Er tötete eiskalt. Mitten in Berlin – am helllichten Tag. Trotzdem ist Vadim Krasikow (58) jetzt ein freier Mann. Gerade mal fünf Jahre lang sass er im deutschen Knast. Dabei war der Russe eigentlich Ende 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Kein Wunder: Die Beweise waren eindeutig. Der 58-Jährige hatte im August 2019 einen tschetschenischstämmigen Georgier im Berliner Park Kleiner Tiergarten erschossen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Krasikow den Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen begangen hatte. Der Grund für den Auftrag: Der Georgier hatte in der russischen Teilrepublik Tschetschenien auf Seite der Separatisten gekämpft. Dafür sollte er sterben. Er wurde regelrecht hingerichtet – mit einem Kopfschuss von hinten.
24 Häftlinge freigekommen
Seitdem sass der Russe hinter Gittern. Und genau das versuchte Kreml-Chef Wladimir Putin (71) seit Jahren zu ändern. Im Lauf der Jahre gab es mehrere Anläufe von Russland, den Tiergarten-Mörder, wie Krasikow in den Medien genannt wird, freizubekommen. Jetzt hat er sein Ziel erreicht.
Beim grössten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Kalten Krieg sind am Donnerstag 24 Häftlinge freigekommen. Darunter: Vadim Krasikow. Aber wieso? Was steckt dahinter? Wieso wollte Putin ausgerechnet ihn haben?
Fürchtete der Kreml-Chef, dass Krasikow womöglich über Geheimnisse auspackt?
Der Kreml-Chef hat sich dazu nicht öffentlich geäussert. Doch die Verbindung muss eng sein. Putin hatte Krasikow am Donnerstagabend nach seiner Ankunft in Russland innig umarmt und gesagt: «Schön.»
Die beiden Männer sollen sich schon seit Jahrzehnten kennen. Er half offenbar Putin während seiner Zeit als Vizebürgermeister von Sankt Petersburg in den Neunzigerjahren, wie der «Spiegel» berichtet. Die genauen Umstände sind unklar. Eventuell arbeitete Krasikow als Leibwächter für Putin. Die Rede ist auch von einer möglichen Verwicklung in den mysteriösen Tod eines Politikers. Weiss der Tiergarten-Mörder zu viel? Fürchtete der Kreml-Chef, dass Krasikow im Knast womöglich über Geheimnisse auspackt? Das vermutet die «Bild», basierend auf Einschätzungen aus Geheimdienst-Kreisen.
Er war Teil der Eliteeinheit «Alpha»
Am Freitag teilte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (56) mit, dass es sich bei Vadim Krasikow um einen Agenten des russischen Geheimdiensts FSB handelt. «Krasikow ist ein Mitglied des FSB», sagte Peskow. Er habe der Eliteeinheit «Alpha» des Geheimdiensts angehört. «Er hat mit mehreren (derzeitigen) Beschäftigten für den Sicherheitsdienst des Präsidenten gearbeitet», sagte der Kreml-Sprecher weiter.
Zuvor hatte Russland offiziell bestritten, etwas mit dem Mann zu tun zu haben. Putin bezeichnete ihn lediglich als Patrioten, der in Berlin einen russischen Staatsfeind beseitigt habe. Allerdings hatte zuvor auch der türkische Geheimdienst MIT, der den Gefangenenaustausch am Donnerstag massgeblich durchzog, die FSB-Identität Krassikows öffentlich gemacht. Auch die deutschen Behörden hatten keinen Zweifel, dass der Auftragskiller in Putins Diensten steht.
«Eine niederschmetternde Nachricht»
Der Deal sorgt weltweit für mächtig Wirbel. Besonders unter den Angehörigen von Krasikows Opfer. «Nicht einmal fünf Jahre nach dem Mord» sei der von Kreml-Chef Wladimir Putin «beauftragte Mörder wieder auf freiem Fuss», erklärten die in Deutschland lebenden Angehörigen des Mordopfers nach Angaben ihrer Anwältin Inga Schulz am Donnerstagabend.
Die Freilassung des in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilten Russen sei «eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige» gewesen, hiess es in der Stellungnahme weiter. «Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt.»
Staatliches Interesse musste abgewogen werden
«Niemand hat sich die Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben», sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (66) am Donnerstagabend über Krasikows Freilassung.
In diesem Fall habe das staatliche Interesse an der Vollstreckung der Strafe «mit der Freiheitsgefahr für Leib und in einigen Fällen auch Leben unschuldig in Russland inhaftierter Personen» abgewogen werden müssen. Ausser der «Schutzverpflichtung» gegenüber deutschen Staatsangehörigen sei für die Bundesregierung «auch die Solidarität mit den USA» ausschlaggebend gewesen, erläuterte Scholz.