Wenn die Republikaner die Zwischenwahlen gewinnen, müsste die Ukraine um die US-Hilfe bangen
«Trumps Comeback wäre für Putin ein Freudentag»

US-Republikaner kündigen an, die Hilfe an die Ukraine einzustellen, wenn sie die Zwischenwahlen vom 8. November gewinnen. Experten schätzen für Blick die Lage ein. Sie warnen vor allem vor einer Rückkehr von Putin-Sympathisant Donald Trump.
Publiziert: 22.10.2022 um 00:07 Uhr
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2019 trafen sich Wladimir Putin und der damalige US-Präsident Donald Trump in Japan.
Foto: imago images/UPI Photo
Guido Felder

Die Ukrainer haben es in erster Linie den USA zu verdanken, dass sie Putins Truppen mit Erfolg abwehren können. US-Präsident Joe Biden (79) schnürt ein Hilfspaket nach dem andern. Inhalt: Waffen und weitere militärische Ausrüstung. Bisher haben die von den Demokraten regierten USA der Ukraine Waren im Wert von mindestens 53 Milliarden Dollar geliefert oder angekündigt.

Diese gigantische Unterstützung könnte plötzlich wegbrechen. Am 8. November finden in den USA Zwischenwahlen statt, bei denen das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu bestellt werden.

Anfang Woche hat der republikanische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy (57), ganz nach dem Motto «America first» verkündet, dass er bei einem Sieg seiner Partei der Ukraine den US-Blankoscheck streichen wolle.

«Der Kongress hat die Macht über den Geldbeutel»

Wer bei den Zwischenwahlen das Rennen machen wird, ist offen. Laut Umfragen liefern sich die Demokraten mit 45,3 Prozent und die Republikaner mit 45 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Allerdings nehmen die Kritiker der Militärhilfe zu – vor allem deshalb, weil sie das Geld für die Bezahlung der steigenden Energiekosten im Land behalten wollen. Die Sorge über eine ukrainische Niederlage ist von 55 Prozent im Mai auf 38 Prozent im September gesunken.

Marco Steenbergens Einschätzung

Welche Folgen hätte ein Sieg der Republikaner bei den US-Zwischenwahlen vom 8. November 2022 auf die Militärhilfe an die Ukraine? Die Einschätzung von Marco Steenbergen (59), Amerika-Experte und Politpsychologe an der Uni Zürich, in voller Länge:

«Der Kongress hat die Macht über den Geldbeutel. Eine republikanische Mehrheit würde daher die Hilfe für die Ukraine erheblich behindern. Da die USA Russland nicht den Krieg erklärt haben, können alternative Kanäle wie der War Powers Act nicht genutzt werden. Somit hätten Biden und die Ukraine ein grosses Problem.

Die Republikaner sind der Meinung, dass Bidens Ukraine-Politik ineffektiv ist und das Geld daher schlecht angelegt ist. Ich persönlich denke, der wahre Grund ist, dass die Republikaner alles ablehnen, wofür Biden steht. Das tun sie auch in dieser Zwischenwahlperiode, ausser bei den Bauprojekten, die sie zwar ablehnen, aber jetzt als einen ihrer Siege verbuchen. Dann gibt es noch die immer wiederkehrende Behauptung von ukrainischen Verbindungen zu Hunter Biden. Und dann ist da noch der Faktor Trump. Trump hat Putin umarmt, und viele GOP-Kongressabgeordnete – und noch mehr Kandidaten – treten als Trump-Anhänger an. Sie kaufen die Pro-Putin-Position mit Haut und Haaren. McCarthy, der nicht gerade der trittsicherste Minderheitenführer ist, will eindeutig signalisieren, dass er diese Position unterstützt.

Biden sieht den Ukraine-Krieg nicht nur als Angriffskrieg, sondern auch als Symbol für die gefährliche Lage der demokratischen Prinzipien in der heutigen Zeit. Daher setzt er sich doppelt für die Unterstützung der Ukraine ein. Ausserdem macht Putins Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 die Demokraten von Natur aus misstrauisch gegenüber Putins Zielen und Plänen. Aber Biden hat ein Problem. Für viele Amerikaner ist die Ukraine weit weg, aber die Folgen seiner Politik bekommen seine Wähler direkt zu spüren.

