst am Auto mitentwickelt und bringt mit ihrer feinen Statur ideale Voraussetzungen als Pilotin mit. «Wir sind total vier Fahrerinnen; alle unter 50 Kilo leicht», verrät Chiara. Natürlich spielt das Gewicht der Pilotin bei einem reinen Fahrzeuggewicht von nur 140 Kilogramm eine äusserst wichtige Rolle. «Nein, extra eine Diät für die heutige Rekordfahrt habe ich nicht gemacht», antwortet Chiara Lenz lachend. Dafür hat sie die aus federleichtem Bauschaum gefertigte Sitzschale wie einen Emmentaler-Käse durchlöchert. Es zählt wirklich jedes Gramm. Brauchts Mut, dieses Geschoss zu fahren? «Eher viel Geduld», antwortet sie. Natürlich sei die Beschleunigung unglaublich, und der Ritt so schnell wieder vorbei, dass es schon ein surreales Erlebnis sei. Doch die vielen Testtage, oft verbunden mit stundenlanger Warterei für nur zwei, drei Kurzeinsätze, würden mehr Durchhaltevermögen als Mut erfordern.
Erster Versuch bereits erfolgreich
Ans fahrerische Können werden keine hohen Ansprüche gestellt. Die festgezurrte Pilotin aktiviert das Startprozedere des Fahrzeugs durch gleichzeitiges Drücken der Paddel hinter dem Lenkrad sowie des Gaspedals. Lässt sie die Lenkradpaddel los, übernimmt die Launch-Elektronik den Beschleunigungsvorgang. Nach Erreichen der 100-km/h-Marke oder spätestens nach 15 Metern Fahrt unterbricht die Elektronik den Beschleunigungsvorgang – die Pilotin geht vom Gas und bremst das Fahrzeug übers Bremspedal wieder zum Stillstand ab.
Schon nach dem ersten Versuch bricht die Truppe in Jubel aus. Die realisierten 1,123 Sekunden bedeuten bereits den angepeilten neuen Weltrekord. Doch die Studierenden der AMZ wollen mehr. «Wir hoffen, den Rekord unter eine Sekunde zu drücken», verrät Messerli. Dazu werden für die nächsten Runs leichte Veränderungen vorgenommen. Anstelle von Chiara Lenz setzt sich die noch etwas leichtere Kate Maggetti (24) ans Steuer. Zudem werden die Reifentemperaturen vor dem Start – dank der vom Sauber-F1-Team geschenkten alten Heizdecken – erhöht und die Dämpfer weicher gestellt. Es folgen weitere Runs. Und beim neunten Versuch ists tatsächlich geschafft: 0,956 Sekunden zeigt die offizielle Zeitmessung. Die Freude und der Stolz bei den Studierenden über diese Fabelzeit ist riesengross. Der offizielle und bald im Guinnessbuch der Rekorde erscheinende Beschleunigungsweltrekord gehört wieder dem AMZ. Und dürfte wohl auch so schnell nicht mehr unterboten werden.