Neues Kapitel im Krieg in der Ukraine: Zum ersten Mal ist möglicherweise ein Ziel in Russland ins Visier genommen worden. In der Grossstadt Belgorod, rund 40 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, ist ein Öllager in Brand geraten. Menschen kamen offenbar keine zu Schaden.
Die Russen behaupten, dass die ukrainischen Streitkräfte das Öllager mit zwei Helikoptern angegriffen hätten. Die Ukrainer behaupten ihrerseits, dass die Russen selber das Lager unter falscher Flagge zerstört hätten. Damit, so die Ukrainer, wollten die Russen weitere brutale Angriffe rechtfertigen.
Am ehesten ein Unfall
Wer sagt die Wahrheit? Der Militärexperte Mauro Mantovani (58) geht zurzeit nicht davon aus, dass die Russen das Lager mit Absicht in Brand gesetzt haben. Im Zentrum steht für ihn ein Unfall, der nicht mit dem Kriegsgeschehen in Zusammenhang steht, den die Russen aber nun im Sinne ihrer Propaganda ausschlachten.
Aber auch einen ukrainischen Angriff zieht er in Betracht. Mantovani: «Die Ukrainer haben die Fähigkeit, ein Ziel über diese Distanz zu treffen. Das haben sie auch schon mit der Versenkung des russischen Landungsschiffs Orsk im Hafen von Berdyansk am 24. März bewiesen.»
Ausweitung des Kriegs nach Russland?
Mit einem Angriff könnten die Ukrainer laut Mantovani drei Ziele verfolgen:
die mehrfachen Angriffe der Russen auf ukrainische Öldepots vergelten.
den Russen demonstrieren, dass sie – technisch – fähig sind, auch Ziele in Russland selber zu treffen. «Es wäre dann ein Akt der Abschreckung», sagt Mantovani.
den Willen zeigen, dass sie den Krieg tatsächlich auf russisches Territorium ausweiten wollen. Mantovani: «Es wäre dann ein Ausdruck von gesteigertem Selbstbewusstsein und Siegeszuversicht.»
Ein Angriff der Russen oder Ukrainer wäre verheerend, weil er zu weiteren Eskalationen führen könnte. Deshalb sagt Mantovani: «Ein Unfall wäre der beste Fall.»