Trump bewundert Putin. Er teilt auch einige von Putins Zielen, wie die Schwächung der EU. Es besteht kein Zweifel daran, dass Trump die Hilfe bei nächster Gelegenheit kürzen würde. Er würde wahrscheinlich auch die Nato implodieren lassen. Sollte Trump wieder Präsident werden und Putin immer noch das Sagen haben, wird er auf seinem Weg kaum auf die Behinderung seiner Politik durch die USA stossen.

All dies zeigt, wie wichtig die Zwischenwahlen sind. Nicht nur die Innenpolitik steht auf dem Spiel (z.B. Abtreibungsrechte, Rechte von Homosexuellen, soziale Sicherheit und Wahlrecht). Auch die Aussenpolitik wird sich im Falle eines Sieges der Republikaner grundlegend ändern. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Zwischenwahlen in der jüngeren politischen Geschichte so entscheidend waren.»

Welche Folgen hätte ein Sieg der Republikaner bei den US-Zwischenwahlen vom 8. November 2022 auf die Militärhilfe an die Ukraine? Die Einschätzung von Marco Steenbergen (59), Amerika-Experte und Politpsychologe an der Uni Zürich, in voller Länge:

«Der Kongress hat die Macht über den Geldbeutel. Eine republikanische Mehrheit würde daher die Hilfe für die Ukraine erheblich behindern. Da die USA Russland nicht den Krieg erklärt haben, können alternative Kanäle wie der War Powers Act nicht genutzt werden. Somit hätten Biden und die Ukraine ein grosses Problem.

Die Republikaner sind der Meinung, dass Bidens Ukraine-Politik ineffektiv ist und das Geld daher schlecht angelegt ist. Ich persönlich denke, der wahre Grund ist, dass die Republikaner alles ablehnen, wofür Biden steht. Das tun sie auch in dieser Zwischenwahlperiode, ausser bei den Bauprojekten, die sie zwar ablehnen, aber jetzt als einen ihrer Siege verbuchen. Dann gibt es noch die immer wiederkehrende Behauptung von ukrainischen Verbindungen zu Hunter Biden. Und dann ist da noch der Faktor Trump. Trump hat Putin umarmt, und viele GOP-Kongressabgeordnete – und noch mehr Kandidaten – treten als Trump-Anhänger an. Sie kaufen die Pro-Putin-Position mit Haut und Haaren. McCarthy, der nicht gerade der trittsicherste Minderheitenführer ist, will eindeutig signalisieren, dass er diese Position unterstützt.

Biden sieht den Ukraine-Krieg nicht nur als Angriffskrieg, sondern auch als Symbol für die gefährliche Lage der demokratischen Prinzipien in der heutigen Zeit. Daher setzt er sich doppelt für die Unterstützung der Ukraine ein. Ausserdem macht Putins Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 die Demokraten von Natur aus misstrauisch gegenüber Putins Zielen und Plänen. Aber Biden hat ein Problem. Für viele Amerikaner ist die Ukraine weit weg, aber die Folgen seiner Politik bekommen seine Wähler direkt zu spüren.

Trump bewundert Putin. Er teilt auch einige von Putins Zielen, wie die Schwächung der EU. Es besteht kein Zweifel daran, dass Trump die Hilfe bei nächster Gelegenheit kürzen würde. Er würde wahrscheinlich auch die Nato implodieren lassen. Sollte Trump wieder Präsident werden und Putin immer noch das Sagen haben, wird er auf seinem Weg kaum auf die Behinderung seiner Politik durch die USA stossen.

All dies zeigt, wie wichtig die Zwischenwahlen sind. Nicht nur die Innenpolitik steht auf dem Spiel (z.B. Abtreibungsrechte, Rechte von Homosexuellen, soziale Sicherheit und Wahlrecht). Auch die Aussenpolitik wird sich im Falle eines Sieges der Republikaner grundlegend ändern. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Zwischenwahlen in der jüngeren politischen Geschichte so entscheidend waren.»

