Alexej Nawalny (46) gilt als grösster Gegner Wladimir Putins (69). Als ihn seine Anwälte am Dienstag in einem Straflager, wo er derzeit eine Haft absitzt, besuchen wollte, war er nicht mehr da. Angehörige, Mitarbeiter, Freunde und Unterstützer machten sich grosse Sorgen, Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch sagte, sein Leben sei in Gefahr.
Nun aber hat sich Nawalny zu Wort gemeldet. Er sei in die Strafkolonie 6 in Melechowo nahe der Stadt Kowrow verlegt worden und befinde sich gerade in Quarantäne, teilt er seinen Followern mit. Er berichtet von Büchern, die er herumschleppt und Berufen, die man erlernen kann. Offenbar brauche man demnach gleich lange, um Kadaververabeiter oder Näher zu werden, was er nicht ganz nachvollziehen kann. Zum Beitrag stellt er ein Bild, auf dem er Enten füttert.
Härtere Haftregeln
Ganz der Realität dürfte dieses harmonische Bild aber nicht entsprechen. Im Lager gelten besonders harte Haftbedingungen. Es liegt etwa 260 Kilometer nordöstlich von der russischen Hauptstadt Moskau.
Jarmysch sagte, der Machtapparat tue alles, um den Kontakt der Anwälte und der Familie zu Nawalny zu erschweren. Im Mai hatte ein Gericht die neunjährige Haftstrafe gegen Nawalny wegen angeblichen Betrugs bestätigt. Damit wurde die Verlegung in ein Straflager mit härteren Haftregeln rechtskräftig. In russischen Haftanstalten für Schwerverbrecher dürfen die Insassen seltener Angehörige treffen, Päckchen und Briefe empfangen oder zum Ausgang an die frische Luft.
Noch am Dienstag besuchten ihn seine Anwälte in seinem bisherigen Lager. Sie hörten aber nur: «Es gibt hier keinen Gefangenen mit diesem Namen.»
Gerüchte bestätigen sich
Seine Sprecherin Kira Jarmysch warnte daraufhin, dass Nawalny in Gefahr sein könnte. In der Youtube-Sendung «Populjarnaja Politika» kommentierte sie auch Medienberichte, nach denen Nawalny in das Straflager 6 in Melechowo nahe der Stadt Kowrow verlegt worden sein könnte. «Es gibt keine Bestätigung. Wir können das nicht glauben, bis der Anwalt ihn sieht», sagte sie.
Sollte er nicht bald wieder lebend auftauchen, dürften die Proteste gegen Putin noch grösser werden, als sie es ohnehin schon sind. Und der russische Präsident müsste noch mehr Energie in innenpolitische Probleme investieren, wenn er doch eigentlich sämtliche Kräfte für die Ukraine aufwenden möchte.
Er machte Korruption öffentlich
Seit Jahren bekämpft Nawalny Putins Politik, mobilisiert die Massen. Darum wurde ihm unter anderem sein Anwaltspatent entzogen.
2018 wollte er sogar Präsident werden, wurde aber nicht zugelassen. Die Begründung: Er sei schon einmal verurteilt worden und käme nicht für das Amt infrage. Verurteilt wurde er, weil er Proteste gegen die Kreml-Regierung organisierte.
Nawalny liess sich aber nie unterkriegen, machte auch in der Folge diverse Unzulänglichkeiten der russischen Elite öffentlich, oft ging es um Korruption. Entsprechend schwerwiegend waren auch die Konsequenzen.
Giftanschlag, Berliner Charité, Verhaftung, Straflager
Am 20. August 2020 wurde er in Russland Opfer eines Giftanschlags, für den er die russische Regierung verantwortlich machte. Zuerst wurde er in Russland behandelt, die dortigen Ärzte sagten, es sei kein Giftanschlag gewesen.
Kurz darauf setzten seine Anhänger durch, dass er in der renommierten Berliner Charité behandelt werden kann. Dort kamen die Ärzte zum gegenteiligen Ergebnis. Unterdessen wurde bekannt, dass er mit dem Nowitschok-Nervenkampfstoff vergiftet wurde, den der russische Geheimdienst schon in der Vergangenheit einsetzte, um abtrünnige Landsleute zum Schweigen zu bringen.
Nawalny hatte Glück. Er konnte in Deutschland gerettet werden und flog wieder nach Russland, wurde dort aber am Flughafen festgenommen. Und zwar wegen eines angeblichen Verstosses gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Fall.
Im Februar 2021 wurde er deshalb zu dreieinhalb Jahren Haft in einem Straflager verurteilt. Dieses befindet sich in der Kleinstadt Pokrow, 100 Kilometer östlich von Moskau. Wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern seiner Stiftung und Beleidigung einer Richterin wurde Nawalny am 22. März 2022 zudem zu neun Jahren Lagerhaft unter verschärften Haftbedingungen verurteilt. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich während der Haft zusehends – sein Einfluss ist aber nicht geringer geworden. (vof/SDA)