*Update: Der Schweizer Jona Neidhart, der zwei Jahre lang als Legionär an der Ukraine-Front gekämpft hat, wurde am späten Freitagabend rund neun Stunden nach seiner Verhaftung vorübergehend freigelassen. Bei Neidhart bestehe weder Flucht- noch Verdunklungsgefahr. «Ich darf die Schweiz bis zum Beginn meines Prozesses nicht verlassen», sagte Neidhart am Samstagnachmittag zu Blick am Rande einer Pro-Ukraine-Demo in Luzern.
Die Kantonspolizisten waren baff. Dass ein Schweizer Legionär frisch von der Ukraine-Front auf dem Posten erscheint und sich festnehmen lässt, ist noch nie passiert. Jona Neidhart (36) aber machte genau das. Nach zwei Jahren als Maschinengewehr-Kämpfer an der Ukraine-Front stellte er sich am Freitag in Bern der Polizei. Blick war bei der Verhaftung dabei.
«Ich freue mich auf meine Verhaftung», sagte er noch am Donnerstagnachmittag, als er nach viertägiger Busreise von der Ukraine in Bern angekommen war. «Ich stehe zu meiner Entscheidung, für die Ukraine und damit für die Demokratie gekämpft zu haben.» Kriegsdienst für fremde Mächte ist in der Schweiz illegal. Neidhart droht eine mehrjährige Haft. Dass er sich ausgerechnet jetzt festnehmen liess, ist kein Zufall.
Auf dem Bürgenstock findet dieses Wochenende die Ukraine-Friedenskonferenz statt, wo geladene Gäste aus aller Welt über diplomatische Mittel zur Beendigung des Krieges debattieren. «Diese Konferenz ist ein Witz», sagt Neidhart zu Blick. «Wer der Ukraine wirklich helfen will, muss sie befähigen, die Russen militärisch zu besiegen. Man muss die Russen zuerst brechen, bevor man mit ihnen verhandelt, nicht umgekehrt.»
Kein schlechtes Gewissen wegen getöteter Russen
Darum geht es dem gebürtigen Zürcher und angehenden Sek-Lehrer, der seit dem 9. März 2022 Teil der ukrainischen Armee war. «Ich will die Schweiz wachrütteln und den Menschen hier klarmachen, wie wichtig der Kampf der Ukraine ist.» Alles andere als ein Sieg der Ukraine sei eine Niederlage für den Westen und die Demokratie. «Ich bin ein stolzer Schweizer und ein überzeugter Demokrat. Umso mehr frage ich mich, was wohl Winkelried sagen würde, wenn er sehen würde, wie sehr die Schweiz in der Ukraine-Frage zögert. Er würde die Nase rümpfen!»
Neidhart ist in Zürich geboren, hat in Bern studiert, wollte vor dem Krieg Lehrer werden. Als die Russen die Ukraine angriffen, konnte der gläubige Christ nicht tatenlos zuschauen. Er meldete sich in der Schweiz ab und bei der internationalen Legion in der Ukraine an. Dort hat Blick ihn im vergangenen Winter in der Nähe von Bachmut bei einer Kampfpause zum ersten Mal getroffen.
In der Gegenoffensive bei Charkiw, in der Schlacht um Kupjansk, zuletzt in der Nähe von Bachmut: Neidhart hat an manchen der gefährlichsten Frontabschnitte gegen die Russen gekämpft und Angreifer getötet. Ein schlechtes Gewissen hat er deswegen nicht. «In der Ukraine muss man kämpfen – mit Gewalt. Ich habe meine Pflicht erfüllt und bin stolz darauf. Die Russen, die durch meine Hand gefallen sind, hätten das Land nicht angreifen sollen. Ich habe nur meinen Job gemacht», sagt Neidhart.
Über seine zwei Jahre im Krieg hat Neidhart ein Buch geschrieben. Die Ukraine lässt ihn nicht los. Die Weigerung der Schweiz, das Land militärisch zu unterstützen, kann er nicht verstehen. «Wenn die Menschen hier den Horror sehen würden, unter dem Kinder, Familien und all die unschuldigen Leute in der Ukraine tagtäglich leiden müssen, dann würden sie anders denken», ist er überzeugt. Er sagt: «Ich kann mir gut vorstellen, nach meiner allfälligen Haftstrafe erneut in die Ukraine zu gehen.»
Keine Angst vor dem Knast
Bis zu drei Jahre Knast drohen dem Zürcher. Die Militärjustiz hat im Februar ein Verfahren gegen ihn eröffnet. Die wenigen Stunden in der Freiheit zwischen seiner Ankunft in Bern am Donnerstag und seiner Festnahme gestern Freitag nutzte er, um seine Eltern zu Hause zu überraschen. «Sie freuten sich riesig. Wir haben stundenlang diskutiert. Sie verstehen meinen Entscheid, dass ich mich den Behörden stellen und dann weiterschauen will», sagte Neidhart kurz vor seiner Verhaftung am Freitagmittag.
Mit auf den Polizeiposten nahm der Ex-Ukraine-Legionär nur einen kleinen Rucksack mit seiner Zahnbürste, dem Rasierer (der Kampfname des kahlköpfigen Schweizers in der Ukraine lautet «Meister Proper») und ein paar Verträgen und Auszeichnungen, die seinen Kriegsdienst für Wolodimir Selenskis (46) Armee belegen.
Angst vor dem Gefängnis hat er keine. «Schlafen kann ich nach mehr als zwei Jahren an der Kriegsfront inzwischen überall», lacht Neidhart. Seine Freiheit wird er vorübergehend verlieren. Doch die Überzeugung, dass er das einzig Richtige gemacht hat, auch wenn es das Schweizer Militärgesetz anders sieht, die kann ihm keiner nehmen.