Putin-Kritiker Nawalny mit Nervenkampfstoff vergiftet
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Weiter im künstlichen Koma:Alexej Nawalny ausser Lebensgefahr

Deutsche Bundesregierung sicher
Putin-Kritiker Nawalny mit Nervenkampfstoff vergiftet

Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny wurde laut der deutschen Bundesregierung vergiftet – mit einem chemischen Nervenkampfstoff. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in einer Pressekonferenz von einem Verbrechen.
Publiziert: 02.09.2020 um 15:52 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2020 um 08:54 Uhr
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Alexej Nawalny bei seiner Ankunft in Berlin.
Foto: keystone-sda.ch

Bei dem in Deutschland in Behandlung befindlichen russischen Regierungskritiker Alexej Nawalny (44) wurde nach Angaben der Bundesregierung «der zweifelsfreie Nachweis» eines chemischen Nervenkampfstoffes aus der Nowitschok-Gruppe erbracht. Das erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.

«Es ist ein bestürzender Vorgang, dass Alexej Nawalny in Russland Opfer eines Angriffs mit einem chemischen Nervenkampfstoff geworden ist», heisst es in der Mitteilung. «Die Bundesregierung verurteilt diesen Angriff auf das Schärfste.»

Deutschland werde nun mit der Europäischen Union und der Nato «über eine angemessene gemeinsame Reaktion beraten», heisst es weiter. Die russische Regierung sei nun «dringlich aufgefordert, sich zu dem Vorgang zu äussern».

Das Auswärtige Amt hat den russischen Botschafter einbestellt. «Ihm wurde dabei nochmals unmissverständlich die Aufforderung der Bundesregierung übermittelt, die Hintergründe dieser nun nachweislichen Vergiftung von Alexej Nawalny vollumfänglich und mit voller Transparenz aufzuklären», sagte Aussenminister Heiko Maas (53). Ferner wird die Bundesregierung mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) Kontakt aufnehmen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (66) äusserte sich in einer Pressekonferenz zum Vorfall. Sie sprach davon, dass Nawalny Opfer eines Verbrechens geworden sei. «Er sollte zum Schweigen gebracht werden», sagte sie dabei. Und: «Wir erwarten, dass die russische Regierung sich zu diesem Vorgang erklärt», sagte Merkel.

Nawalny wird seit dem 22. August in der Berliner Charité behandelt.

Schockierend und verantwortungslos

Frankreichs Aussenminister Jean-Yves Le Drian hat die von einem Bundeswehr-Labor nachgewiesene Vergiftung von Nawalny scharf verurteilt und Aufklärung gefordert. Er sei bestürzt, teilte Le Drian am Mittwoch mit. Der Einsatz des militärischen Nervengifts der Nowitschok-Gruppe sei schockierend und verantwortungslos.

Die russische Botschaft in Berlin ihrerseits hat die Bundesregierung vor einer «Politisierung» des Falls Nawalny gewarnt. «Wir rufen unsere Partner auf, jedwede Politisierung dieses Vorfalls zu vermeiden und sich ausschliesslich auf glaubwürdige Fakten zu stützen, die hoffentlich schnellstmöglich geliefert werden», hiess es in einer am Mittwochabend veröffentlichten Erklärung.

Was ist Nowitschok?

Vieles deutet darauf hin, dass der russische Ex-Spion Sergej und seine Tochter Julia Skripal in England durch das Nervengift Nowitschok vergiftet wurden.

Tödlicher «Neuling»

Die Sowjetunion hat zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren eine Serie neuartiger Nervenkampfstoffe entwickelt, die zu den tödlichsten gehören, die je hergestellt worden sind. «Nowitschok» heisst auf Deutsch «Neuling». Es ist achtmal so stark wie der VX-Kampfstoff, mit dem Nordkorea in der Regel seine Feinde ermorden lässt.

Einfache Herstellung

Es braucht dazu nur zwei relativ harmlose Stoffe, die bei der Zusammenführung äusserst tödlich werden. Die Stoffe können ohne grosse Probleme transportiert und vor Detektoren versteckt werden. Als er 1992 das Geheimprogramm auffliegen liess, sagte der russische Chemiker Vil Mirzayanow: «Die Besonderheit dieser Waffe liegt in der Einfachheit ihrer Komponenten. Sie werden in der Zivilindustrie verwendet und können daher international nicht reguliert werden.»

Anwendung als Puder

Das Mittel wird vorwiegend als ultrafeiner Puder zerstäubt. Die Betroffenen sterben meistens an Herzversagen oder Ersticken, da sich die Lunge mit Flüssigkeit füllt. Überlebt das Opfer, bleibt es meistens gelähmt.