Selten seien die Zwischenwahlen so entscheidend gewesen wie jetzt, sagt Marco Steenbergen (59), Amerika-Experte und Politpsychologe an der Uni Zürich. «Der Kongress hat die Macht über den Geldbeutel. Eine republikanische Mehrheit würde daher die Hilfe für die Ukraine erheblich behindern. Biden und die Ukraine hätten ein grosses Problem.»

Biden kämpft gegen Putin

Biden setze sich so stark für die Ukraine ein, weil er den Krieg nicht nur als Angriffskrieg, sondern auch «als Symbol für die gefährliche Lage der demokratischen Prinzipien in der heutigen Zeit» sehe, sagt Steenbergen. «Ausserdem macht Putins Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 die Demokraten von Natur aus misstrauisch gegenüber Putins Zielen und Plänen.»

Auch Manfred Berg (62), Professor für amerikanische Geschichte an der Uni Heidelberg in Deutschland, ist davon überzeugt, dass es für Biden bei einer republikanischen Mehrheit schwieriger werden dürfte, die umfassende Militärhilfe weiterhin in vollem Umfang zu leisten.

Manfred Bergs Einschätzung

Welche Folgen hätte ein Sieg der Republikaner bei den US-Zwischenwahlen vom 8. November 2022 auf die Militärhilfe an die Ukraine? Die Einschätzung von Manfred Berg (62), Professor für amerikanische Geschichte an der Uni Heidelberg (D), in voller Länge:

«Donald Trump, McCarthy und der nationalistische-populistische Flügel der Republikaner stehen in der Tradition des alten sicherheitspolitischen Isolationismus, der schon im Zeitalter der Weltkriege unter dem Slogan ‹America First› gegen die US-Interventionen in Europa Stellung bezog. Amerika verteidigt nur sich selbst und seine Interessen und hält sich aus Konflikten heraus, die das Land nicht direkt betreffen. Diese Tradition ist trotz Wilsons und Franklin D. Roosevelts liberalem Internationalismus und trotz der Systemkonfrontation im Kalten Krieg immer lebendig und einflussreich geblieben.

Biden steht dagegen in der internationalistischen Tradition des Internationalismus, der zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg einen Elitenkonsens darstellt. Die USA sind die Führungsmacht von Demokratie und Freiheit, deren Sicherung und Ausbreitung daher im nationalen Interesse Amerikas liegen. Hinter Bidens Haltung steht gewiss auch die historische Erfahrung, dass Aggressoren rechtzeitig gestoppt werden müssen.

Würden die Republikaner die Mehrheit insbesondere im Senat erringen, dürfte es für Biden schwieriger werden, die umfassende Militärhilfe an die Ukraine weiterhin in vollem Umfang zu leisten. Allerdings sehen auch viele Republikaner, die sich in die Tradition Ronald Reagans stellen, die russische Aggression in der Kontinuität des Kalten Krieges und unterstützen die umfassende US-Hilfe. Der isolationistische Flügel, der ja eine gewisse Wahlverwandtschaft zu Putin pflegt, ist in dieser Frage nicht unbedingt tonangebend. Allerdings kalkulieren Kandidaten wie McCarthy offenkundig, dass der radikale Teil der republikanischen Wählerschaft die Botschaft, amerikanische Geld für Amerikaner auszugeben, honorieren wird.

Sollte Trump 2024 wieder Präsident werden, wäre dies innen- und aussenpolitisch ein Desaster und ein Freudentag für Putin, der ja auf die Destabilisierung der USA und des Westens setzt. Trumps Aussenpolitik allgemein und seine Russlandpolitik im Besonderen waren schon 2017 bis 2021 erratisch, im Falle einer zweiten Amtszeit würden sie völlig unberechenbar werden. Ob Amerika 2024 angesichts der extremen Polarisierung überhaupt handlungsfähig sein wird, steht dahin. Für Europa hätte dies fatale Konsequenzen, denn ohne die Sicherheitsgarantien der USA wäre die Nato extrem geschwächt und Putins nuklearer Erpressung ausgeliefert.»

