Auf einen Blick
Jona Neidhart (37) hat genug: genug gewartet, genug geredet, genug von der Schweiz, die sich in der Ukraine-Frage noch immer nicht bewegt. Mitte Juni kam der gebürtige Zürcher nach zwei Jahren an der Kriegsfront in der Ukraine zurück in die Schweiz und liess sich in Bern von der Polizei festnehmen. Seit Montagmorgen ist Neidhart zurück in der Ukraine, wie Blick exklusiv weiss. Die Mission könnte ihn sein Leben kosten.
«Ich will zurück an die Front. Am liebsten mit einer Einheit, die ganz zuvorderst kämpft, damit ich Dampf machen und den Russen so richtig in den Arsch treten kann», sagt Neidhart zu Blick. Am Montagmorgen ist er nach zweitägiger Bus- und Zugreise in der Westukraine angekommen. «Mit denselben beiden Rucksäcken, die ich schon beim ersten Einsatz dabeihatte», erzählt er.
Neidhart will zu umstrittener Elite-Einheit
Umgehend will er sich nun in einem Rekrutierungszentrum der Armee melden und eine Einheit finden, die ihn brauchen kann. «Als Maschinengewehrschütze wie beim letzten Mal, als Füsilier, als Panzerfausthantierer – ich bin für vieles offen.» Könnte er wählen, würde er am liebsten in der berüchtigten ukrainischen Asov-Brigade oder bei der Dritten Sturmbrigade kämpfen. Beide Einheiten standen in der Vergangenheit unter Verdacht, rechtsextrem unterwandert zu sein.
Neidhart distanziert sich von diesem Gedankengut. «Für mich zählt nur, dass die Brigaden effizient kämpfen», sagt er. «Sie gehören beide zu den besten Truppen der Armee. Die Russen fürchten sie. Und: Sie sind grundsätzlich offen für internationale Legionäre wie mich.»
Für seinen fast zweijährigen Kriegsdienst in einer fremden Armee drohen dem Schweizer in der Heimat bereits jetzt mehrere Jahre Knast. Kriegsdienst für fremde Mächte ist in der Schweiz illegal. Die Militärjustiz hat im Sommer ein Verfahren gegen ihn eröffnet. Neidhart hat den Untersuchungsrichtern seine Tagebücher und seine militärischen Ausweispapiere überreicht. «Ich stelle mich der Justiz und übernehme die volle Verantwortung für meine Taten», hatte er damals gesagt, bevor er sich selbst auf einem Berner Wachposten stellte.
Bis das Urteil gefällt ist, darf Neidhart das Land eigentlich nicht verlassen. So ist das mit der Militärjustiz abgemacht. Doch nach sechs Monaten in der Heimat könne er dem Vormarsch von Wladimir Putins (72) Truppen im Osten nicht länger tatenlos zusehen. «Meine Interviews, meine Vorträge, all die Demos, an denen ich teilgenommen habe, die haben primär jene Leute erreicht, die sowieso schon pro-ukrainisch sind.» Er aber wolle mehr. «Ich will die Schweiz aufwecken und dazu beitragen, dass dieser Krieg nicht vergessen geht.»
Er kommt erst zurück, wenn der Krieg vorbei ist
Die Rückkehr in die Schweiz sei für ihn immer nur eine temporäre Lösung gewesen. Dass die Militärjustizmühlen so langsam mahlten, sei für ihn kein Grund, seine Pläne anzupassen. «Die Ukraine braucht unsere Hilfe jetzt, nicht später.»
Dass Justizverfahren viel Zeit beanspruchen, ist nicht ungewöhnlich. Mit seiner erneuten Ausreise in die Ukraine riskiert Neidhart deshalb, dass seine Gefängnisstrafe bei einer Verurteilung sogar viereinhalb statt «nur» drei Jahre Gefängnis betragen könnte. Eine parlamentarische Initiative des Bündner SP-Nationalrats Jon Pult (40), die Straffreiheit für alle in der Ukraine kämpfenden Schweizer fordert, wird derzeit geprüft.
Neidhart ist sich der Konsequenzen seiner Rückkehr in die Ukraine bewusst. «Ich werde mich der Schweizer Justiz erneut stellen, falls ich meinen Einsatz überlebe. Aber erst, wenn der Krieg vorbei ist.»
Die Situation in der Ukraine hat sich seit seiner Ausreise im Juni massiv verschlechtert. «Die Ortschaft Novoselivske, die wir mit unserer Einheit sieben Monate lang verteidigt hatten, ist gefallen. Genau wie das Dorf Kruhlyakivka in der Nähe der Stadt Kupiansk, wo wir lange gewohnt haben», erzählt Neidhart. Laut ukrainischen Angaben wurden seit Kriegsausbruch im Februar 2022 mehr als 43’000 ukrainische und rund 198’000 russische Soldaten getötet.
Er ist bereit, sein Leben zu opfern
Wieso begibt sich einer ein zweites Mal freiwillig in diese riesige Gefahr? «Kämpfen liegt in der Natur des Mannes. Und klar war es irgendwie auch ein Genuss, mit guten Kameraden gemeinsam die Russen zu stoppen.» Seine Hauptmotivation aber sei dieselbe wie bei seiner ersten Mission, sagt Neidhart: «In diesem Krieg geht es um viel mehr als um ukrainische Gebiete. Es geht darum, unsere Werte und unsere Demokratie zu verteidigen.»
Wenn Russland auch nur einen kleinen Teil der Ukraine behalten könne, sei das ein Sieg für Putin – und ein klares Zeichen an alle anderen Machthaber der Welt: «Der Westen lässt sich problemlos in die Knie zwingen, wenn man ihn nur lange genug unter Druck setzt.»
Vor dem gewaltsamen Tod hat der gläubige Christ keine Angst. «Mein Testament ist geschrieben, meine Überzeugung ist unerschütterlich. Ich blicke meinem Schicksal entspannt in die Augen», sagt Neidhart. Für den Kampf in der Ukraine sei er bereit, sein Leben zu geben.