Gegenmittel

Dem Opfer muss umgehend die kontaminierte Kleidung ausgezogen, und der Körper muss gewaschen werden. Es gibt Gegenmittel, unter anderem Atropin, Pralidoxim und Diazepam. Deren rettende Wirkung ist aber nicht garantiert.

Vieles deutet darauf hin, dass der russische Ex-Spion Sergej und seine Tochter Julia Skripal in England durch das Nervengift Nowitschok vergiftet wurden.

Tödlicher «Neuling»

Die Sowjetunion hat zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren eine Serie neuartiger Nervenkampfstoffe entwickelt, die zu den tödlichsten gehören, die je hergestellt worden sind. «Nowitschok» heisst auf Deutsch «Neuling». Es ist achtmal so stark wie der VX-Kampfstoff, mit dem Nordkorea in der Regel seine Feinde ermorden lässt.

Einfache Herstellung

Es braucht dazu nur zwei relativ harmlose Stoffe, die bei der Zusammenführung äusserst tödlich werden. Die Stoffe können ohne grosse Probleme transportiert und vor Detektoren versteckt werden. Als er 1992 das Geheimprogramm auffliegen liess, sagte der russische Chemiker Vil Mirzayanow: «Die Besonderheit dieser Waffe liegt in der Einfachheit ihrer Komponenten. Sie werden in der Zivilindustrie verwendet und können daher international nicht reguliert werden.»

Anwendung als Puder

Das Mittel wird vorwiegend als ultrafeiner Puder zerstäubt. Die Betroffenen sterben meistens an Herzversagen oder Ersticken, da sich die Lunge mit Flüssigkeit füllt. Überlebt das Opfer, bleibt es meistens gelähmt.

Gegenmittel

Dem Opfer muss umgehend die kontaminierte Kleidung ausgezogen, und der Körper muss gewaschen werden. Es gibt Gegenmittel, unter anderem Atropin, Pralidoxim und Diazepam. Deren rettende Wirkung ist aber nicht garantiert.

Nowitschok auch in England

Mit dem gleichen Gift waren im März 2018 im englischen Salisbury der ehemalige russische Spion Sergej Skripal (69) und dessen Tochter Julia (36) vergiftet worden. Die beiden waren bewusstlos auf einer Parkbank gefunden worden. Sie überlebten.

Die Untersuchungsbehörden gingen davon aus, dass die Vergiftung wahrscheinlich am Haus von Skripal erfolgte, da die höchste Giftkonzentration an dessen Eingangstür gemessen wurde. Das Gift könnte nach Einschätzung von Scotland Yard möglicherweise als klebrige Substanz auf die Türklinke aufgebracht worden und so auf die Hände der Opfer gelangt sein, von wo aus das Gift an die später besuchten Orte verschleppt wurde.

Frau starb am Gift

Am 30. Juni 2018 kam es zu einem Vorfall in der nahe Salisbury gelegenen Stadt Amesbury. Ein britisches Paar im Alter von 44 und 45 Jahren kam mit einer vom britischen Militär als Nowitschok identifizierten Substanz in Kontakt. Zunächst wurde der Rettungsdienst gerufen, als die Frau in ihrer Wohnung mit Schaum vor dem Mund kollabierte, bald darauf folgte der Mann. Am Tag zuvor waren sie in Salisbury gewesen. Beide wurden mit einer lebensgefährlichen Vergiftung im Krankenhaus behandelt, an der die Frau am 8. Juli 2018 starb.

London bezichtigte Moskau, Drahtzieher des Anschlags auf die Skripals gewesen zu sein. Es kam zu Spannungen zwischen den beiden Ländern, London wies darauf russische Diplomaten aus. Der Kampfstoff Nowitschok wurde in der früheren Sowjetunion entwickelt.

Nawalny, der am 20. August auf einem Flug in seiner Heimat plötzlich ins Koma gefallen war und zunächst in Omsk untersucht wurde, wird auf Drängen seiner Familie in der Charité behandelt. Die deutschen Ärzte gingen nach einer Auswertung von klinischen Befunden bereits davon aus, dass Nawalny vergiftet wurde. Die russische Regierung hatte die Einschätzung der Berliner Charité, dass Nawalny vermutlich vergiftet wurde, als vorschnell bezeichnet.

Gesundheitszustand weiter kritisch

Der Gesundheitszustand von Nawalny ist nach Angaben der Berliner Charité weiterhin ernst. Die Symptomatik der nachgewiesenen Vergiftung sei zwar zunehmend rückläufig.

Nawalny werde aber weiterhin auf einer Intensivstation behandelt und künstlich beatmet. Mit einem längeren Krankheitsverlauf sei zu rechnen. Langzeitfolgen der schweren Vergiftung seien weiterhin nicht auszuschliessen. (gf/bra)

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