Welche Folgen hätte ein Sieg der Republikaner bei den US-Zwischenwahlen vom 8. November 2022 auf die Militärhilfe an die Ukraine? Die Einschätzung von Manfred Berg (62), Professor für amerikanische Geschichte an der Uni Heidelberg (D), in voller Länge:

«Donald Trump, McCarthy und der nationalistische-populistische Flügel der Republikaner stehen in der Tradition des alten sicherheitspolitischen Isolationismus, der schon im Zeitalter der Weltkriege unter dem Slogan ‹America First› gegen die US-Interventionen in Europa Stellung bezog. Amerika verteidigt nur sich selbst und seine Interessen und hält sich aus Konflikten heraus, die das Land nicht direkt betreffen. Diese Tradition ist trotz Wilsons und Franklin D. Roosevelts liberalem Internationalismus und trotz der Systemkonfrontation im Kalten Krieg immer lebendig und einflussreich geblieben.

Biden steht dagegen in der internationalistischen Tradition des Internationalismus, der zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg einen Elitenkonsens darstellt. Die USA sind die Führungsmacht von Demokratie und Freiheit, deren Sicherung und Ausbreitung daher im nationalen Interesse Amerikas liegen. Hinter Bidens Haltung steht gewiss auch die historische Erfahrung, dass Aggressoren rechtzeitig gestoppt werden müssen.

Würden die Republikaner die Mehrheit insbesondere im Senat erringen, dürfte es für Biden schwieriger werden, die umfassende Militärhilfe an die Ukraine weiterhin in vollem Umfang zu leisten. Allerdings sehen auch viele Republikaner, die sich in die Tradition Ronald Reagans stellen, die russische Aggression in der Kontinuität des Kalten Krieges und unterstützen die umfassende US-Hilfe. Der isolationistische Flügel, der ja eine gewisse Wahlverwandtschaft zu Putin pflegt, ist in dieser Frage nicht unbedingt tonangebend. Allerdings kalkulieren Kandidaten wie McCarthy offenkundig, dass der radikale Teil der republikanischen Wählerschaft die Botschaft, amerikanische Geld für Amerikaner auszugeben, honorieren wird.

Sollte Trump 2024 wieder Präsident werden, wäre dies innen- und aussenpolitisch ein Desaster und ein Freudentag für Putin, der ja auf die Destabilisierung der USA und des Westens setzt. Trumps Aussenpolitik allgemein und seine Russlandpolitik im Besonderen waren schon 2017 bis 2021 erratisch, im Falle einer zweiten Amtszeit würden sie völlig unberechenbar werden. Ob Amerika 2024 angesichts der extremen Polarisierung überhaupt handlungsfähig sein wird, steht dahin. Für Europa hätte dies fatale Konsequenzen, denn ohne die Sicherheitsgarantien der USA wäre die Nato extrem geschwächt und Putins nuklearer Erpressung ausgeliefert.»

Doch er relativiert: «Viele Republikaner, die sich in die Tradition Ronald Reagans stellen, sehen die russische Aggression in der Kontinuität des Kalten Krieges und unterstützen die umfassende US-Hilfe. Der isolationistische Flügel, der ja eine gewisse Wahlverwandtschaft zu Putin pflegt, ist in dieser Frage nicht unbedingt tonangebend.»

«Für Europa hätte dies fatale Konsequenzen»

Verheerend wäre es allerdings, wenn in zwei Jahren Donald Trump (76) wieder zum US-Präsidenten gewählt werden würde. Sowohl für Steenbergen als auch für Berg ist das ein Horrorszenario. Steenbergen zu Blick: «Trump bewundert Putin. Er teilt auch einige von Putins Zielen, wie die Schwächung der EU. Es besteht kein Zweifel daran, dass Trump die Hilfe bei nächster Gelegenheit kürzen und wahrscheinlich auch die Nato implodieren lassen würde.»

«Für Europa hätte dies fatale Konsequenzen», sagt auch Manfred Berg über eine mögliche Trump-Wahl. Denn ohne Sicherheitsgarantien der USA wäre die Nato extrem geschwächt und Putins nuklearer Erpressung ausgeliefert. Berg: «Sollte Trump 2024 wieder Präsident werden, wäre dies innen- und aussenpolitisch ein Desaster und für Putin ein Freudentag.»

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